Moorschutz ist keine simple Angelegenheit. Schon mehrere Versuche hatte die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt unternommen, um den Barssee im Grunewald zu erhalten. Anders als der Name vermuten lässt, handelt es sich beim Barssee um ein Moor, ein sogenanntes Schwingrasenmoor. Es droht zu degradieren, also seine Ökosystemfunktionen zu verlieren.
Seit acht Wochen lassen die Berliner Wasserbetriebe deshalb nun jede Nacht rund 22.000 Liter Wasser auf den Barssee regnen. Innerhalb einer Stunde verteilen vier in Reihe geschaltete Regner das Wasser auf der rund ein Hektar großen Moorfläche.
"Das ist besonderes Wasser, das hier verregnet wird. Es ist entmineralisiert und hat einen pH-Wert ähnlich wie Regen", sagt Jörg Simon, der Chef der Berliner Wasserbetriebe.
Normales Trinkwasser ist zu nährstoffreich. In den 1990er Jahren hatte man über einen Graben herkömmliches Trinkwasser in das Moor geleitet, aber den Versuch wieder abgebrochen, weil durch den Eintrag von Nährstoffen die an das Moor angepassten Pflanzen mit geringem Nährstoffbedarf verdrängt würden. Und auch das Einleiten von Wasser entspricht nicht den natürlichen Bedingungen.
Ganz freiwillig geschieht die Beregnung durch die Wasserbetriebe freilich nicht. Der Barssee liegt in einem Fauna-Flora-Habitat-Gebiet, kurz FFH-Gebiet – wie der nahe Pechsee. Nach EU-Recht sind die Moore geschützt und müssen in einem möglichst guten Zustand erhalten werden.
"Es ist eine der Voraussetzungen, dass die Entnahme von Trinkwasser nur genehmigt werden kann, wenn eine Verträglichkeit zwischen Moorschutz und Trinkwasserentnahme hergestellt wird", sagt Holger Brandt von der Obersten Naturschutzbehörde.
Klimawandel bringt Berlin in Trinkwasser-Zange
Und das war zuletzt immer weniger der Fall. Seit über einhundert Jahren wird im Berliner Grunewald Trinkwasser gefördert. Ein Viertel aller Berliner:innen bezieht ihr Wasser von hier. Doch das hat einen Preis: Durch die jahrzehntelange Trinkwasserförderung ging das Grundwasser zurück. Um vier bis fünf Meter sank der Wasserstand am Barssee. Vor hundert Jahren führte der See tatsächlich noch Wasser und war ein beliebtes Ausflugsziel im Grunewald.
"Wir kommen in eine Zange rein: Der Wasserverbrauch steigt, weil Berlin wächst – und in den letzten Sommern wurde auch mehr Wasser verbraucht", sagt Jörg Simon. Deshalb haben die Berliner Wasserbetriebe ein Resilienzkonzept entwickelt, um die Nachfrage in Einklang mit den aktuellen Gegebenheiten zu bringen. Simon: "Wir gucken auf die Spree, wir gucken auf die Havel und wir gucken auf das, was im Rahmen der Abwasserreinigung passiert."
Durch den Klimawandel führt die Spree zum Beispiel weniger Wasser. Und wegen des Klimawandels regnet es weniger. Das hat Einfluss auf die Wasserneubildung. "Wir merken, dass wir durch den Klimawandel in eine neue Phase kommen", sagt Simon. Mit der Beregnung wollen die Wasserbetriebe verhindern, dass das Moor Treibhausgase abgibt.
Teil der Anlage ist eine Umkehrosmose-Station. Dabei werden pro Stunde 1.000 Liter Berliner Trinkwasser mit einem Druck von acht Bar durch eine Membran gepresst, die die Ionen im Wasser zurückhalten soll. Das entmineralisierte Wasser wird in einem Tank gespeichert und nachts verregnet, damit möglichst wenig eingebrachtes Wasser verdunstet.
Über zwei Jahre wollen die Wasserbetriebe das Moor beregnen. "Wir sind auf die Ergebnisse gespannt und hoffen, dass es gleichermaßen gelingt, den Zielkonflikt zwischen der Trinkwasserversorgung von Berlin und dem Natur- und Artenschutz unter anspruchsvoller werdenden Bedingungen abzumildern", sagt der Berliner Umwelt-Staatssekretär Stefan Tidow.
"Moorberegnung ist Symptombekämpfung"
Umweltschützer:innen können der Moorberegnung nichts abgewinnen. "Das ist Symptombekämpfung und nicht die von der EU geforderte Ursachenbehebung", kritisiert der BUND Berlin. Die Wassergewinnung müsse besser gemanagt werden, dazu zähle auch Wassersparen.
Bei einem intakten Schwingrasenmoor schwimmt eine Pflanzendecke aus Moosen und Gräsern auf dem Wasser. Diese Moore sind besonders artenreich, seltene und teils hochspezialisierte Tierarten haben hier ihr Zuhause.
Die Beregnung ist nicht die einzige Maßnahme für den Erhalt des Moores: Regelmäßig werden die im ehemaligen Barssee aufkommenden Gehölze entfernt. Nun hoffen die Umweltverwaltung und die Wasserbetriebe, dass die Beregnung zu einem steigenden Wasserstand führt, was das Anwachsen von Bäumen verhindert. Sollte das Experiment erfolgreich sein, könnte es auch am Nahe gelegenen Pechsee wiederholt werden.
Gesunde Moore haben ein außergewöhnliches Potenzial, CO2 aus der Atmosphäre zu binden und zu speichern. Sie gelten als eine der wichtigsten Kohlenstoffsenken der Erde. In Europa speichern diese Ökosysteme fünfmal mehr CO2 als Wälder. Doch der Druck auf die Feuchtgebiete könnte dazu führen, dass sie kippen und CO2 freisetzen, statt es zu speichern.
Andere Moore im Berliner Gebiet lassen sich mit weniger Aufwand erhalten. "Bei der Krummen Laake und der Kleinen Pelzlaake im östlich gelegenen Müggelheim sind wir einen anderen Weg gegangen. Wir haben Gehölze entfernt und die oberste Torfschicht, die schon vererdet war, entnommen", sagt Holger Brandt von der Obersten Naturschutzbehörde. Das habe geholfen, um wieder einen guten Zustand zu erreichen.
Tierarten kehren nicht zurück
Während die Wasserbetriebe und die Senatsverwaltung optimistisch sind, dass die künstliche Beregnung dem Moor und den dort vorkommenden Pflanzen wie Sonnentau, Fieberklee oder Gräsern wie der Faden-Segge helfen wird, ist das bei den dort typischerweise heimischen Tierarten ungewiss.
"Kesselmoore wie der Barssee sind Reliktstandorte", sagt Martina Wagner, die bei der Obersten Naturschutzbehörde Berlins für die FFH-Gebiete zuständig ist.
Zwischen 1990 und 1995 hatte die Stadt eine umfassende Beobachtung im Barssee durchgeführt. "Da konnten wir zum Teil noch Reste dieser Eiszeitpopulationen nachweisen, von denen inzwischen einige verschwunden sind", sagt Wagner. Wenn diese Moore über einen längeren Zeitraum austrocknen, verschwinden die typischen Tierarten wie Spinnen, Laufkäfer und Springschwänze gänzlich.
"Sie kommen auch nicht wieder, weil sie nicht sehr ausbreitungsstark sind. Wir hoffen aber, dass geringe Populationen erhalten geblieben sind, die sich künftig wieder stärker ausbreiten", sagt Wagner. Die Regeneration der Fauna sei deutlich schwieriger als die der Vegetation.