Weiß gekleidete Menschen sitzen auf der fahrbahn der Hamburger Kattwykbrücke, hinter ihnen stehen zwei blaue Polizei-Wasserwerfer.
Der "lila Finger" besetzte gestern die Kattwykbrücke in Hamburg. (Foto: Ende Gelände/​Flickr)

Wie bei keiner Aktion zuvor konnte die Klimabewegung bei der heute beendeten "System Change"-Woche in Hamburg praktisch zeigen, wie stark Deutschland von fossiler Infrastruktur durchdrungen ist.

Am Donnerstag hatten Klimaaktivist:innen das Werk des Chemieherstellers und Erdgas-Großverbrauchers Yara in Brunsbüttel an der Elbmündung blockiert. Am Freitag legte das Bündnis "Ende Gelände" die Baustelle des geplanten Flüssigerdgas-Terminals im niedersächsischen Wilhelmshaven lahm.

Einen Höhepunkt fanden die Aktionen am Samstag mit mehreren Aktionen in Hamburg. Etwa 2.000 Aktivist:innen blockierten nach Angaben von "Ende Gelände" stundenlang mehrere Gleise und Zufahrtsstraßen im Hamburger Hafen. Dabei wurde das schon von Tagebaubesetzungen bekannte Vorgehen angewandt, bei dem sich mehrere Gruppen, sogenannte "Finger", relativ eigenständig bewegen.

Neben "Ende Gelände" beteiligte sich eine Vielzahl weiterer Gruppen an den "System Change"-Tagen, darunter die BUND-Jugend, Abya Yala Anticolonial, Debt for Climate, Gas Exit sowie Extinction Rebellion (XR).

XR-Aktivist:innen blockierten die drei Kilometer lange Köhlbrandbrücke über den Hamburger Hafen, klebten sich an der Straße fest oder ketteten sich an betongefüllte Badewannen an. "Insbesondere in den Herkunftsländern der gehandelten Güter führt europäisches Wirtschaften zur weltweiten Zerstörung unserer Lebensgrundlagen", begründete Florian Zander von XR das Aktionsziel.

Mit ihrer Aktionswoche habe die Klimagerechtigkeitsbewegung gezeigt, dass sie "volle Power" habe, bilanzierte Luka Scott von Ende Gelände am Sonntag. Wer 2022 noch in fossile Infrastruktur investiere, müsse mit Widerstand rechnen, betonte sie. "Mit uns gibt es kein fossiles Rollback."

Zentraler Angriffspunkt der Klimaschützer:innen ist dabei das Vorhaben der Ampel-Koalition, in den kommenden Jahren zwölf Flüssigerdgas-Terminals bauen und offenbar bis nach 2040 laufen zu lassen. Diese Pläne werden auch von vielen Energieexpert:innen als überdimensioniert kritisiert.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte in seiner Sommerpressekonferenz diese Woche angekündigt, dass die ersten beiden Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel zu Beginn kommenden Jahres den Betrieb aufnehmen würden.

Für Charly Dietz von "Ende Gelände" ist die neue Erdgasinfrastruktur "ein Geschenk an die fossile Industrie". Die großen Energiekonzerne seien Krisenprofiteure, sie hätten ihre Gewinne vervielfacht, während viele Menschen nicht wüssten, wie sie im kommenden Winter ihre Strom- und Gasrechnung bezahlen sollen.

Dietz weiter: "Jetzt die Gasindustrie mit Milliarden zu subventionieren, statt Verbraucher:innen vor Energiearmut zu schützen, ist ein Skandal und eine Kampfansage an alle, die für Klimagerechtigkeit kämpfen."

Pfefferspray, Schlagstöcke, Wasserwerfer

Überschattet wurden die Aktionen von zum Teil massiver Gewalt, mit der Polizeikräfte gegen Klimaktivist:innen vorgingen. Die Polizei hatte nach eigenen Angaben etwa 1.400 Beamte zusammengezogen und wurde dabei von Beamten aus acht weiteren Bundesländern und der Bundespolizei unterstützt.

Besonders hart ging die Polizei offenbar gegen die Besetzung der Kattwykbrücke vor, einer wichtigen Kanalbrücke in Hamburg. Hier seien die Beamten aus einem Demoaufzug heraus mit Pfefferspray besprüht worden, teilte die Polizei mit – was die Demonstrant:innen bestreiten. Die Polizei setzte daraufhin nach eigenen Angaben ebenfalls Pfefferspray ein, außerdem Schlagstöcke und Wasserwerfer.

"Ende Gelände" und andere Gruppen kritisierten den polizeilichen Einsatz von Schlagstöcken, Pfefferspray und Wasserwerfern scharf. Man habe "einen großangelegten Angriff der Hamburger Polizei auf die Demokratie und Versammlungsfreiheit" erlebt, sagte Luka Scott.

Die Ende-Gelände-Sprecherin verwies darauf, dass die Innenbehörde schon im Vorfeld versucht hatte, das Protestcamp zu verhindern, und damit vor Gericht gescheitert war. Nach Ansicht von Scott machten sich die staatlichen Organe "wieder einmal zu Handlangern der fossilen Industrie".

Nach Angaben von "Ende Gelände" waren insgesamt mehrere hundert Aktivist:innen während der Aktionen zeitweise "unter Gewahrsam oder Freiheitsentzug in Polizeikesseln". Etwa 50 Menschen seien vorläufig festgenommen worden.

Eine Bilanz, ob und wie viele Menschen sich am Sonntagnachmittag noch in Polizeigewahrsam befanden, konnte die Hamburger Polizei auf Nachfrage noch nicht vorlegen. Das sogenannte Legal Team von "Ende Gelände" zeigte sich am späten Sonntagnachmittag auf Twitter relativ sicher, dass keine Festgenommenen mehr in polizeilichen Maßnahmen feststeckten, allerdings würden noch entsprechende Rückmeldungen fehlen.

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