Genossenschaftliches Wohnen wie hier in Darmstadt kann soziale und ökologische Ziele verbinden. (Bild: Wohnsinn eG)

Es fehlen 700.000 Wohnungen, die Zinsen sind gestiegen und in der Baubranche kriselt es. Also will die Politik der Branche das Errichten der vielen benötigten Wohnungen leichter machen und weicht auch die ökologischen Standards beim Bauen weiter auf. Ich glaube, dass das nicht weit genug gedacht ist.

Ja, wir brauchen genügend bezahlbaren Wohnraum. Es gibt jedoch Wege, die zum Ziel führen und gleichzeitig sozial und nachhaltig sind.

Der Gebäudesektor verursacht 40 Prozent der CO2-Emissionen weltweit. In Deutschland wird er wie der Verkehr sein Sektorziel für 2030 nicht erreichen. Wie heute gebaut wird, ist entscheidend für die Klimaziele und damit für die Zukunft kommender Generationen.

Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht hatte 2021 die Politik ermahnt, die Klimaziele mit mehr Ehrgeiz zu verfolgen, um der Jugend keine unlösbare Bürde zu hinterlassen.

Wohnen ist ein menschliches Grundbedürfnis. Die GLS Bank unterstützt es deshalb als eine Kernbranche. Wie wir Quartiere gestalten, wie wir städtischen Raum strukturieren und Ressourcen nutzen, wie die Eigentumsverhältnisse gestaltet sind – all das beeinflusst, ob wir damit auch die sozialen Fundamente unserer Gesellschaft stärken und Gemeinschaft fördern.

Deshalb ist es wichtig, der Wohnungsnot mit integrativen Konzepten zu begegnen. Sie sollten Energieversorgung, zukunftsweisende Verkehrsplanung und Ernährung, Zugang zu Bildung und Teilhabe an Kultur sowie zirkuläres Bauen umfassen. Es fängt damit an, dass wir eine positive Vision für Städte und Wohngebiete formulieren.

Investitionen prägen Strukturen

Die Rolle von Banken dabei ist, diesen Weg über ihre Investitionen konstruktiv zu gestalten. Wohin Kredite fließen, beeinflusst die Raumstrukturen und Folgeinvestitionen von heute und morgen.

Unsere Bank orientiert sich seit fast 50 Jahren bei ihren Finanzierungen ausschließlich an menschlichen Grundbedürfnissen und schaut dabei nicht auf den maximalen monetären Gewinn. Die Bank ist nur ein Instrument, um das menschliche Wohlergehen zu fördern. Spekulation mit Grund und Boden und mit Immobilien dient dem nicht.

Bild: Patrick Tiedtke

Aysel Osmanoglu

ist Vorstands­sprecherin der GLS Bank mit Sitz in Bochum. Die studierte Ökonomin und Bank­betriebs­wirtin arbeitet seit 2002 für die sozial und ökologisch aus­gerichtete Bank, seit fünf Jahren als Vorstands­mitglied. Osmanoglu gehört dem Heraus­geber­rat von Klima­reporter° an.

Wir haben für uns einen klaren Rahmen entwickelt, an dem wir uns bei unseren Finanzierungen orientieren. Zusammen geben diese Kriterien viele Hinweise darauf, welche Qualitäten Raumstrukturen erfüllen sollten. Dazu gehören ein Wohnen, das sozialen wie ökologischen Ansprüchen genügt, eine bürgernahe, regenerative Energieversorgung, eine regionale und biologische Lebensmittelversorgung sowie eine Verkehrswende.

Beim Wohnen werden wir den Ansprüchen gerecht, indem wir beim Bauen den Ressourcenverbrauch minimieren, soziale Vielfalt in Quartieren fördern, Mitbestimmung und Nutzungsrechte einräumen. Das funktioniert besonders gut in Genossenschaften.

Beim Neubau spielen zum Beispiel Holz und Lehm als nachwachsende Rohstoffe eine wichtige Rolle. Es gilt zudem: Bestandssanierung kommt vor Neubau.

Alte und neue Ideen

Man mag einwenden, das sei eine Utopie angesichts von explodierenden Mieten und Wohnungsmangel. Meine Erfahrung zeigt: Nein. Es ist manchmal mühsam, aber das Ergebnis bringt nur Gewinner:innen hervor. Die Menschen sind froh, Teil solcher Projekte zu sein.

Einige Beispiele: Bei zwei Dritteln der von uns finanzierten Wohneinheiten liegen die Mieten unter dem Durchschnitt. 57 Prozent enthalten solidarische Angebote für Menschen mit geringen Einkommen. In Gemeinschaftsprojekten gibt es eine große Flexibilität, Wohnraum je nach Lebensphase zu verändern. Genossenschaften bieten Zusammenhalt in der Gemeinschaft bis hin zu Sharing Economy.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Herausgeberrates in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Selbstverständlich ist das nicht der einzig richtige Weg oder Zustand. Den Weg – oder auch mehrere Wege – können wir nur gemeinsam finden, im Gespräch, unter Einbezug aller Menschen und Gruppen und ihrer unterschiedlichen Bedürfnisse an Raumstrukturen.

Wir müssen dahin kommen, Gemeinschaften – Bürger:innen und Unternehmen – wieder zuzutrauen, sich selbst zu organisieren, gemeinsam Regelungen zu treffen und die Nutzung von Raum eigenständig zu koordinieren. Nicht nur Privateigentum und staatliche Regulierungen sind gute Lösungen zur Organisation von Raum und zur Schaffung von Wohnraum.

Diese Prozesse müssen von Grund auf demokratisiert werden. Viele Kommunen gehen richtige Schritte, wenn sie Bürgerbeiräte oder einzelne Quartiersgemeinschaften stärker in die Planung einbeziehen.

Die Politik tut also gut daran, die Not ganzheitlich zu betrachten und als Chance zu begreifen, für uns und mit uns Bürger:innen gute Lebensräume zu schaffen.