Gipskarstlandschaft, von Pisten für schwere Lkw durchschnitten und zum großen Teil durch Gipsabbau zerstört.
Was weg ist, ist weg: Gipsabbau im Südharz bei Osterode. (Foto: Tobias Barz/​Wikimedia Commons)

Der Kohleausstieg nimmt Fahrt auf. Elf Steinkohle-Blöcke werden ab Januar keinen Strom mehr produzieren, darunter das erst 2015 in Betrieb genommene Kraftwerk Moorburg in Hamburg.

Ein Nebeneffekt des Ausstiegs, der bisher kaum diskutiert wurde: Der wichtige Baustoff Gips könnte knapp werden. Gips fällt nämlich als Nebenprodukt bei der Stromproduktion mit Kohle an.

Nach Alternativen wird händeringend gesucht. Die Industrie fordert verstärkten Abbau von Naturgips. Umweltschützer warnen davor. Sie befürchten einen Kahlschlag beim Naturschutz.

Der Rohstoff ist gefragt, freilich kaum noch zum Schienen von gebrochenen Armen oder Beinen. Hier gibt es inzwischen Alternativen, Kunststoffschienen zum Beispiel. Doch rund zehn Millionen Tonnen Gips werden jährlich in Deutschland im Bausektor eingesetzt – in Putz und Estrich, in Form von Gipskartonplatten und -bauteilen. Der Verbrauch dürfte angesichts des Baubooms in den nächsten Jahren sogar noch steigen.

Bisher stammt der Gips jeweils etwa zur Hälfte aus den Kohlekraftwerken und aus dem Abbau von Naturgips, der hierzulande vor allem in Niedersachsen, Thüringen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern stattfindet.

Gips fällt in den Kraftwerken seit den 1980er Jahren an. Damals wurden die Kohleblöcke in der alten Bundesrepublik mit Rauchgas-Entschwefelungsanlagen, kurz REA, ausgerüstet, um den sauren Regen zurückzudrängen, der das Waldsterben verursacht hatte.

Die Reinigung erfolgt dabei durch einen chemischen Prozess. Dem Schwefeldioxid, das bei der Kohleverbrennung entsteht, wird im Abgasstrom feingemahlener Kalkstein zugegeben. Resultat ist der sogenannte REA-Gips, der von der Baustoff-Industrie als Rohstoff gerne abgenommen wird.

Branche will Abbauflächen verdoppeln

In den neuen Bundesländern wurden die Schwefelfilter in den Kraftwerken dann nach der Wende 1990 eingeführt. Der Markt für Gipsprodukte wuchs durch den REA-Gips deutlich – vor allem durch die Einführung von Gipskartonplatten für den Leichtbau.

Sinkt wegen des Kohleausstiegs das Angebot von REA-Gips, könnten die Hersteller das durch mehr Naturgips-Abbau ausgleichen. Tatsächlich gibt es offenbar Pläne, in den nächsten Jahren verstärkt den Naturrohstoff abzubauen – vor allem im südlichen Harz, wo rund die Hälfte der deutschen Reserven lagert.

In einem Strategiepapier fordert der Bundesverband der Gipsindustrie wegen des wegfallenden REA-Materials "eine Verdoppelung der für den Abbau nutzbaren Flächen für Naturgips in Deutschland", unter anderem auch in Naturschutzgebieten. 

Das allerdings ruft Naturschützer wie den Umweltverband BUND auf den Plan.

Durch den Abbau seien ökologisch einzigartige Naturlandschaften gefährdet, argumentiert der BUND. Die Gips-Hersteller zerstörten mit schwerem Gerät und Sprengungen Karstlandschaften, in denen seltene Pflanzen und Tiere leben. Burkhard Vogel, Geschäftsführer des BUND Thüringen, kritisiert die Erweiterungspläne der Industrie: "Das kommt einer Aufforderung zum maßlosen Raubbau im Südharz gleich."

Im Grenzgebiet von Thüringen und Niedersachsen liegen etwa die Hälfte der deutschen Naturgips-Reserven. Das Gipskarstgebiet zählt laut dem Umweltverband aber eben auch zu den "30 deutschen Hotspots der biologischen Vielfalt".

Gipskartonplatten als Sondermüll

Als eine Alternative zum Naturgipsabbau bietet sich vor allem ein verstärktes Recycling des Rohstoffs an. Der Anfall von Gips im Bauschutt ist stattlich, er wird auf drei bis vier Millionen Tonnen geschätzt. Allerdings ist er dort meist mit anderen Baustoffen vermischt.

Der Gips-Herstellerverband räumt ein, dass nur rund zwei Prozent der Neuprodukte aus Recy-Gips stammen. Man arbeite jedoch an einer Ausweitung des Recyclings, sagte dessen Umweltexperte Jörg Demmich jetzt auf einer Tagung des ostdeutschen Umweltnetzwerks Grüne Liga zu dem Thema.

Perfekter Kreislauf – theoretisch

Gipsprodukte gehören laut dem Bundesverband der Gipsindustrie "zu den wenigen Baumaterialien, die einen geschlossenen Recyclingkreislauf ermöglichen". Rückgebaute Bauteile können also wieder in die Herstellung eines vollwertigen Neuprodukts einfließen, es muss also kein "Downcycling" betrieben werden.

Der Verband räumt allerdings ein: "Gipsabfälle werden bislang nur zu einem geringen Teil der Neuproduktion zugeführt." Als Gründe nennt er den hohen Aufwand für eine sortenreine Gewinnung des Materials und die hohen Kosten für Sammel- und Transportsysteme.

Druck in diese Richtung könnte eine verbindliche Recyclingquote bringen, wie sie von den Umweltschützern gefordert wird. Laut Experten ist immerhin etwa die Hälfte der Gipsabfälle grundsätzlich recycelbar, besonders die beim Hausabriss oder -umbau demontierten Gipskartonplatten.

Der Anteil von Recyclinggips sei aus zwei Gründen so gering, erläuterte auf der Tagung Simon Eichhorn, Abteilungsleiter beim Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe: REA-Gips sei günstig verfügbar und das einfache Abkippen des Bauschutts auf Mülldeponien zu billig. Gipskartonplatten werden dort als Sondermüll entsorgt.

Eine weitere Alternative wäre der Ersatz von Gipskartonplatten und -Bauelementen durch Platten aus Holz oder anderen nachwachsenden Rohstoffen wie Lehm, Hanf oder Stroh. Der BUND hat diese in einem Gutachten analysieren lassen.

"Die alternativen Platten lassen sich genauso verarbeiten wie die Gipsprodukte", sagt BUND-Mann Vogel gegenüber Klimareporter°. Zudem sei die Klimabilanz günstiger.

Kohle- und Naturgips-Ausstieg

Problem hierbei: Profitieren würden nicht die Gipshersteller, sondern andere Produzenten. Eine Umstellung sei trotzdem sinnvoll, meint Vogel. Der Marktanteil der Gipsprodukte sei erst durch die Einführung des billigen REA-Materials so groß geworden. Er könne auch wieder sinken.

Der BUND hält es sogar für möglich, trotz des Kohleausstiegs, der 2035 oder 2038 abgeschlossen sein soll, bis 2045 ganz aus dem Naturgips-Abbau auszusteigen. Neben Recycling und Alternativprodukten gebe es eine weitere Möglichkeit, nämlich den Rohstoff aus anderen Quellen zu beziehen, argumentiert der Verband.

Gips fällt nämlich laut seiner Studie unter anderem auch bei der Düngemittelproduktion – allerdings zumeist im Ausland – sowie bei Prozessen in der Chemieindustrie an.

Außerdem gibt es noch einen Puffer, der bisher nicht genutzt wurde: schätzungsweise 14 bis 16 Millionen Tonnen REA-Gips, die auf riesigen Halden in der Nähe von Kohlekraftwerken abgelagert wurden. Allein auf der Kippe des Braunkohle-Tagebaus Jänschwalde in der Niederlausitz sollen etwa sechs Millionen Tonnen von dem Material liegen.

Anzeige