Sonnenuntergang am Ende einer mehrspurigen, von Gebäuden gesäumten Hauptstraße voller Autos.
In den baumlosen Straßen der Großstädte sind Hitzewellen besonders gefährlich. (Foto: Zhang Yang/​Shutterstock)

Das kleine Dorf Lytton im Westen Kanadas hat vor einem Monat tragische Berühmtheit erlangt. Undenkbar war gewesen, was auf den Thermometern als Wahrheit abzulesen war: 49,6 Grad. Ein neuer Rekord für ganz Kanada.

Die Wetterlage, an der der Klimawandel einen deutlichen Anteil hatte, begünstigte auch gefährliche Waldbrände. Lytton brannte kurz nach dem Hitzerekord fast vollständig ab.

Was die Hitzewelle so außergewöhnlich machte, war aber nicht nur der Unterschied zu normalen kanadischen Sommertemperaturen – sondern auch der Abstand zum bisherigen Rekord.

Der betrug fast fünf Grad.

"Prepare for the unthinkable", bereiten Sie sich auf das Undenkbare vor, warnte Erich Fischer von der ETH Zürich kürzlich auf Twitter. Der Klimaforscher wies damit auf eine neue Studie hin, in der er mit zwei Kollegen die Wahrscheinlichkeit "rekordzerschmetternder" Hitzeereignisse untersucht hatte.

Damit sind solche Fälle gemeint wie in Kanada, wo der neue Rekord den alten nicht nur leicht übertrifft, sondern ihn durch einen regelrechten Sprung hinter sich lässt. Genauer: mit zwei Standardabweichungen oder mehr. Vor Beginn der beschleunigten Erderhitzung waren solche sprunghaften Anstiege quasi unbekannt.

Die Studie aus Zürich zeigt nun: Wenn die Konzentration von Kohlendioxid in der Luft weiter ansteigt, steigt auch die Wahrscheinlichkeit solcher rekordzerschmetternden Hitzewellen. In den vergangenen drei Jahrzehnten lag sie in den gemäßigten Breiten der Nordhalbkugel jedes Jahr bei 4,5 Prozent.

Die extreme europäische Hitzewelle im Jahr 2003 mit Zehntausenden Toten war dann ein solches Ereignis. Hitze belastet den Organismus, kann Krankheiten und Verletzungen hervorrufen, bis hin zum Tod.

Die Rekorde werden krasser

Aber wie wird sich das in der Zukunft entwickeln? Im pessimistischsten Szenario, das manche Klimaforscher:innen allerdings für das plausibelste halten, steigt die Wahrscheinlichkeit bis zur Mitte des Jahrhunderts schon auf mehr als ein Fünftel.

Und für 2080, wenn die heute Geborenen in einem kritischen Alter sein werden, gilt die Münzwurf-Wahrscheinlichkeit. Eine Fifty-fifty-Chance auf Hitze bislang unbekannten Ausmaßes, jedes Jahr – das ist das Undenkbare, das Fischer meint.

Die Wissenschaftler haben damit die Perspektive verschoben. Um einzuschätzen, wie außergewöhnlich Temperaturen sind, vergleicht man sie oft mit dem Mittelwert einer Referenzperiode – also mit dem, was als normal gilt. Die Zürcher hingegen verglichen Rekorde mit dem vorherigen Höchstwert.

Das ist für die Anpassung an den Klimawandel wichtig. Katastrophenschutz orientiert sich oft an dem bislang schlimmsten Ereignis. Geht es um Klimakrise und Hitze, funktioniert das nicht. Erfahrungswerte veralten im Handumdrehen.

Politik und Verwaltung müssen also den Perspektivwechsel der Wissenschaftler nachvollziehen: Kühlender Städtebau, Kühlzentren als Zufluchtsort bei gefährlicher Hitze, Feuerwehr-Kapazitäten und vieles mehr – alles muss mit Blick auf immer schlimmere Hitze geplant werden.

Außerdem muss natürlich das Ausstoßen von Treibhausgasen ein Ende nehmen, damit sich die Erde irgendwann auf einem Temperaturniveau einpegelt. Das extreme Wetter wird dadurch nicht verschwinden, der Planet ist dann schließlich immer noch aufgeheizt – aber dass immer neue Rekorde zerschmettert werden, um bei der Formulierung zu bleiben, liegt daran, dass die Erhitzung immer noch weiter befeuert wird.

Hitze tötet bereits

Dabei ist Hitze auch jetzt schon tödlich. Klimaforscher:innen haben im Juni sogar bereits errechnet, welchen Anteil die Klimakrise an den bisherigen Hitzetoten hat: 37 Prozent der weltweiten hitzebedingten Todesfälle aus den vergangenen drei Jahrzehnten sind laut einer Studie der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine auf die Erderwärmung zurückzuführen.

"Wir gehen davon aus, dass der Anteil der hitzebedingten Todesfälle weiter zunimmt, wenn wir nichts gegen den Klimawandel unternehmen und uns nicht anpassen", warnt Leitautorin Ana Vicedo-Cabrera von der Uni Bern. "Bis jetzt ist die globale Durchschnittstemperatur lediglich um rund ein Grad gestiegen, das ist ein Bruchteil dessen, was auf uns zukommen könnte, wenn die Emissionen weiter unkontrolliert wachsen."

Auch das haben andere Wissenschaftler:innen sich schon 2018 genauer angesehen, und zwar im Auftrag der EU-Kommission. Sie prognostizieren, dass allein in der Europäischen Union zum Ende des Jahrhunderts jährlich 152.000 Menschen durch Extremwetterereignisse umkommen werden – fast alle durch Hitze.

Die Forscher:innen sind dabei noch nicht mal vom pessimistischsten, sondern von einem mittleren Emissionsszenario ausgegangen. Was sie nicht einbezogen haben: dass die Menschen sich anpassen könnten. Dass also das gelingt, was sich nach den Ergebnissen der neuen Züricher Studie so schwer anhört: das Leben der Menschen so zu gestalten, dass sie mit dem Knacken undenkbarer Hitzerekorde umgehen können.

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