Braunkohkekraftwerk Jänschwalde
Wenn im Kraftwerk Jänschwalde in Brandenburg keine fossilen Brennstoffe wie Kohle verbrannt werden, sondern etwas anderes, kann sich der Betreiber Leag das als "erneuerbaren Strom" anerkennen lassen. (Foto: GuenterHH/​Flickr)

Ökostrom ist nicht gleich Ökostrom. Das mussten auch Kunden eines Ökomstromtarifs in Frankreich feststellen. Recherchen des französischen Fernsehsenders France 2 ergaben, dass französische Stromanbieter Haushalte zwar mit grün gelabeltem Strom belieferten. Nur kamen die zuvor erworbenen Herkunftsnachweise für den "Ökostrom" aus dem Braunkohlekraftwerk Jänschwalde in Brandenburg.

Was absurd klingt, ist zulässig. Der Betreiber von Jänschwalde, die Leag, bestätigt dies auf Anfrage.

"Die Lausitz Energie Kraftwerke AG verkauft Herkunftsnachweise für Stromerzeugung aus erneuerbaren Energiequellen in Form der von physischer Lieferung unabhängigen Grünstromzertifikate", sagt Leag-Sprecher Thoralf Schirmer.

Ein Betreiber eines Braunkohlekraftwerks kann Herkunftsnachweise für Ökostrom verkaufen, wenn er nicht nur Kohle verbrennt. Und eben das tut die Leag.

"Die Quelle ist Biomasse in Form von Klärschlamm, den wir an allen unseren Kraftwerken in der Mitverbrennung nutzen", so Schirmer weiter.

Und für jede Megawattstunde Strom, die aus der Verbrennung von Klärschlamm stammt und ins Stromnetz eingespeist wird, erhält die Leag einen Herkunftsnachweis. Diese Zertifikate kann die Leag dann europaweit weiterverkaufen. Im Gegenzug dürfen Stromlieferanten ihren Kunden so viel "Ökostrom" verkaufen, wie sie zuvor Herkunftsnachweise erworben haben.

Dass der Strom wie im Fall von Jänschwalde in einem der klimaschädlichsten Kraftwerke Europas erzeugt wurde, spielt für die Ausstellung der Herkunftsnachweise keine Rolle.

"Ein Umweltgutachter zertifiziert die Grünstromanteile zum Ende eines Jahres und stellt über die entsprechende Strommenge Herkunftsnachweise aus", sagt Leag-Sprecher Schirmer. Diese belaufe sich auf circa fünf Prozent der Stromproduktion von Jänschwalde.

Für René Schuster vom Umweltverband Grüne Liga ein klarer Fall von Verbrauchertäuschung. "Selbst wenn die Zertifizierung formal korrekt sein sollte, ist nicht hinnehmbar, dass den Stromkunden hier ein Beitrag zur Energiewende suggeriert wird", sagt Schuster.

Und die Verbraucher sind, wie die Recherchen in Frankreich zeigen, bereit, mitunter deutlich mehr für die Megawattstunde Ökostrom zu zahlen als für herkömmlichen Strom.

Millionen Tonnen Müll zu "klimafreundlichem" Strom

Dass der Strom aber gar nicht aus erneuerbaren Quellen stammt und die Zertifikate keinen Rückschluss auf die Art der Stromproduktion erlauben, erfahren viele Kunden eines Ökostromtarifs erst gar nicht.

"Herkunftsnachweise geben nur Auskunft über die Menge und die Herkunft des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen, sie enthalten keine Bewertung der ökologischen Qualität der Energieerzeugung", heißt es auf der Website des Umweltbundesamtes.

Das Verbrennen von Müll und Klärschlamm lohnt sich gleich mehrfach für die Leag. Sie muss nicht extra Kohle für die Stromerzeugung fördern, braucht – zumindest bislang – keine CO2-Zertifikate zu erwerben und kann für den erzeugten Strom auch noch Herkunftsnachweise verkaufen. 

"Die Mitverbrennung von Müll und Klärschlamm ist dabei nur eine wirtschaftliche Stütze der Braunkohleverstromung", klagt Schuster.

Dass sich das Verbrennen von Abfällen in Braunkohlekraftwerken lohnt, haben auch andere Fossilkonzerne wie RWE bemerkt. Recherchen des WDR ergaben, dass mittlerweile mehr als fünf Millionen Tonnen Abfall jährlich in den Kohlekraftwerken Deutschlands verstromt werden. Demnach verbrannte allein RWE 2018 in seinen Braunkohlekraftwerken 800.000 Tonnen Klärschlamm.

Immerhin will der französische Stromanbieter Ekwateur künftig genauer auf die Zertifikate achten und keine Herkunftsnachweise mehr aus Jänschwalde erwerben. Der Energieriese Total stößt sich offenbar nicht an der fragwürdigen Praxis. 

Die Leag plant unterdessen sogar den Bau einer "Energie- und Verwertungsanlage" ab 2021. René Schuster glaubt, dass der Konzern sich mit dem "Müllkraftwerk" für die Eventualität eines vorgezogenen Kohleausstiegs absichern will.

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