"Null Hunger" – so lautet die Forderung, die die Vereinten Nationen 2015 in ihren Zielen für eine nachhaltige Entwicklung verankert haben. Konkret: Bis 2030 soll der Hunger weltweit beendet werden, außerdem soll die Qualität der Ernährung verbessert, der Zugang zu Nahrungsmitteln gesichert und eine nachhaltige Landwirtschaft gefördert werden.
Doch das Ziel rückt wieder in die Ferne: Die Zahl der Hungernden steigt wieder an. Laut dem heute veröffentlichten UN-Ernährungsbericht litten 2017 weltweit rund 821 Millionen Menschen Hunger – also jeder Neunte. Gleichzeitig gibt es weltweit aber auch immer mehr Übergewichtige.
In den letzten Jahrzehnten war der Kampf gegen den Hunger eine Erfolgsgeschichte gewesen. So verringerte sich die Zahl der Unterernährten zwischen 2000 und 2015 um rund 100 Millionen auf 795 Millionen Menschen – und das trotz stark wachsender Weltbevölkerung.
Seither gibt es aber eine Trendwende zum Negativen. In den vergangenen drei Jahren wuchs die Zahl wieder kontinuierlich – auf das Niveau von vor einem Jahrzehnt.
"Es muss schnell mehr getan werden"
"Dieser Rückschritt ist eine eindeutige Warnung", kommentierte das Welternährungsprogramm WFP, das den Bericht zusammen mit der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, der Weltgesundheitsorganisation WHO, dem Kinderhilfswerk Unicef und dem Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung zusammengestellt hat. "Es muss schnell mehr getan werden, um 'Null Hunger' zu erreichen", fordern die UN-Experten.
Die Situation verschlechterte sich 2017 laut WFP vor allem in Afrika und in Südamerika. Hinzu komme, dass sich der Rückgang von Unterernährung in Asien erheblich verlangsamt hat. Vor allem der wirtschaftliche Aufschwung in Ländern wie China, Vietnam oder den Philippinen führte in der Vergangenheit zu einer deutlichen Verbesserung der Ernährungssituation, doch dieser Trend hat sich nach den aktuellen Zahlen abgeschwächt.
Wenig Fortschritte wurden zudem laut dem Bericht bei der Bekämpfung der verschiedenen Formen von Mangelernährung erzielt – von Unterentwicklung bei Kindern bis zu Fettleibigkeit bei Erwachsenen. Dadurch sei die Gesundheit von hunderten Millionen Menschen gefährdet, so die Experten.
Einer der Hauptfaktoren für die Rückschläge im Kampf gegen den Hunger ist der Klimawandel, betont das WFP – neben militärischen Konflikten, Bürgerkriegen und langsamerer wirtschaftlicher Entwicklung.
Die Klimaveränderungen beeinträchtigten schon heute die Produktion von wichtigen Getreidesorten wie Weizen, Reis und Mais sowohl in tropischen wie gemäßigten Regionen. "Es ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung angesichts der steigenden Temperaturen weiter verschärft, sollte die Widerstandsfähigkeit gegen Klimaschwankungen nicht gestärkt werden", heißt es in dem Report.
Auch Fettleibigkeit nimmt zu
Wetterextreme schlugen laut dem Bericht 2017 besonders stark zu. So hätten Hitzewellen landwirtschaftliche Anbauflächen schwerer als in den Vorjahren getroffen, wodurch Ernteverluste entstanden. Als weiteres Problem benennen WFP und Co, dass sich die Regensaison in vielen Ländern verändert. Sie setzt sehr früh oder erst spät ein, und die Niederschläge verteilen sich weniger gleichmäßig innerhalb der Saison.
Groteskerweise nimmt laut dem Report jedoch weltweit nicht nur der Hunger, sondern auch die Fettleibigkeit zu – inzwischen ist mehr als jeder achte Erwachsene auf der Welt fettleibig.
Am größten ist das Problem weiterhin in Nordamerika, wo laut einer Studie der US-Gesundheitsbehörde rund 40 Prozent der Frauen und 35 Prozent der Männer zu dick sind. Allerdings gibt es auch in Afrika und Asien einen Aufwärtstrend.
In vielen Entwicklungsländern herrschen Unterernährung und Fettleibigkeit sogar gleichzeitig – und könnten sogar im selben Haushalt beobachtet werden. Das WFP erklärt letzteres damit, dass Familien ohne ausreichende gesunde Ernährung gleichzeitig eine höhere Risikoanfälligkeit für Übergewicht haben können. So würden dann oft billige kalorienreiche, aber ungesunde Lebensmittel gegessen. Auch der Stress, von Hunger bedroht zu sein, wirke sich negativ aus.
Deutsche finden Bekämpfung des Hungers wichtig
Um den Hungertrend wieder umzukehren, fordern die UN-Agenturen die Ausweitung von Programmen für besseren Zugang zu nahrhaften und gesunden Lebensmitteln. Die besondere Aufmerksamkeit der Politik müsse den Bedürftigsten gelten: Säuglingen, Kinder unter fünf Jahren, schulpflichtigen Kindern, Mädchen und Frauen.
Zudem ruft der Bericht zu größeren Anstrengungen auf, um die Betroffenen gegen den Klimawandel zu wappnen und ihnen möglichst schon vor dem Eintritt von Dürren und Flutkatastrophen zu helfen.
Bei den Bundesbürgern stoßen solche Forderungen auf offene Ohren. Laut einer aktuellen Umfrage von Infratest Dimap im Auftrag der Welthungerhilfe liegt ihnen die weltweite Bekämpfung des Hungers sehr am Herzen. Neun von zehn Bürgern sei die Hungerbekämpfung weltweit wichtig, 53 Prozent sogar "sehr wichtig", teilte die Organisation jetzt mit.
Fast zwei Drittel der Befragten sind danach der Meinung, dass die Bundesrepublik ihr Engagement im Bereich der Hungerbekämpfung ausbauen sollte.