Ein Umzug von rot angezogenen Menschen mit weiß geschminkten Gesichtern
Mit der "Red Rebel Brigade" – hier in Berlin – will Extinction Rebellion auf das "Blut hinweisen, dass uns mit allen Arten verbindet". (Foto: Friederike Meier)

In Berlin begann der Aufstand schon um vier Uhr morgens: Um die tausend Aktivistinnen und Aktivisten der Umweltbewegung Extinction Rebellion (XR) besetzten den Großen Stern, den Kreisel rund um die Siegessäule in der Berliner Innenstadt. Sie bauten eine Arche aus Holz auf, die "Arche Rebella", die in Anlehnung an die Arche Noah an das Aussterben der Arten erinnern soll.

Um zwölf Uhr begann eine angemeldete und als "familienfreundlich" angepriesene Demonstration auf dem Potsdamer Platz, an der laut XR ungefähr 3.000 Menschen teilnahmen.

Um 15 Uhr wies Anmelder Uwe Hiksch auf das offizielle Ende der Demo hin, gratulierte aber allen, die danach noch weitermachen wollten. Eine Aktivistin, die kurz danach auf die Bühne trat, teilte denn auch gleich mit, dass sich Aktivisten unter der Bühne festgekettet hätten. Man könne den Platz also leider nicht verlassen.

In London dagegen startete die Rebellion um Punkt zehn Uhr vormittags. Nach wenigen Minuten hatte XR zwei Brücken und zehn Kreuzungen in der britischen Hauptstadt besetzt – so wie zuvor geplant. Damit kontrolliert der "Aufstand gegen das Aussterben" jetzt ein rund einen Quadratkilometer großes Demonstrationsgelände im Londoner Regierungsviertel.

Neue Polizeitaktik

Das Gelände beginnt bei der Lambeth Bridge im Süden und reicht bis zum Trafalgar Square gut zwei Kilometer weiter nördlich. In diesem Gebiet liegen 23 Ministerien, das britische Parlament und der Amtssitz von Premierminister Boris Johnson in der Downing Street. Diese Fläche soll nun für zwei Wochen gehalten werden.

Ein Banner mit der Aufschrit
Die Aktivistinnen und Aktivisten von Extinction Rebellion haben den Großen Stern in Berlin blockiert. (Foto: Friederike Meier)

Der Polizei war der XR-Plan natürlich auch bekannt, nicht zuletzt, weil XR ihn eng mit der Polizei abgestimmt hat. Die Londoner Polizei hat Verstärkung aus ganz Großbritannien angefordert und arbeitet seit heute in Zwölf-Stunden-Schichten.

Aufgrund der Erfahrungen bei der XR-Aktion im April setzt die Polizei auf Beweglichkeit: "Die Notwendigkeit, flexibel zu sein und schnell zu reagieren, ist das, was wir gelernt haben", sagte Nick Ephgrave, ein Vizechef der Metropolitan Police.

Das Ziel sei jeweils, "die Situation zu steuern, statt ihr zu erlauben sich zu entwickeln und anschließend zu versuchen, mit einem viel größeren Problem fertig zu werden". Praktisch bedeutete das zunächst, Baumaterial für Zelte und Bühnen zu beschlagnahmen.

Verhaftungen gab es am Montag in London nur relativ wenige. Einer der Verhafteten war Jeremy, der seinen Nachnamen nicht nennen wollte. Der pensionierte Computerfachmann wurde wegen einer Tätlichkeit gegenüber einer Polizeieinsatzleiterin festgenommen, ein Vorwurf, den er bestreitet.

Einwöchiger Hungerstreik

Als Grund für seine Teilnahme bei XR nannte Jeremy sein schlechtes Gewissen: "Wir hatten ein gutes Leben", sagte er über seine Generation, "aber wir haben nicht an die Folgen gedacht". Diese müssten jetzt seine vier Kinder und besonders seine beiden Enkel ausbaden.

Auf der Lambeth Bridge kam es zudem zu einigen Verhaftungen wegen der Brückenblockade. In bester XR-Manier wurden dabei sowohl die Verhafteten als auch die Polizei beklatscht. Letztere schätzt die Freundlichkeit allerdings nur bedingt und beklagt, dass die normale Polizeiarbeit unter den XR-Protesten leidet: "All das hat seinen Preis für die normalen Londoner. In diesen zwei Wochen werden wir zweifellos nicht den Service bieten können, den wir bieten wollen", so Ephgrave.

Ein Mann zwischen zwei Polizisten auf einer Londoner Brücke
Jeremy wurde bei den Protesten von Extinction Rebellion in London festgenommen. (Foto: Leo Mihatsch)

Das gilt umso mehr, weil XR nicht nur das Regierungsgelände besetzt halten will. Zusätzlich sind Aktionen in anderen Stadtteilen geplant. Das 18-seitige "Action Design"-Dokument listet sieben internationale Konferenzen auf, die ebenfalls gestört werden sollen.

Ab Donnerstag dieser Woche sind zudem Maßnahmen gegen die "Verkehrsinfrastruktur" vorgesehen. Das erste Ziel ist der London City Airport im Osten der Stadt.

Am kommenden Montag soll schließlich ein einwöchiger Hungerstreik beginnen, zu dem sich bereits über 1.800 Rebellen angemeldet haben. Ob tatsächlich so viele daran teilnehmen werden, ist allerdings unsicher. Wer mithungern will, muss ein ärztliches Attest mitbringen.

Die Polizei sieht sich zudem durch die Rechtslage eingeschränkt, so Ephgrave: "Die Gesetze zur öffentlichen Ordnung stammen aus einer anderen Zeit." Dabei sind dem Polizeichef vor allem Wiederholungstäter ein Dorn im Auge: "Wenn es Leute gibt, die bei Protesten gewohnheitsmäßig rechtswidrig handeln, dann wäre es hilfreich, die Möglichkeit zu haben, das zu verhindern."

Erstaunlicherweise kann Ephgrave dabei auf die Mithilfe von XR hoffen, denn die Bewegung hat ihre Taktik geändert. Im April kamen die meisten Verhafteten nach kurzer Zeit frei, indem sie eine Kaution hinterlegten. Anschließend konnten sie sich wieder den Protesten anschließen.

Doch nun ermutigt XR die Verhafteten dazu, eine Freilassung auf Kaution zu verweigern. Die Logik ist simpel: "Es gibt etwa 1.000 Gefängniszellen in London. Wenn wir die jeden Tag füllen, dann bleiben die Straßen in unserem Besitz. Das ist der Grund, warum wir die Kaution verweigern."

Konkurrenz um Zellenplätze

Wer bis zu seinem Prozess in Haft bleibt, kann zudem mit einem Prozess innerhalb weniger Tage rechnen. Das ist gerade für Rebellen von Vorteil, die nicht aus London kommen. Denn sonst müssen sie Monate später wegen ihres Gerichtstermins extra nach London reisen.

Derzeit laufen noch die Prozesse der Menschen, die bei der knapp zweiwöchigen XR-Großaktion im April verhaftet wurden. Wer sich schuldig bekennt, kommt meist ohne Strafe davon und muss nur die Prozesskosten von umgerechnet 120 Euro bezahlen.

In der zweiten Protestwoche nimmt die Konkurrenz um Zellenplätze dann weiter zu. Dann findet der EU-Gipfel statt, und wenn dort keine Einigung über das Brexit-Abkommen zustande kommt, muss Premier Johnson eine weitere Verschiebung des Brexit beantragen. Die Polizei rechnet daher mit Demonstrationen für und gegen den Brexit.

Eine Puppe mit der Aufschrift
"Entschuldigen Sie die Störung, ich versuche die Welt zu retten." (Foto: Leo Mihatsch)

Im Gegensatz zur Klimarebellion könnte es dabei zu Ausschreitungen kommen. Folglich wird die Polizei einen Teil ihrer Zellen für Brexit-Demonstranten vorhalten. Der Verhaftungsdruck auf die Klimarebellen dürfte dann allerdings ohnehin abnehmen, da die Polizei ihre Kräfte auf mehrere Proteste aufteilen muss.

XR hat keine Position zum Brexit und bedauert nur, dass dieser von der Klimakrise ablenkt. In der zweiten Woche könnte dies tatsächlich der Fall sein – zum Vorteil der Rebellen.

Auch in Berlin soll es nach dem heutigen Tag mit dem Rebellieren weitergehen. Am späten Montagabend sind immer noch der Potsdamer Platz und der Große Stern besetzt – ein Räumungsversuch der Polizei am Potsdamer Platz war abgebrochen worden.

Für Mittwoch sind weitere Aktionen angekündigt – unter anderem sollen der Kurfürstendamm sowie die Marschallbrücke im Regierungsviertel blockiert werden. Die Aktivisten haben außerdem ein Klimacamp in der Nähe des Kanzleramts errichtet, in dem noch bis zum 13. September Workshops und Vorträge stattfinden.

Der Beitrag wurde um 23:50 Uhr aktualisiert (vorletzter Absatz).

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