Gruppenfoto: Fünf Männer zwischen labortechnischen Anlagen.
Das Aerogel-Entwicklerteam. Unten sitzend: Marc Fricke. (Foto: TU Hamburg)

Wer klimafreundlich wohnen und möglichst wenig für das Heizen ausgeben will, dessen Haus oder Wohnung muss mit einer guten Wärmedämmung ausgestattet sein. Daran führt kein Weg vorbei, weil sonst die Beheizung auch mit erneuerbaren Energien auf Dauer zu ineffizient und teuer wäre.

Doch besonders bei Altbauten ist das eine Herausforderung. Neue Fenster mit Dreifach-Verglasung sowie 15 bis 20 Zentimeter dicke Dämmplatten auf Außenwänden und im Dach, zumeist aus Styropor oder Steinwolle gefertigt, sind üblich.

Das kostet nicht nur eine Stange Geld. Es verbraucht auch eine Menge Rohstoffe, die teils energieaufwändig bearbeitet werden müssen.

Und es ist ästhetisch nicht immer überzeugend. Besonders der "Schießscharten-Effekt" missfällt vielen – der entsteht, wenn die Fenster aufgrund der dicken Dämmung quasi in der Mauer nach innen rücken und die Sicht von innen eingeschränkt wird. Zudem geht wertvolle Fläche verloren.

 

Ein neuartiger Hochleistungs-Dämmstoff, der von einem Entwicklerteam in Osnabrück und Hamburg derzeit zur Marktreife entwickelt wird, könnte hier eine Revolution auslösen. Es handelt sich um ein "Aerogel", ein extrem leichtes und fast komplett aus mikroskopisch kleinen Luft-Poren bestehendes Material, das Wärme nur sehr schlecht transportiert und daher den Verlust an die Umgebung des Gebäudes minimiert.

Die Wirkung ist in etwa doppelt so gut wie die eines herkömmlichen Dämmstoffs. Entsprechend muss die Dämmstoff-Lage nur noch halb so dick sein, um denselben Standard zu erfüllen.

Weiterer Vorteil: Das neue Aerogel wird aus einem nachwachsenden Pflanzen-Rohstoff hergestellt, nämlich Lignin. Dieses fällt in großen Mengen als Abfallprodukt unter anderem bei der Herstellung von Papier an.

Mikroskopisch kleine Luftzellen

Ursprünglich wurde die Materialentwicklung für den Super-Dämmstoff beim Chemiemulti BASF durchgeführt, als Styropor-Produzent einer der großen Player auf dem Dämmstoff-Markt. Es wurden zwei Versionen vorangetrieben, eine auf Basis von Polyurethan aus Erdöl, eine auf Basis von Silikat-Mineralien.

Federführend war hier der Chemiker Marc Fricke, der jetzt zusammen mit sechs weiteren Mitgründern in Osnabrück das Start‑up Aerogel‑it aufgebaut hat, um den Dämmstoff aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen zu können.

Eine Hand hält einen Haufen des neuen Dämmstoffs, es sieht wie schwarzer Kaviar aus.
Der neue Aerogel-Dämmstoff in Granulat-Form. (Foto: TU Hamburg)

"Der Clou dabei ist: Wir können mit dem Bio-Aerogel nicht nur den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen von Häusern reduzieren, sondern gleichzeitig nicht nachwachsende Ressourcen einsparen", sagt Fricke. Weder Erdöl noch mineralische Rohstoffe seien nötig.

Lignin stellte sich in Tests als interessantestes Ausgangsmaterial heraus. Der Rohstoff ist neben Zellulose der wichtigste Bestandteil von Holz und sorgt unter anderem für die Stabilität von Bäumen. Bisher wird das Nebenprodukt, das in den Papierfabriken anfällt, kaum sinnvoll verwertet. "Meist wird es verbrannt", sagt Fricke.

Einen Aerogel-Dämmstoff daraus herzustellen, wäre damit doppelt effektiv, denn es würde auch die Abfallmengen reduzieren. Dem Geschäftsführer des Start‑ups zufolge würde das in Europa anfallende Lignin theoretisch ausreichen, um die ganzen heute verbauten Dämmstoff-Mengen damit zu ersetzen.

"Die gute Dämmwirkung entsteht dadurch, dass die Luftmoleküle sich in den mikroskopisch kleinen Luftzellen nicht mehr bewegen können – anders als in anderen Dämmstoffen mit größeren Lufteinschlüssen", erläutert Irina Smirnova, Professorin für Ingenieurwissenschaften an der TU Hamburg. Dort im Technikum werden zurzeit Pilotversuche für den neuartigen Dämmstoff durchgeführt.

Die Zellen messen nur etwa 50 Nanometer im Durchmesser und sind damit rund 700-mal feiner als ein menschliches Haar. Beim herkömmlichen Dämmstoff Styropor sind die Luftzellen rund 200 Mikrometer groß, daher geht Wärme durch die Dämmschicht deutlich schneller verloren als bei dem Aerogel.

Zum Preis noch keine Angaben

Der technologische Prozess, in dem der neuartige Dämmstoff aus dem Lignin, einem pulverartigen, braunen Material, gefertigt wird, ist Smirnova zufolge inzwischen ausgereift. Derzeit entwickelt das Team um Fricke ihn weiter, um das Produkt kosteneffizienter zu machen, da bisherige Aerogele vergleichsweise teuer sind.

Einen Push bekam das Projekt kürzlich durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU), die dem Start‑up dafür eine Förderung von 125.000 Euro zusprach. Damit sollen auch erste Prototypen der Dämmstoffe in konkreten Anwendungen getestet werden.

Wärmedämmung

In unsanierten Altbauten gehen bis zu 25 Prozent der erzeugten Heizenergie über Außenwände und bis zu 20 Prozent über das Dach verloren, so die Erkenntnisse der Initiative "Zukunft Zuhause – Nachhaltig sanieren" der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Durch Wärmedämmung lassen sich diese Verluste minimieren.

 

Derzeit wird in Deutschland pro Jahr nur rund ein Prozent der Gebäude energetisch saniert. Um die Klimaziele zu erreichen, muss dieser Anteil deutlich erhöht werden. "Um Energieverbrauch und Emissionen dauerhaft zu senken und gleichzeitig die Abhängigkeit von Gasimporten zu reduzieren, brauchen wir dringend energieeffizientere Gebäude", sagt dazu DBU-Chef Alexander Bonde.

Im nächsten Jahr will Aerogel‑it zudem eine eigene Produktionsanlage in Wallenhorst bei Osnabrück in Betrieb nehmen, wo es bereits ein Gelände dafür gibt. Für den Bau der Anlage, die mit Ökostrom betrieben werden soll, sucht das Start‑up derzeit noch Investoren.

Fricke sagt: "Wir wollen uns als weltweit erstes Bio-Aerogel-Unternehmen am Markt etablieren und so schnell wie möglich unsere Kundinnen und Kunden bedienen." Es gebe bereits ein großes Interesse von potenziellen Weiterverarbeitern wie etwa Bio-Dämmstoff-Herstellern, die ihre Produkte durch Zugabe des Aerogels schlanker fertigen wollen.

Über die künftigen Preise des neuen Materials, das je nach Anwendung als Pulver, Granulat oder Platten gefertigt werden kann und auch Nutzungen in Kühlgeräten und Funktionskleidung ermöglicht, hält der Unternehmenschef sich jedoch noch bedeckt. "Die Gebäude gewinnen auf dem Immobilienmarkt dadurch zusätzlich an Attraktivität", sagt Fricke.

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