Eine Gruppe von Protestierenden sitzt vor einer Mauer, an der ein gelbes Banner mit der Aufschrift: 1,5°C heißt: Lüzerath bleibt! angebracht ist
Aktion unter dem Motto "Platz nehmen!" vor Landwirt Heukamps Hof zu Beginn der Rodungssaison. (Foto: Alle Dörfer bleiben/​Flickr)

Vor drei Jahren verhinderten Aktivist:innen die Rodung des Hambacher Forsts für die Kohleverstromung durch den RWE-Konzern. Jetzt gibt es einen neuen Ort, an dem sich der Protest gegen Kohle bündelt – trotz oder gerade wegen des beschlossenen Kohleausstiegs, der gemessen am Pariser Klimaabkommen viel zu lange dauert.

Lützerath liegt unweit der Abrisskante des Braunkohletagebaus Garzweiler und steht dessen Ausweitung im Wege. Deswegen soll das Dorf abgerissen werden.

Mitten im Ort ist der Hof des Landwirts Eckardt Heukamp zu finden. Er ist der letzte Bewohner Lützeraths und weigert sich zu gehen. Das Grundstück, auf dem sein Hof steht, gehört spätestens ab November per Zwangsenteignung RWE. Der Konzern hat schon vor längerer Zeit damit angefangen, andere Häuser abzureißen und das Gebiet abzusichern.

Vor allem seit Beginn der sogenannten Rodungssaison Anfang Oktober besteht aus Sicht von Heukamp und seinen Unterstützer:innen die Gefahr, dass RWE weitere Fakten schafft. Seit dem Wochenende sind deswegen Aktivisti:nnen in Lützerath. Es gab ein großes Picknick zwischen der Abrisskante und dem Dorf und eine 16 Stunden lange Besetzung dreier Kohlebagger durch die Gruppe "Gegenangriff – für das Gute Leben".

Das 1,5-Grad-Ziel bedeutet: Lützerath bleibt stehen

Auf der Wiese des Hofes, den Heukamp schon in vierter Generation betreibt, stehen jetzt bunte Zelte und an der Mauer hängt ein Banner: "1,5°C heißt: Lützerath bleibt!"

Das Motto klingt nicht nur gut, es hat auch einen wissenschaftlichen Kern. Im Auftrag der Initiative "Alle Dörfer bleiben" hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin ausgerechnet, wie viel Kohle im Rheinischen Braunkohlerevier noch abgebaut werden darf, wenn die globale Erhitzung auf 1,5 Grad begrenzt werden soll.

Das DIW kommt zum Ergebnis, dass noch maximal 235 Millionen Tonnen Kohle in den drei Tagebauen der Region – Inden, Hambach und Garzweiler II – aus der Erde geholt werden dürfen. Bei dieser Begrenzung würden nicht nur der Hambacher Wald, sondern auch alle noch bedrohten Ortschaften am Tagebau Garzweiler erhalten bleiben – einschließlich Lützeraths.

RWE hingegen plant derzeit, noch rund 900 Millionen Tonnen Kohle zu fördern. Das ist laut DIW rund viermal so viel, wie nach dem Pariser Klimaabkommen erlaubt wäre.

Dagegen stellen sich Heukamp und seine Verbündeten. Der Landwirt hat gegen die von RWE beantragte "vorzeitige Inbesitznahme" geklagt, er hofft auf eine einstweilige Verfügung, die RWE erst einmal stoppen würde.

Warten auf "Tag X"

Bis zum "Tag X", an dem Heukamps Hof von der Polizei geräumt wird, sind weitere Aktionen und ein Begleitprogramm sowie sogenannte Skillsharings geplant. Dort werden Fertigkeiten und Kenntnisse weitergegeben, mit denen man sich auf eine Räumung vorbereiten kann, zum Beispiel das Bauen von Baumhäusern, Klettern, aber auch Erste Hilfe.

Im November soll dann das "Unräumbar Festival" von "Alle Dörfer bleiben" beginnen, und das Bündnis "Ende Gelände" mobilisiert für massenhaften zivilen Ungehorsam nach Lützerath.

Ob Lützerath am Ende gerettet werden kann wie der Hambacher Forst, ist ungewiss. Die Aktivist:innen hoffen auf die Klage von Eckardt Heukamp und auf politischen Druck durch die Koalitionsverhandlungen in Berlin, bei denen besonders der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet sich nicht leisten kann, in noch schlechterem Licht dazustehen als ohnehin schon.

Absehbar ist aber auch, dass sich in den nächsten Wochen der Konflikt um Lützerath zuspitzen wird und "Tag X" bevorsteht.

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