"Denken, bevor der Bagger kommt!" – lautet das Motto, das Ludwig Hartmann ausgegeben hat. Der studierte Kommunikationsdesigner ist Sprecher des Bündnisses "Betonflut eindämmen", das derzeit in Bayern für einige Furore sorgt.
Das Bundesland verliere wegen der hier besonders grassierenden Bauwut sein Gesicht, ist das Bündnis überzeugt, die Menschen verlören ihre Heimat. „Ich kämpfe für eine sparsame und intelligente Nutzung unserer geerbten Natur und Kulturlandschaft", verkündet Hartmann, der auch Spitzenkandidat der Grünen bei der Landtagswahl im Oktober ist, auf der Homepage des Bündnisses, das ein "Volksbegehren gegen den Flächenfraß" durchführen will.
Das Bündnis greift ein Thema auf, das viele umtreibt, gerade im südlichsten Bundesland, das sich – Motto "Laptop und Lederhose" – gerne als ideale Symbiose von Modernität und Heimatbewahrung anpreist. Fast überall im Freistaat gab es in den letzten Monaten Proteste gegen die Ausweisung neuer Gewerbegebiete – so in Gauting bei München, in Mittelstetten in Oberbayern, im Allgäuer Argental, in Weiden in der Oberpfalz, in Mering bei Augsburg oder in Erlangen.
Vor allem auf dem Land läuft der Protest. "Wir wollen Dorf bleiben", kann man dort auf Transparenten lesen, und im Fichtelgebirge schrieben Zeitungen von einem "Baueraufstand", weil Bauern sich weigern, Äcker für einen Gewerbepark zu verkaufen.
Bayerns Flächenfraß soll auf fünf Hektar pro Tag sinken
Dass es bei dem Thema besonders in Bayern rumort, kommt nicht von ungefähr. Der Flächenverbrauch ist dort doppelt so hoch wie etwa im Nachbarland Baden-Württemberg oder in Nordrhein-Westfalen. Pro Tag werden nach Behördenangaben rund zehn Hektar in Siedlungs- und Verkehrsfläche umgewandelt – das Bündnis spricht sogar von 13 Hektar.
Über 30 Organisationen haben sich in dem Bündnis zusammengeschlossen, darunter Umweltverbände wie der Bund Naturschutz und Fossil Free München, aber auch der Bauernverein, das Katholische Landvolk und die Parteien Grüne, Linke und ÖDP.
Was tun?
- Regionen und Kommunen sollen angemessene Obergrenzen für den künftigen Flächenverbrauch gesetzt bekommen. Die Bundesländer sollen ihre Raum-Ordnung und Landesplanung konsequent auf das Ziel des "Flächensparens" ausrichten.
- Statt Wohn- und Gewerbegebiete auf der "grünen Wiese" zu bauen, soll die öffentliche Hand die Innenentwicklung von Siedlungen sowie die Instandsetzung und Modernisierung bestehender Gebäude und Infrastrukturen fördern.
- Innerstädtische Brach- und Freiflächen sollen bebaut werden.
- Der Bund soll die erleichterte Ausweisung von Flächen im Außenbereich (Paragraf 13b des Baugesetzbuches) wieder abschaffen.
- Ein "Handel mit Flächenzertifikaten" – analog zum Emissionshandel – soll eingeführt werden, der sicherstellt, dass eine festgelegte Obergrenze des Flächenverbrauchs insgesamt eingehalten wird. Die Zertifikate können dabei von den Kommunen untereinander gehandelt werden.
So schaffte es das Bündnis, binnen weniger Monate rund 50.000 Unterschriften für ein Volksbegehren zu sammeln. Das Ziel: den Flächenfraß zumindest zu halbieren – auf fünf Hektar täglich.
Doch das CSU-geführte Innenministerium lehnte die Zulassung des Volksbegehrens ab. Nun musste der Bayerische Verfassungsgerichtshof entscheiden, ob die Staatsregierung die Genehmigung doch erteilen muss.
Die Entscheidung fiel am heutigen Dienstag – gegen das Bündnis. Das Gericht lässt das Volksbegehren zur Begrenzung des Flächenverbrauchs nicht zu. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung seien "nicht gegeben", heißt es in dem Urteil.
Doch natürlich nicht nur in Bayern, bundesweit läuft der Flächenfraß. Täglich werden derzeit laut Umweltbundesamt (UBA) rund 60 Hektar Land für Siedlungs- und Verkehrszwecke umgewandelt – das entspricht rund 85 Fußballfeldern. Zwar war der Flächenverbrauch zumindest bis 2016 rückläufig (neuere Zahlen gibt es nicht). Am stärksten war er Ende der 1990er Jahre, damals gingen pro Tag sogar knapp 130 Hektar verloren.
Doch das in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie von der Bundesregierung festgelegte Ziel, bis 2020 auf nur noch 30 Hektar zu kommen, ist realistischerweise nicht mehr zu schaffen. Auch wie der völlige Stopp des Verbrauchs zu erreichen wäre, den die Regierung sich in ihrem langfristigen Klimaschutzplan für 2050 vorgenommen hat, steht in den Sternen.
Die negativen Folgen des Flächenfraßes sind vielfältig. Wie fatal er auf Dauer wirkt, zeigt ein Gedankenspiel: Wäre es bei dem hohen Verbrauch von Ende der 1990er Jahre geblieben, wären die Landwirtschaftsflächen der Bundesrepublik rund 400 Jahre später komplett versiegelt gewesen. Doch auch beim jetzigen Tempo wäre das in 850 Jahren erreicht.
"Das alleine zeigt schon, dass der Flächenverbrauch nicht nachhaltig ist und wir möglichst schnell auf netto null kommen müssen", sagt UBA-Expertin Gertrude Penn-Bressel. Das heißt: "Wenn irgendwo Boden versiegelt wird, muss dieselbe Fläche anderswo renaturiert werden."
Der Flächenverbrauch wirkt vor allem auf drei Felder negativ – auf den Umwelt- und Klimaschutz, die heimische landwirtschaftliche Produktion sowie die Siedlungsstrukturen und damit die Vitalität der Ortszentren.
Mehr bebaute Flächen bedeuten weniger und stärkere zerschnittene Lebensräume für Tiere und Pflanzen, was zum weiteren Schwund vor allem bei Insekten und Vogeln beiträgt. Die Versiegelung durch Straßen und Siedlungen führt außerdem zu mehr Überschwemmungen – Regenwasser rauscht sofort in die Kanalisation und dann in Bäche und Flüsse, statt von den Böden aufgenommen zu werden und erst langsam abzufließen.
Mehr Wohn- und Gewerbeflächen – mehr Klimaprobleme
Hinzu kommt, dass der Bauboom es schwieriger macht, die Klimaschutzziele zu erreichen. Wenn die Wohn- und Gewerbefläche wächst, muss auch mehr Fläche beheizt werden, und der Gebäudebereich ist heute schon mit rund 40 Prozent die größte CO2-Quelle. Zudem erzeugen neue Siedlungen auch mehr Verkehr, ebenfalls ein Klimaproblem.
Sehr problematisch ist auch, dass neue Wohngebiete fast immer zu Lasten von Ackerböden und Weiden gehen. "Die Wachstumsregionen sind meist dort, wo wir gute landwirtschaftlichen Böden haben, in Flusstälern und auf Schwemmböden", erläutert Penn-Bressel. "Wir legen die besten Böden unter Beton."
Die Folge: Entweder muss die Agrarproduktion in Deutschland noch weiter intensiviert werden, um dieselbe Menge an Lebensmitteln erzeugen zu können. Oder aber der Import steigt, vor allen aus Entwicklungsländern, wo dann die Selbstversorgung der Bevölkerung weiter gefährdet wird.
Doch auch für die Siedlungsstruktur und das Landschaftsbild ist die Ausweisung neuer Wohn- und Gewerbegebiete sowie von Einkaufszentren negativ. Da sie meist an der Peripherie der Gemeinden und Städte liegen, trägt das zur Verödung der Ortszentren bei, wo kleine Lebensmittelläden, Metzger, Bäcker und Bekleidungsläden verschwinden. Bürger, die kein eigenes Auto haben, sind von der Versorgung abgeschnitten, und vielfach werden die über Jahrhunderte gewachsenen Stadt- und Dorfbilder durch hässliche Einkaufszentren und Gewerbebauten überformt.
Expertin Penn-Bressel treibt die Sorge um, dass sich die zuletzt positive Tendenz beim Flächenverbrauch angesichts des aktuellen Drucks auf den Wohnungsmarkt besonders in den Ballungsgebieten wieder umkehren könnte. "Dort wird wieder viel gebaut, während sich die ländlichen Räume entleeren, ohne dass dort entsprechend Infrastruktur rückgebaut wird."
Immer mehr maßgebliche Politiker erkennen aber, dass mit den Methoden aus den 1990er Jahren die Wohnungsprobleme nicht zu lösen sind. Damals entstanden die großen Einfamilienhaus-Siedlungen. Es müssten neue Wege im Wohnungsbau gegangen werden, schrieben gerade erst die Oberbürgermeister von 18 Groß- und Mittelstädten, darunter Köln, Dortmund und Leipzig, in einem Memorandum für "Mehr Nachhaltigkeit der Bauland- und Bodenpolitik".
"Wir können und wollen der Raumnot wachsender Städte nicht einfach mit dem Bauen auf dem Acker begegnen", heißt es darin.