Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Kuratoriums erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.
Klimareporter°: Herr Willenbacher, was ist für Sie als Gründer und Geschäftsführer von Wiwin, einer Online-Plattform für nachhaltiges Investieren, und neues Mitglied im Klimareporter°-Kuratorium das wichtigste Problem, das derzeit auf dem Tisch liegt?
Matthias Willenbacher: Der Klimawandel! Wir können nicht länger warten, effektive Maßnahmen zum Klimaschutz zu ergreifen.
Wir stehen vor dem sprichwörtlichen brennenden Haus, in dem unsere Kinder sind, und müssten den ganzen Wassertank des Feuerlöschzugs draufspritzen, um das Feuer zu löschen und unsere Kinder zu retten. Doch die Groko sagt weiterhin: "Nein, wir löschen nur ein bisschen, wir können das Wasser noch für etwas anderes gebrauchen."
Es wird aber nichts anderes mehr geben, wenn das Haus erst mal abgebrannt ist. Künftige Generationen haben dann keine Chance mehr. Die Groko hat kein Interesse am Klimaschutz und vertritt primär die Interessen der Wirtschaft, große Teile von ihr betreiben Greenwashing durch symbolische Aktionen – wir aber müssen handeln!
Die Dringlichkeit wird zum einen in unserer Umwelt deutlich – Extremwetterereignisse, Halbierung der Tierbestände in den Wäldern, Dezimierung der Waldflächen –, zum anderen in unserer Gesellschaft: Die Fridays-for-Future-Bewegung zeigt, dass die kommende Generation das bisherige Aufschieben des Klimaschutzes durch unsere Generation nicht mehr hinnimmt.
Aufklärung und Berichterstattung über Klimathemen sind elementar für den Wandel in unserer Gesellschaft. Deshalb war ich als Gründer und Vorstand des Erneuerbaren-Entwicklers Juwi bereits Mitherausgeber des Vorgängerportals Klimaretter.info und bin jetzt als Wiwin-Gründer und -Geschäftsführer im Klimareporter°-Kuratorium.
Mit Wiwin vermitteln wir unter anderem Investitionen an nachhaltige Startups. Denn die engagieren sich für grüne Innovationen und sozialen Wandel, statt wie Groko und Wirtschaft alte Strukturen und Modelle zu verteidigen.
Die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer hat zu Wochenbeginn eine "Abwrackprämie" für alte Ölheizungen und eine generelle Energiesteuerreform vorgeschlagen. Wie glaubwürdig sind diese Initiativen?
Absolut unglaubwürdig. Sie sind genauso Teil dieser symbolischen Aktionen von Politik und Wirtschaft. Die "Abwrackprämie" wird schon seit Jahren von der Öl-Lobby gefordert, Kramp-Karrenbauer bringt sie nun als Lobby-Sprachrohr ein.
Aber die Umstellung von alten auf neue Ölheizungen bringt nicht den nötigen Wandel – es wird ja weiter mit Öl geheizt. Zudem bleiben die Millionen veralteter Gasheizungen, die ebenfalls ausgetauscht werden müssten, außen vor.
Was wir brauchen, ist echter Wandel, eine Sektorkopplung und die grundlegende Umstellung auf erneuerbare Energien. Technisch bedeutet das den ausschließlichen Einsatz von Wärmepumpen, Pelletheizungen und Blockheizkraftwerken mit Biogas oder von Brennstoffzellen mit aus Solarstrom hergestelltem Wasserstoff.
Zu kombinieren ist die technische Umstellung durch Maßnahmen zur Energieeinsparung wie Wärmedämmung, neue Fenster, Gebäudeautomation und energiesparende elektrische Geräte.
Sinnvoller und glaubwürdiger als die Abwrackprämie wären neben Anreizen für Hausbesitzer auch solche für Vermieter zur Gebäudedämmung und zum Umstieg auf die genannten Heiztechnologien. Die Einsparungen kämen neben dem Klima auch den Mietern zugute.
Der mächtige Energie-Branchenverband BDEW wird ab November von der Grünen-Politikerin Kerstin Andreae geführt. Was erwarten Sie davon?
"Meine größte Motivation war immer, die Verbindung zwischen Ökologie und Ökonomie zu erreichen, Wirtschaft und Politik zusammenzudenken und zusammenzubringen", hat Kerstin Andreae diese Woche auf ihrer Facebook-Seite geschrieben. Und weiter:
"Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind so groß, dass wir dies nur gemeinsam bewältigen können. Der Verband ist einer der großen Gestalter der Energiewende. Nicht das Ob wird diskutiert, sondern das Wie. Viele fragen sich, ob ich nun Lobbyarbeit mache. Das beantwortete ich mit einem ganz klaren 'Ja'.
Lobbyarbeit für die Energiewende, Lobbyarbeit für die Lebensadern Wasser und Energie, für den Klimaschutz. Ich halte das für dringend notwendig. In diesem Sinne möchte ich das, was ich 17 Jahre lernen und kennenlernen durfte, nun in einem neuen Bereich umsetzen."
Lobbyarbeit für Energiewende und Klimaschutz begrüße ich natürlich. Für einen offenen Austausch zu diesen Themen stehe ich ihr gern zur Verfügung.
Und was war Ihre Überraschung der Woche?
Diese Woche hat mich erneut überrascht, was für Maßnahmen doch alles als "unsozial" bezeichnet werden, wenn es um die Verhinderung von Klimaschutz geht.
Der Kognitionspsychologe Christian Stöcker hat dazu geschrieben: "Interessanterweise wird der Begriff 'unsozial' im Zusammenhang mit klimapolitischen Fragen erstmals intensiv auch von Leuten genutzt, die sich bislang fürs Soziale nicht so interessiert haben. Gerade Politiker, die Umverteilung gern als 'Gleichmacherei' verurteilen, verweisen plötzlich auf 'soziale Gerechtigkeit', wenn es um eine einheitliche CO2-Besteuerung und den Abbau klimaschädlicher Subventionen geht."
Genau das trifft auch auf die Förderung der erneuerbaren Energien zu. Durch die EEG-Umlage-Befreiung der energieintensiven Industrie wurden und werden einkommensschwächere Bürger stärker belastet. Die alleinerziehende Mutter subventioniert hier die Stahlindustrie – das ist unsozial.
Die gleichen Politiker, die der Industrie das Geschenk der EEG-Umlage-Befreiung gemacht haben, nennen heute die CO2-Steuer "unsozial". Eine Abgabe zur gezielten Förderung von Klimaschutz, die sich in der Höhe am jeweiligen CO2-Ausstoß jedes einzelnen orientiert, benachteiligt jedoch nur diejenigen, die einen hohen CO2-Ausstoß haben.
Und das sind ja bekanntlich Viel- und Langstreckenflieger, SUV-Fahrer, Viel-Fleisch-Esser, Villen-Bewohner und ähnliche sozial bevorteilte Gruppen. Tatsächlich ist es doch viel "unsozialer", keine Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen. Zum einen für den globalen Süden, der unter den Auswirkungen des Klimawandels noch stärker leidet als wir in Europa.
Zum anderen für all diejenigen, die mit den Folgen des Klimawandels in Deutschland klarkommen müssen. Und das ist am Ende jeder einzelne – egal ob Hausbesitzer oder Mieter, ob Stadt- oder Landbewohner, ob einkommensschwach oder einkommensstark.
Fragen: Jörg Staude