"Manchmal fühlt es sich bei der Arbeit auf der Baustelle an, als würde die Straße in Flammen stehen. Ich muss ständig zusehen, dass ich etwas trinke", berichtete Sarla Devi vor zwei Jahren dem Spiegel. Die Inderin war damals 38 Jahre alt. Mit ihrem Mann und den drei Kindern wohnt sie in einer Hütte mit zwei Zimmern in Neu-Delhi.
Die beiden verdienen ihr Geld an und auf den Straßen der indischen Hauptstadt: Devi ist Bauarbeiterin, ihr Mann Gemüseverkäufer. Damals war Indien von einer extremen Hitzewelle mit Temperaturen von deutlich über 40 Grad heimgesucht worden, wie das auf dem Subkontinent immer häufiger passiert, diesmal bereits ungewöhnlich früh im Jahr.
Einige ihrer Kolleginnen hätten bereits Hitzekrämpfe erlitten, seien zusammengebrochen, erzählte Devi. Sie waren dehydriert, hatten durch Schwitzen zu viele Elektrolyte verloren. "Ich nehme deshalb jeden Tag ein paar Zitronen mit auf die Baustelle, die presse ich aus uns mische den Saft mit Wasser, das erfrischt ein wenig."
Nachts kühlt es in solchen Phasen nur wenig ab, erholsamer Schlaf ist kaum möglich. "Schon am Morgen ist es heiß, später kommt noch die unerbittliche Mittagshitze dazu", so Devi. Jede Bewegung auf dem heißen Teer sei dann eine Überwindung. "Aber ich habe keine andere Wahl, muss mich durch den Alltag quälen."
"Ein wahrer Gefahrencocktail"
Devis Geschichte ist bei Weitem kein Einzelfall. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation ILO dürfte der Klimawandel für rund 70 Prozent der Arbeitskräfte weltweit zusätzliche Gesundheits- und Sicherheitsrisiken mit sich bringen. In einem vor wenigen Tagen vorgelegten Bericht ist von einem "wahren Gefahrencocktail" die Rede. Der bestehende Arbeitsschutz könne mit den daraus resultierenden Risiken nur schwer Schritt halten.
Ein großes Problem stellt laut dem Report bereits jetzt die zunehmende Hitze dar. Die ILO, eine UN-Organisation, schätzt auf der Basis der aktuell verfügbaren Daten von 2020, dass mehr als 2,4 der global insgesamt 3,4 Milliarden Beschäftigten während ihrer Arbeit übermäßiger Hitze ausgesetzt sind oder sein könnten. Der Anteil beträgt 71 Prozent, 2000 lag er noch bei 65,5 Prozent.
Die Folgen seien dramatisch. Die Zahl der dadurch ausgelösten Todesfälle betrage jährlich rund 19.000, heißt es in dem Bericht, und es gebe knapp 23 Millionen Arbeitsunfälle, die auf übermäßige Hitze zurückzuführen sind.
Aber auch chronische Erkrankungen würden so ausgelöst, so litten dadurch etwa 26 Millionen Menschen an chronischen Nierenerkrankungen. Im Freien Arbeitende sind laut ILO zudem zunehmend durch Parasiten gefährdet, die sich wegen des Klimawandels in neuen Regionen ausbreiten.
Hitze als Gesundheitsgefahr ist natürlich in tropischen und subtropischen Regionen am größten, wo inzwischen Temperaturspitzen von teils über 50 Grad erreicht werden. Dass sie aber auch in gemäßigten Breiten immer mehr zum Problem wird, zeigt der soeben vorgelegte Klimabericht 2023 des EU-Klimawandeldienstes Copernicus.
Danach gab es in Europa 2023 eine Rekordzahl von Tagen mit extremer Hitzebelastung, und auch die Zahl der Tage mit mindestens "schwerer Hitzebelastung" hat zugenommen. Vor allem Südeuropa ist davon betroffen. So wurden auf Sizilien 48,2 Grad gemessen, was nahe am Rekordwert von 48,8 Grad aus dem Jahr 2021 lag.
Laut Copernicus hat die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in 94 Prozent der überwachten europäischen Regionen zugenommen. Insgesamt sei die hitzebedingte Sterberate in den letzten 20 Jahren um rund 30 Prozent gestiegen. Die Belastungen steigen dabei auch in der Arbeitswelt, vor allem für im Freien Arbeitende.
Klimaanlagen nur für Reiche
Die durch den Klimawandel verstärkte Hitze ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Gefahr für Arbeitnehmer. Es gebe einen "Gefährdungsmix", so die ILO, auch Krebs, Herz-Kreislauf- und Atemwegserkrankungen, Nierenfunktionsstörungen und psychische Erkrankungen würden ansteigen.
So sind laut dem Bericht 1,6 Milliarden arbeitende Menschen etwa auf Baustellen oder in der Landwirtschaft starker UV-Strahlung ausgesetzt, was jährlich zu mehr als 18.900 Todesfällen durch Hautkrebs führe. Etwa ebenso viele hätten am Arbeitsplatz unter Luftverschmutzung zu leiden, was jährlich bis zu 860.000 arbeitsbedingte Todesfälle zur Folge habe.
Zudem hätten mehr als 870 Millionen Beschäftigte in der Landwirtschaft unter der Belastung mit Pestiziden zu leiden. Die Zahl der jährlichen Todesfälle durch Vergiftungen schätzt die ILO auf über 300.000.
"Es ist klar, dass der Klimawandel bereits jetzt erhebliche zusätzliche Gesundheitsrisiken für Beschäftigte mit sich bringt", sagte die Leiterin des ILO-Arbeitsschutzteams, Manal Azzi. Besserer Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz müsse ein wichtiger Teil der Reaktionen auf den Klimawandel werden.
Die Arbeit in einem sicheren und gesunden Umfeld sei als eines der grundlegenden Prinzipien und Rechte bei der Arbeit anerkannt, betonte Azzi. "Wir müssen dieser Verpflichtung in Bezug auf den Klimawandel nachkommen, genau wie in jedem anderen Bereich der Arbeit."
Der ILO-Bericht zeigt auch, dass eine ganze Reihe Länder bereits Maßnahmen ergreifen, um speziell die klimabedingten Belastungen am Arbeitsplatz zu reduzieren. Auch in zahlreichen indischen Regionen wurden inzwischen Hitzeaktionspläne aufgestellt, die etwa bessere Vorwarnungen an die Bevölkerung, schnellere Reaktionen des Gesundheitswesens oder den Zugang zu öffentlichen "kühlen Zonen" vorsehen.
Kritiker halten die Pläne jedoch vielfach noch für verbesserungswürdig. Oft werde gerade für besonders betroffene Bevölkerungsgruppen nichts getan, sagte etwa die indische Klimaexpertin Aditi Mukherji. Dazu dürften auch die Beschäftigten auf Baustellen zählen.
Für Menschen wie Sarla Devi jedenfalls ist eine durchgreifende Entlastung während Hitzewellen kaum drin. Nachts trügen sie und ihr Mann Sunil ihre Betten nach draußen, erzählte sie, um besser zu schlafen und für die Arbeit fitter zu sein. Dort wehe ab und zu ein wenig Wind.
Aber sie sagte: "Klimaanlagen sind eine Sache der Reichen. Wir könnten uns das niemals leisten."