Die intensive Tierhaltung lässt sich nicht umwelt- und klimaverträglich umgestalten. (Bild: Jonas Neunsieben/​Shutterstock)

Klimareporter°: Herr Vollenbroek, mit Ihrer Organisation "Mobilisation for the Environment" (MOB) setzen Sie sich seit Jahren dafür ein, die Nutztierhaltung in den Niederlanden deutlich zu reduzieren. Warum?

Johan Vollenbroek: Wenn es um den Erhalt der Artenvielfalt und den Klimaschutz geht, spielt die intensive Tierhaltung eine große negative Rolle. Unser Ziel ist es, dass in den Niederlanden die Nutztierzahlen vor allem bei Rindern, Schweinen und Hühnern um mindestens 50 Prozent sinken, wenn möglich um 75 Prozent.

Das ist unerlässlich, um das Klima zu schützen und die Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen – nicht nur in den Niederlanden, sondern auch im Ausland. Eine große Menge des Tierfutters wird importiert. Dadurch ist unsere Tierhaltung für eine immense Umweltzerstörung in Südamerika verantwortlich. Auch aus ökonomischer Sicht kostet uns die intensive Tierhaltung zu viel.

Sie meinen die externen Kosten?

Ja. Kürzlich erschien ein neuer Bericht der Universität Wageningen mit dem Ergebnis: Wenn wir bei uns die Ernährung umstellen – von einer, bei der aktuell 60 Prozent des Eiweißes von Tieren stammen und 40 Prozent aus Pflanzen, hin zu einer, bei der das Verhältnis umgekehrt ist –, dann bedeutet das für die Niederlande einen Nettogewinn von zehn Milliarden Euro pro Jahr.

Wir würden Kosten im Gesundheitssystem sparen, die Verschmutzung von Luft und Boden würde abnehmen. Unsere Landwirtschaft hat nur einen Anteil von 1,5 Prozent am niederländischen Bruttoinlandsprodukt, und dafür nehmen wir all diese Umweltschäden in Kauf. Das steht in keinem Verhältnis.

Die niederländische Regierung kündigte 2020 an, die Tierzahlen deutlich senken zu wollen, und legte dazu erste Maßnahmen auf. Das macht bisher kein anderes Land in Europa. Dazu hat Ihre Organisation mit Klagen und Gerichtsprozessen maßgeblich beigetragen. Was war dabei entscheidend?

Besonders wichtig war das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018. Es stellte fest, dass das Genehmigungssystem für Stickstoffemissionen der europäischen Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie widerspricht. Viel zu viel Stickstoff belastet die Schutzgebiete. Die Richtlinie muss strenger ausgelegt werden, verlangte der Gerichtshof.

2019 zog das höchste nationale Verwaltungsgericht der Niederlande daraus die Konsequenz und erklärte das ganze Genehmigungssystem für Projekte, die mit Stickstoffemissionen einhergehen, für untauglich.

Viele Genehmigungen für Tieranlagen hätten also gar nicht erteilt werden dürfen?

Porträtaufnahme von Johan Vollenbroek.
Bild: privat

Johan Vollenbroek

ist Chemiker und Vorsitzender der Umwelt­organisation Mobilisation for the Environment (MOB). Mit dieser hat er zahlreiche Gerichts­prozesse geführt, um Verstöße gegen bestehende Umwelt­vorschriften zu stoppen. Überregional bekannt wurde er 2019 durch eine Klage, die dazu führte, dass nun die Stickstoff­einträge in den Nieder­landen halbiert werden müssen.

Genau. Wir schätzen, dass etwa 5.000 Umweltgenehmigungen für landwirtschaftliche Betriebe nicht gültig sind.

Das Urteil hat auch Konsequenzen für andere Sektoren. So benötigen auch Flughäfen eine Umweltgenehmigung. Wir von MOB engagieren uns auch in diesen anderen Sektoren, indem wir Genehmigungen einfordern oder bereits erteilte Genehmigungen vor Gericht anfechten, um mehr Umweltschutz zu erreichen.

Auf diese Weise blockieren wir effektiv das gesamte Genehmigungssystem. Die Schäden für die niederländische Industrie, die durch unsere Blockade jährlich entstehen, werden auf mehr als zwei Milliarden Euro geschätzt. So wollen wir dafür sorgen, dass endlich wirksame Maßnahmen zum Emissionsschutz ergriffen werden.

Sind die Tierzahlen seit dem Urteil geringer worden?

Nein, leider hat sich so gut wie nichts verändert. Auch die Stickstoffemissionen sind genauso hoch wie vorher.

Aber es gibt doch seit einigen Jahren Entschädigungsprogramme. Bei denen erhalten Tierhalter:innen Geld, wenn sie ihren Betrieb für immer schließen ...

Diese Programme sind freiwillig. Bisher haben sich nur etwa 670 Betriebe dafür registriert. Wir haben in den Niederlanden aber etwa 30.000 Viehzuchtbetriebe.

Die allermeisten der 670 Betriebe haben bis heute noch keine Entschädigung erhalten. Und selbst wenn diese 670 sofort aufhören würden, könnte das die Stickstoffemissionen nur um drei, vier oder fünf Prozent senken. Wir brauchen aber eben mindestens 50 Prozent.

Die Liste der betroffenen Betriebe habe ich nicht gesehen, vermute aber, dass vor allem kleinere aufhören wollen, die ohnehin Schwierigkeiten haben oder bei denen es keine Hofnachfolge gibt.

Für den Rückbau der Tierhaltung sind 25 Milliarden Euro vorgesehen. Sind die Entschädigungsangebote an die Landwirte denn finanziell angemessen?

Ja, das sind großzügige Angebote, daran gibt es keinen Zweifel. Aber gerade Rinderhalter:innen haben letztes Jahr gut verdient. Es gab eine relative Knappheit bei Milch, deshalb waren die Preise gut. Viele wollen nicht aufhören. Aber es ist zugleich eine sehr gefährliche Situation für die Bauern. Denn so, wie es jetzt ist, geht es sicher nicht weiter.

Die Regierung hat immer wieder angekündigt, sie könnte in Zukunft auch nicht-freiwillige Maßnahmen ergreifen. Im Frühjahr hieß es, bald würde eine Liste von 3.000 Betrieben mit besonders hohen Emissionen veröffentlicht, die gegen Entschädigung zwangsweise stillgelegt würden. Gibt es diese Liste jetzt?

Nein, die Regierung hat sich nicht getraut, die Liste zu veröffentlichen. Es gab ja massive Proteste gegen solche Maßnahmen.

Über die Proteste in den Niederlanden, die Trecker-Demos mit tausenden wütender Landwirt:innen, wurde auch in Deutschland berichtet. Bei den Provinzwahlen im Frühjahr feierte die BBB, die konservativ-populistische Partei "Bauern-Bürger-Bewegung", große Erfolge.

Die ganze Situation gilt mittlerweile als agrarpolitischer Testfall für andere Länder. Hätte die niederländische Regierung etwas anders machen können, um mehr Akzeptanz für den Abbau der Tierhaltung zu gewinnen?

Auf jeden Fall. Ein Punkt ist, dass die wirtschaftlichen Sektoren gleich behandelt werden müssen. Im vergangenen Jahr forderte Johan Remkes, ein unabhängiger Experte und Berater, in einem Bericht, dass wegen der ökologischen Krise die Stickstoffemissionen aus allen Sektoren halbiert werden müssen – nicht nur aus der Landwirtschaft, sondern auch aus Industrie und Verkehr inklusive dem Flugverkehr.

Und was tut die Regierung? Natürlich muss die Industrie nicht schrumpfen. Flughäfen würden sogar ausgebaut werden, wenn wir von MOB das nicht mit rechtlichen Mitteln blockiert hätten.

So ein Vorgehen der Regierung, dass die anderen Sektoren nicht liefern müssen, halten die Bauern für nicht fair. Und sie haben recht.

Deshalb üben wir Druck auf die Ministerien aus, dass Industrie und Verkehr ihre Emissionen auch reduzieren müssen. Sonst wird es keine Akzeptanz in der Landwirtschaft geben.

Gibt es noch andere Gründe, warum die Ablehnung so groß ist?

Die Regierung erklärt den Tierhalter:innen nie, warum die Änderungen überhaupt nötig sind. Sie erklärt nicht, dass wir uns in einer ökologischen Krise befinden. Niemals!

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat bestimmt 30 Pressekonferenzen zu Corona gegeben, aber nicht eine einzige über die Klimakrise oder den Verlust der Artenvielfalt.

"Wir brauchen eine umfassende Erneuerung der Politik nach 30 Jahren marktliberaler Regierung, die auch die Sozialsysteme ruiniert hat."

Viele Bauern halten sich an der Vergangenheit fest und denken, dass sie so weitermachen können wie bisher. Aber wir werden so oder so durch einen enormen Wandel gehen. Die Regierung hat dafür keinen Plan, keine Vision.

Wir von MOB sagen den Bauern, dass es eine gute Zukunft für die Landwirtschaft geben kann, aber dafür muss sie sich verändern. Wir werden von tierbasiertem zu pflanzlichem Eiweiß umstellen.

In Zukunft brauchen wir wahrscheinlich sogar mehr Agrarbetriebe. Jetzt wirtschaften die Betriebe oft auf 100, 200 oder 400 Hektar. Wenn man Kühe hält, kann man das mit zwei Personen bewirtschaften, aber für eine Pflanzenproduktion ist das sehr viel Fläche. Dafür werden mehr Beschäftigte benötigt, die dann auch davon leben können.

Die Proteste sollen nicht nur von betroffenen Tierhalter:innen ausgegangen sein. Stimmt das?

Es ist allgemein bekannt, dass die Proteste von großen Agrarfirmen organisiert und finanziert werden, vor allem von der Futtermittelindustrie. Diese Unternehmen verdienen Milliarden mit Tierfutter und haben großes Interesse daran, dass die Futtermengen nicht zurückgehen.

Gibt es Förderprogramme, um alternative Konzepte zu unterstützen, etwa den Anbau von Hülsenfrüchten?

Nein, die gibt es kaum. Mehr Förderung wäre ein Mittel, um die Akzeptanz zu erhöhen.

... und könnte sicher den bäuerlichen Familien ermöglichen, auf dem Land zu bleiben und weiter Lebensmittel zu erzeugen ...

Ja, viele wollen das, und es ist auch wichtig, dass sie auf dem Land bleiben. Die Landwirtschaft wird ja gebraucht.

Ich denke, wenn die Regierung das Problem nur angemessen erklären würde und einen klaren Plan und eine Vision hätte, wo sie hinwill, sähe die Situation schon komplett anders aus. Es gäbe jetzt auch nicht diese Unsicherheit. Derzeit weiß niemand, wie es weitergeht.

Im November wird in den Niederlanden ein neues Parlament gewählt. Was erwarten Sie für diese Wahl?

Viele Menschen aus dem östlichen und nördlichen Teil der Niederlande, gerade auf dem Land, haben bei den Provinzwahlen aus Protest die BBB gewählt. In diesen Regionen wurde in den letzten Jahren die öffentliche Daseinsvorsorge massiv reduziert, sei es beim Nahverkehr oder bei den Gesundheitseinrichtungen.

Ich erwarte, dass Frans Timmermans als Spitzenkandidat für das rot-grüne Bündnis aus Groenlinks und der sozialdemokratischen PvdA eine Menge dieser Stimmen zurückholen kann. Wir brauchen eine umfassende Erneuerung der Politik nach 30 Jahren marktliberaler Regierung, die auch die Sozialsysteme ruiniert hat.

Und mit Blick auf die Tierhaltung?

Ich erwarte, dass die künftige Regierung einen klaren Plan zur Stickstoffreduktion in allen Sektoren vorlegt. Das wird unvermeidbar auch zu einer substanziellen Reduktion der Tierhaltung führen. Vielleicht schafft man keine Halbierung in fünf Jahren, aber dann in zehn Jahren. Es gibt keine Alternative und das Geld dafür ist ja vorhanden. Wie der Plan genau aussieht, müssen wir abwarten.

 

Redaktioneller Hinweis: Vom 17. bis 19. November findet in Berlin die Konferenz "Tierzahlen runter, und zwar gerecht!" statt. Sie soll Vertreter:innen aus Wissenschaft, Praxis, Politik und Zivilgesellschaft eine Plattform zum Informations- und Wissensaustausch und zur Vernetzung bieten. Organisiert wird das Treffen vom Verein Faba Konzepte, in dem auch die freiberufliche Autorin und Referentin Friederike Schmitz tätig ist.