Holzhausen ist ein kleiner Weiler zwischen Gießen und Marburg. Etwas über 30 Menschen leben hier auf gerade mal sechs Höfen. Die meisten von ihnen widmen sich noch wie ihre Vorfahren der Landwirtschaft – wenn auch mit modernen Maschinen. Sie haben Kühe oder Schweine, Getreide, Obstbäume und Wald. In einer Zeit, wo die Kinder nicht mehr selbstverständlich in die Fußstapfen der Eltern treten und den Betrieb übernehmen, sondern in die Welt hinaus ziehen, sorgen sich die Zurückgebliebenen um die Zukunft des Dorfes.
So sind die Einwohner Holzhausens froh, Zuwachs bekommen zu haben, der zupacken kann. Mit Ann Marie Weber und Niels Noack zog vor rund zwei Jahren eine junge Familie mit inzwischen drei Kindern in das Dorf, die sich der Selbstversorgung verschrieben hat. Schon bald darauf gründeten sie unter dem Namen Allmende Holzhausen ein vielversprechendes Nachbarschaftsprojekt, das an alte Traditionen in der Region anknüpft. Der Begriff "Allmende" stammt noch aus dem Hochmittelalter und bedeutet "von allen genutztes und gepflegtes Gemeingut". Früher waren das vor allem Weiden für das Vieh.
"Was Niels da macht, ist das wiederholen, was hier üblich war", erklärt der Ortsvorsteher von Holzhausen, Lothar Nau. "Bei uns gibt es noch Genossenschaftswald. Ein Teil des Holzes wird vom Dorf genutzt, als Brennholz, ein anderer – das Wertholz – verkauft. Früher gab es auch einen Schäfer, der hatte hier das Wohnrecht. Er hütete seine eigenen Schafe und die des Dorfes. Im Sommer standen sie auf den dorfeigenen Flächen, im Winter bei den Landwirten."
Es gab auch einen Gemeindebullen, der alle Kühe deckte. Reihum sorgte immer ein anderer Hof für jeweils ein Jahr für ihn. "Wer ihn hielt, musste ihn unterhalten. Dafür bekam er eine Wiese dazu", erzählt Nau.
Ins Einmachglas und den Gärtopf
"Eines der Ziele des heutigen Allmende-Vereins ist es, durch die lokale Erzeugung von Lebensmitteln und ihre Weiterverarbeitung regionale Stoffkreisläufe und Netzwerke zu stärken", erklärt Noack. Finanziert über das Bundesprogramm "Kurze Wege für den Klimaschutz" entsteht auf dem Hof der Familie gerade eine Einmachküche, in der lokale Ernteüberschüsse gemeinsam haltbar gemacht und später aufgeteilt werden sollen.
Dieses Jahr war ein gutes Obstjahr, und so reihen sich schon jetzt im Lager Gläser mit eingemachten Kirschen und Mirabellen aneinander, ebenso wie Apfelmus, Quittengelee und Kisten voll Saft. Ein guter Teil der Früchte wurde gespendet: "Es waren so viele Kirschen am Baum, dass wir froh waren, dass sie jemand verarbeitet hat", erzählt Marianne Dörr. "Wir hätten ja gar nicht gewusst, was wir mit so vielen Kirschen anfangen sollen."
In Zeiten, in denen die Menschheit radikal ihren Treibhausgasausstoß verringern muss, lohnt auch in Hinblick auf die Einmachküche ein Blick in die Vergangenheit: Wie konservierten unsere Vorfahren vor 1950 ihre Lebensmittel? So probte sich der Allmende-Verein Holzhausen diesen Sommer darin, mithilfe eines selbstgebauten Solartrockners Kirschen zu trocken und experimentierte damit, verschiedenes Gemüse zu fermentieren.
"Das ist etwas, an das die ältere Generation noch anknüpfen kann", erzählt Weber. "Auf dem Oberstadtmarkt in Marburg, wo wir einmal im Monat einen Stand haben, lassen wir die Menschen unsere Sachen probieren. Die jüngeren finden das milchsaure Gemüse lecker, aber gewöhnungsbedürftig, bei den älteren aber weckt der Geschmack Erinnerungen, und sie fangen an zu erzählen!"
Auf dem Markt hat der Verein die Möglichkeit, Obst, Gemüse und daraus entstandene Kreationen gegen Spende abzugeben. Gleichzeitig eröffnet der Stand dem Projekt die Chance, mit einem größeren Personenkreis in Kontakt zu kommen und so, als Schnittstelle zwischen Stadt und Land, Wissen weiterzugeben.
Stärkung lokaler Strukturen
Politische Bildungsarbeit zum Klimaschutz und zu damit verwandten Themen ist ein wesentlicher Bestandteil der Vereinsarbeit. So finden in Holzhausen mehrmals im Jahr Workshops statt, in denen die Teilnehmenden etwa lernen können, einen Komposthaufen anzulegen oder Kräutersalz herzustellen. Vorträge zu Permakultur, den planetaren Grenzen oder der Debatte über ein neues Erdzeitalter – das Anthropozän – unterfüttern das Projekt inhaltlich.
Kurze Wege für den Klimaschutz
Das Förderprogramm "Kurze Wege für den Klimaschutz" rief das Bundesumweltministerium im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative ins Leben. Es unterstützt in diesem und dem kommenden Jahr insgesamt 126 Nachbarschaftsprojekte, die eine effiziente und ressourcenschonende Lebensweise im kommunalen Umfeld vorantreiben, wie urbane Gärten oder Radverleihsysteme.
"Die eingereichten Projektideen zeigen die vielfältigen Handlungsspielräume und das große Potenzial nachbarschaftlichen Engagements für den Klimaschutz", sagt ein Sprecher des Ministeriums. Wichtig seien beim Klimaschutz alle gesellschaftlichen Ebenen.
Somit betreibt der Allmende-Verein gleich auf mehreren Ebenen Klimaschutz: Er sensibilisiert die Menschen im Dorf und Umland dafür und stärkt die lokalen Strukturen. Und indem er die dortigen Ernteüberschüsse, statt sie auf den Feldern oder unter den Bäumen liegen zu lassen, zu Lebensmitteln veredelt, verkürzt er die Transportwege von ihrer Herstellung bis auf den Teller.
Auch Abfallprodukte finden Verwertung: Als Vereinsmitglieder und Gäste auf dem Apfelfest im Oktober mit der ortseigenen hydraulischen Presse viele Kisten Äpfel zu Saft pressten, landete der Trester anschließend im Futtertrog der Dorftiere. Im Gegenzug bekommen Noack und Weber dafür von den Bauern Mist für ihre Kompostmiete.
Feste wie die "Apfelsaftparty" bieten aber nicht nur die Möglichkeit, Saft herzustellen und von den konservierten Lebensmitteln zu kosten. Sie sind ebenso wie die anderen Veranstaltungen Orte der Begegnung. "Speziell die Workshops sprechen Leute in der Region an, die ebenfalls in der einen oder anderen Form selbstversorgerisch tätig sind und diesen Rahmen nutzen, um Erfahrungen auszutauschen", bemerkt Noack.
Weber ist studierte Pädagogin, Noack Geologe. So verwundert es nicht, dass auch die Forschung in ihrem Projekt eine zentrale Rolle spielt. "Was braucht es, damit ein Bauer seine Überschüsse bereitstellt oder damit Leute, die zu den Veranstaltungen kommen, auf ihr Auto verzichten?", fragt Weber.
Eine berechtigte Frage, denn wenn die Entfernungen, die die Menschen dorthin zurücklegen, so groß werden, dass sie dafür doch wieder ihren Pkw nutzen, dann macht es eher Sinn, dass sie dort, wo sie leben, selbst ein ähnliches Projekt gründen. "Was wir hier in Holzhausen machen, ist auf andere Dörfer, Stadtteile oder Straßenzüge übertragbar", gibt sich Noack überzeugt – getreu nach dem Motto: Schafft eine, mehrere, viele Allmenden.