Auf dem Klimagipfel in Sharm el-Sheikh demonstrieren Frauen für Menschenrechte, man sieht vor allem die Presse in großer Zahl.
Demonstration für Menschenrechte auf dem Konferenzgelände in Sharm el-Sheikh. (Foto: Screenshot/​Cansın L/​Twitter)

Klimareporter°: Frau Elhussieny, Tausende Delegierte, NGO- und Medienvertreter:innen sind in Sharm el-Sheikh, um an der COP 27, der 27. Weltklimakonferenz, teilzunehmen. Was erwarten Sie von der Konferenz?

Samar Elhussieny: Wir hatten hohe Erwartungen an die COP. Wir forderten die Freilassung willkürlich inhaftierter politischer Gefangener und die Beendigung des Verbots von 700 Websites, zum Beispiel von Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Medien.

Bisher kamen nur wenige Aktivist:innen frei. Stattdessen wurden in den vergangenen Wochen 1.500 Menschen, die zu dezentralen Protesten aufriefen, festgenommen. Und nur bei zwei Websites wurde die Sperre aufgelöst – eine davon ist die von Human Rights Watch. Wir hatten hohe Erwartungen, aber in Ägypten kann man nur auf Minimales hoffen.

Lassen Sie uns kurz über die Konferenz selbst sprechen. Fossile Konzerne expandieren in Afrika, während die Folgen des Klimawandels gerade im globalen Süden immer katastrophaler werden. Haben Sie die Hoffnung, dass dieser Gipfel zu mehr globaler Gerechtigkeit führen wird?

Nun, für globale Gerechtigkeit müssen wir uns auch mit nationalen Ungerechtigkeiten befassen. Wir hatten gehofft, dass es mehr Analysen der nationalen Klimapolitik geben würde, um Länder ins Rampenlicht zu rücken, die ökologische Fragen ignorieren. Ägypten gehört sicherlich dazu. Die internationale Gemeinschaft muss kritisieren, dass in Ägypten keine offene Auseinandersetzung über Klimaschutz möglich ist. Das Regime hat alle NGOs vereinnahmt oder verboten.

Porträtaufnahme von Samar Elhussieny.
Foto: privat

Samar Elhussieny

ist Mitglied im Egyptian Human Rights Forum. Die studierte Politik- und Rechts­wissen­schaftlerin, die für verschiedene Organisationen gearbeitet hat, lebt seit einem Einreise­verbot durch die ägyptischen Behörden 2017 in Europa.

Natürlich tragen die Industrienationen, wie Deutschland und die USA, die größte Verantwortung für den Klimawandel und müssen daher die am stärksten gefährdeten Länder finanziell unterstützen. Bisher gab es dafür auf der COP keinen Durchbruch.

Es muss aber auch sichergestellt werden, dass das Geld wirklich für Klimaschutz verwendet oder an vom Klimawandel betroffene Gemeinden weitergegeben wird. In Ägypten wurden Gelder aus internationalen Fonds, die für einen bestimmten Zweck bereitgestellt wurden, schon oft für etwas ganz anderes verwendet. Finanzielle Unterstützung hilft also nur dann, wenn sie richtig eingesetzt wird.

Es gab auch schon Proteste von Klima- und auch Menschenrechtsaktivist:innen auf der Konferenz. Sind Sie überrascht, dass das möglich ist?

Nun, die COP findet unter dem Dach der Vereinten Nationen statt. Auf dem COP-Gelände sind also bestimmte Proteste erlaubt. Aber außerhalb dieses Bereichs ist Protest unmöglich. Während es auf dem Gelände Proteste gab, hat das ägyptische Regime Aktivist:innen an anderen Orten im Land verhaftet.

Es ist ganz anders als bei vergangenen Klimagipfeln. Letztes Jahr demonstrierten zum Beispiel in Glasgow Tausende auf den Straßen.

Sharm el-Sheikh als Austragungsort ist auch ziemlich exklusiv und schwierig zu erreichen. Nicht die beste Voraussetzung für zivilgesellschaftliche Teilhabe ...

Es ist kein Zufall, dass die ägyptische Regierung Sharm el-Sheikh als Austragungsort für die COP ausgewählt hat. Die Stadt liegt buchstäblich in der Wüste. Es gibt nichts außer teuren Hotels und Resorts. Für viele Organisationen, besonders aus Afrika, ist es unmöglich teilzunehmen.

Sie erwähnten 1.500 Festnahmen in den vergangenen Wochen. Ägyptische Organisationen wie COP Civic Space hatten für den 11. November zu dezentralen Protesten aufgerufen. Gab es welche?

Nein, es gab nicht einmal einen kleinen Protest. Es gab nichts. Die Regierung verhaftete die 1.500 Aktivist:innen, bevor es überhaupt zu Protesten kam. Nur, weil sie dazu aufgerufen hatten. Deshalb wagte niemand, am 11. November zu protestieren.

Es gab mehrere Veranstaltungen zur Menschenrechtslage, zum Beispiel eine Rede von Sanaa Seif, der Schwester von Alaa Abdel Fattah, einem inhaftierten politischen Blogger. Welche Bedeutung haben solche Events?

 

Es gab ein paar sehr wertvolle und wichtige Veranstaltungen. In einigen Diskussionen schalteten sich sogar Organisationen aus Kairo, die nicht an der COP teilnehmen durften, online dazu. Es gab also einige Möglichkeiten, um die Öffentlichkeit über die Situation hier zu informieren und Kritik zu äußern. In den letzten Wochen wurde mehr über die Lage in Ägypten geschrieben als in den vergangenen acht Jahren.

Bei diesen Veranstaltungen filmten ägyptische Sicherheitskräfte die Teilnehmer:innen. Erwarten Sie rechtliche Konsequenzen für die Ägypter:innen, die teilgenommen haben?

Es gibt viele Spekulationen über Vergeltungsakte des Regimes. Es liegt in der Verantwortung der UN und einzelner Länder, dies zu verhindern. Wenn die Welt weiterhin beobachtet, was in Ägypten passiert, kann das Regime nicht tun, was es will.

Aber ja, davor haben viele von uns Angst. Es kursieren sogar Witze unter Aktivist:innen, ob die Vereinten Nationen die COP nicht um ein ganzes Jahr verlängern könnten, damit die Ägypter:innen die relative Freiheit noch etwas länger genießen können.

Wie auch die anderen Mitglieder im Egyptian Human Rights Forum leben Sie nicht mehr in Ägypten. Wann waren Sie das letzte Mal dort?

2017 war das letzte Mal. Ich wollte Ende 2018 noch einmal nach Ägypten, weil mein Vater inhaftiert wurde und ich ihn unterstützen wollte. Aber meine Anwält:innen und andere Aktivist:innen rieten mir dringend davon ab. Sie befürchteten, dass ich sofort am Flughafen festgenommen werden würde.

Jedes Mitglied des Egyptian Human Rights Forum hat ein Reiseverbot, wurde von den staatlichen Medien öffentlich beschimpft oder sogar von den ägyptischen Behörden mit Ermordung bedroht. Wir können alle nicht zurück. Deshalb wollen wir Ägypter:innen in der Diaspora verbinden und eine Bewegung außerhalb Ägyptens schaffen, um die Menschen im Land zu unterstützen.

Apropos Bewegung. Hoffen Sie, dass der Gipfel zu einem Cross-Movement zwischen Klima- und Menschenrechtsbewegung führt?

COP 27 in Sharm el-Sheikh

Bei der 27. UN-Klimakonferenz in Sharm el-Sheikh geht es um die Zukunft des globalen Klimaschutzes. Ein Team von Klimareporter° ist vor Ort in Ägypten und berichtet mehrmals täglich.

Das ist bis jetzt das beste Ergebnis der COP. Die Klimabewegung solidarisiert sich deutlich mit dem Kampf in Ägypten. Die meisten Klimaaktivist:innen verstehen, dass es ohne Menschenrechte keine Klimagerechtigkeit gibt. Es wäre heuchlerisch von Umweltorganisationen, nach Ägypten zu kommen und so zu tun, als sei alles in Ordnung.

Außerdem unterdrückt das ägyptische Regime nicht nur Menschenrechtsaktivist:innen, sondern jede Form von Aktivismus, auch für das Klima. Eine gemeinsame Bewegung kommt beiden Kämpfen zugute.

Was können internationale Delegierte und Medienvertreter:innen tun?

Halten Sie Ägypten im Rampenlicht. Das Regime kann Medien außerhalb Ägyptens nicht unterdrücken. Und andere Länder sollten die Menschenrechte als Voraussetzung für die Zusammenarbeit einfordern.

Journalist:innen müssen die Geschichten politischer Gefangener hervorheben, das wahre Gesicht dieses Regimes enthüllen und die Gelegenheit nutzen, um die Realität des ägyptischen Volkes darzustellen.

Das Interview in der englischen Originalfassung finden Sie hier.

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