Kunstaktion: Brennendes Bäumchen
Kunstaktion und Sinnbild für die Klimakrise: Brennendes Bäumchen auf dem Berliner Alexanderplatz. (Foto: Sandra Kirchner)
Lange haben wir nur über Corona geredet. Das ist nun vorbei. Fridays for Future ruft wieder zum Klimastreik auf, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigt ambitionierte Klimaziele an, und sogar Wirtschaftsminister Peter Altmaier mischt sich mit einer Klima-Charta in die Debatte ein. Damit ist die Klimapolitik wieder ganz oben auf der Agenda.
 

Das ist gut so und eine willkommene Gelegenheit, um ein grundsätzliches Missverständnis aus dem Weg zu räumen: Das Klima braucht keinen Schutz! Weder möchte das Klima geschützt werden, noch ist es in irgendeiner Weise an sich gefährdet.

Das Klima verändert sich. Dabei verfolgt es keine Interessen oder Ziele. Schließlich ist es nicht das Klima, das etwas will, sondern wir Menschen. Wir wollen ein Klima, das zu unserer Spezies und möglichst auch zu unserer Lebensweise passt. Das ist der entscheidende Grund, etwas in Bezug auf die Klimaveränderung zu tun.

Deswegen ist die Redeweise vom "Klimaschutz" schlicht falsch. Ebenso verfehlt sind Redewendungen wie "etwas für das Klima zu tun", "klimafreundlich sein" oder "dem Klima schaden". Dem Klima ist das Klima herzlich egal. Trotzdem hören und lesen wir diese Aussagen täglich in allen Medien.

"Na und?", könnte man an dieser Stelle geneigt sein zu fragen. Dieses "Problem" ist doch nur eine sprachliche Spitzfindigkeit. Alle wissen doch genau, worum es wirklich geht, wenn wir so sprechen.

Genau das glauben wir nicht. Unsere Sprache ist Ausdruck unseres Denkens. Die Sprechweise vom "Klimaschutz" verdeutlicht, dass wir das eigentliche Problem noch nicht verinnerlicht haben oder es gar verdrängen.

Wir schützen nicht das Klima, sondern uns

Wir reden so, als ginge es darum, etwas für jemand anderes zu tun – für jemanden, der weit entfernt ist. Dieser jemand ist das Klima. Folglich könnte man auch etwas anderes tun. Zum Beispiel sich um Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze oder einfach den nächsten Urlaub auf den Balearen sorgen.

Porträt Okka Lou Mathis
Foto: DIE

Okka Lou Mathis

ist wissen­schaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Entwicklungs­politik (DIE) im Bereich Umwelt­governance. Die Politik­wissen­schaftlerin arbeitet an ihrer Dissertation über "Trans­formative Institutionen".

Somit verschleiert die Redeweise von "Klimaschutz", "Klimarettung" und dergleichen den tatsächlichen Handlungsgrund und den akuten Handlungsdruck.

Der Handlungsgrund ist, dass wir etwas tun, das nicht in unserem Interesse sein kann: Wir zerstören unseren Lebensraum auf der Erde.

Der akute Handlungsdruck besteht darin, dass die katastrophalen Folgen dieser Zerstörung immer sichtbarer werden: Waldbrände, Starkregen, Überschwemmungen, Stürme, Trockenheit, Artensterben, Versauerung der Meere, Erosion der Böden, Wasserknappheit, schlechte Ernten. Dabei ist das bislang spürbare Ausmaß wissenschaftlichen Vorhersagen zufolge erst der Anfang.

Woher kommt die missverständliche Rede- und Denkweise von dem Klima, das es angeblich zu schützen gilt? Vermutlich aus dem benachbarten Bereich des Umwelt- und Naturschutzes, speziell als Folge der gedanklichen Trennung zwischen Mensch und Natur.

Diese Trennung ist nicht in jedem Kontext falsch. Man kann zwischen Menschen und Natur unterscheiden. Viele Menschen gestehen der Natur an sich einen Wert zu. Des Weiteren kann man davon sprechen, dass Tiere eigene Interessen und Bedürfnisse haben. Insofern ist die Redeweise vom Naturschutz durchaus sinnvoll.

Porträt Florian Wieczorek
Foto: privat

Florian Wieczorek

hat Philosophie und Politik­wissen­schaft studiert und promoviert zurzeit an der Universität Hamburg zum Thema Recht­fertigung sozialer Ordnung.

Gleichzeitig wird durch diese Perspektive auch in der Berichterstattung über den Kollaps von Biodiversität und Ökosystemen oft ein höchst dringliches menschliches Eigeninteresse verdeckt: Wir müssen unsere Wälder, Fischbestände und die Bienen nicht nur als Selbstzweck retten.

Wir müssen es auch für den Erhalt unseres Lebensraums und damit unserer Existenz tun. Wir Menschen sind immer noch Säugetiere und brauchen einen Lebensraum mit stabilen klimatischen Bedingungen und intakten Ökosystemen.

Ein anderes Narrativ

Weil Sprache unser Denken und Denken unser Handeln prägt, brauchen wir dringend ein anderes Narrativ. Deshalb lasst uns nicht mehr von "Klimaschutz" oder "klimafreundlichem" Verhalten sprechen.

Sprechen wir zum Beispiel lieber darüber, dass wir zum Erhalt unseres "Lebensraums" die Treibhausgasemissionen vermindern müssen. Das vermeidet den Fehler, steigende Temperaturen, Wetterextreme, Artensterben und kollabierende Ökosystem als isolierte, von uns getrennte Probleme zu sehen.

Spätestens jetzt müssen alle verstehen, dass diese Entwicklungen auf dieselbe Katastrophe hinauslaufen: Unser Lebensraum auf der Erde schrumpft. Es passiert genau jetzt, mit zunehmender Geschwindigkeit. Dabei drohen wir unumkehrbare Kipppunkte zu überschreiten.

Das Problem des schrumpfenden Lebensraums ist ein globales. Auch Kolonialisten und Nationalsozialisten haben den Begriff "Lebensraum" verwendet – sie wollten damit allerdings die Aneignung von Land und die Unterdrückung von Menschen rechtfertigen.

Uns geht es hier um das genaue Gegenteil: die Erhaltung des bestehenden Lebensraums für die Menschheit insgesamt. Das Problem betrifft uns alle und wir können es nur gemeinsam lösen. Anderenfalls wird der Kampf um verbleibende Ressourcen und lebenswerte Räume immer weiter zunehmen.

Aus Lebensraum-Perspektive gibt es keine Abwägung zwischen "Klimaschutz" und Wirtschaft. Genauso wenig wie zwischen "Klimaschutz" und Sozialpolitik. Vielmehr ist der Erhalt unseres Lebensraums die Bedingung für alles andere. In einem zerstörten Lebensraum ist kein Platz mehr für Wirtschaft oder Sozialleistungen, wie wir sie kennen.

In diesem Sinne sehen wir uns hoffentlich bald auf der Straße. Zum Beispiel mit folgendem Plakat: "Lebensraum statt Kohlestrom!"

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