Klimareporter°: Herr Cochet, die Erde ergrünen zu lassen, mehr Biomasse auf dem Land und an den Küsten zu schaffen, ist gut für den Klimaschutz. Denn natürliche Senken sind auf Jahre der einzige Weg, um spürbare Mengen an CO2 zu speichern.
Warum aber sollen dafür Zertifikate ausgegeben werden, damit Unternehmen ihre CO2-Bilanz besser aussehen lassen können? Am besten fürs Klima wäre doch, das CO2 einfach biogen zu speichern, ohne dass dafür anderswo mehr emittiert werden kann.
Jérôme Cochet: Das stimmt, es geht nur beides zusammen. Wir brauchen weniger Emissionen und mehr CO2-Bindungsprojekte.
Die für uns gute Nachricht dabei ist: Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass Unternehmen, die mehr CO2-Zertifikate kaufen, im Schnitt auch sonst ihre Emissionen schneller reduzieren.
Weil der Handel mit Zertifikaten freiwillig ist, wird er unserer Erfahrung nach vor allem auch von Unternehmen genutzt, die sich bereits viel mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Sie legen auch mehr Wert darauf, ihre Emissionen zu reduzieren.
CO2-Zertifikate sollten nicht dazu dienen, allgemeine Behauptungen zu belegen, es würden damit Klimagase vermieden oder kompensiert. Der Anspruch der Unternehmen sollte vielmehr schon sein, mit CO2-Bindungs-Projekten über die Emissionsvermeidung hinaus einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.
Sie weisen selbst auf den Widerspruch hin, dass CO2-Kompensation langfristig angelegt sein muss, Unternehmen aber vor allem an Zertifikaten interessiert sind, mit denen sich die CO2-Bilanz kurzfristig verbessert lässt. Zwischen beiden Positionen wollen Sie eine Brücke schlagen. Wie soll die aussehen?
Ein wirklich funktionierender Markt für freiwillige CO2-Bindungsprojekte besteht, vereinfacht gesagt, aus mindestens vier Elementen.
Erstens müssen Unternehmen bereit sein, bereits heute Geld in die Hand zu nehmen für CO2-Zertifikate, die sie erst in Zukunft bekommen. Dazu sind Unternehmen heute noch eher selten bereit.
Jérôme Cochet
ist Mitgründer und Geschäftsführer des Berliner Start-ups Goodcarbon, die mit CO2-Zertifikaten handelt. Der studierte Betriebswirt mit MBA-Abschluss arbeitete zuvor für Unternehmen wie McKinsey und Zalando, wo er die Werbung leitete.
Aktuell bilden sich aber erste Einkäufer-Koalitionen wie zum Beispiel die von uns initiierte European Advanced Buyers Coalition. Diese sagen zumindest zu, Zertifikate in einem bestimmten Volumen und zu einem bestimmten Preis in der Zukunft zu kaufen, um den Start entsprechender Projekte zu ermöglichen. Diese Zusagen heißen Offtakes.
Damit diese langfristigen Zusagen von den CO2-Bindungsprojekten auch erfüllt werden können, müssen diese zweitens versicherbar sein. Derzeit gibt es erst wenige Future-Versicherungen, die entsprechende Zusagen für die Zukunft absichern, der Markt kommt aber langsam in Bewegung.
Drittens müssen die Projekte nachweisbar in enger Kooperation mit der lokalen Bevölkerung entstehen. Das erhöht die positiven Wirkungen und reduziert die Gefahr, dass die Projekte durch politische Einflussnahme in Gefahr geraten.
Mit diesem Dreier-Paket lassen sich schließlich – viertens – längerfristig interessierte Investoren überzeugen, frühzeitig in die Projekte zu investieren, damit sie später ihr Geld – mit Rendite – von den dann auftretenden Käufern der CO2-Zertifikate zurückbekommen.
Was die Langfristigkeit betrifft: Ist es nicht hinterfragenswert, wenn Unternehmen heute versprechen, 2045 klimaneutral zu sein und auch damit werben? Viele der Unternehmen wird es dann gar nicht mehr geben oder nicht in der heutigen Form, gleiches gilt für die Projektpartner, die ihnen die Zertifikate verkauften. Das ist doch Klimaschutz auf Zeit?
Ja, es stimmt. Viele der derzeit verwendeten Klimaschutz-Claims, insbesondere solche allgemeinen Begriffe wie "klimaneutral", sollten durchaus kritisch hinterfragt werden.
Doch in der Branche tut sich auch viel: Inzwischen haben sich Standards entwickelt, die Unternehmen dazu verpflichten, wissenschaftlich fundierte Net-Zero-Ziele zu setzen, um einen Beitrag zum 1,5-Grad-Ziel zu leisten. Diese Standards verlangen unter anderem einen detaillierten Plan und jährliche Fortschrittsberichte.
Es ist wichtig, dass Unternehmen Verantwortung fürs Klima übernehmen und dies auch sichtbar machen. Statt von einem Ausgleich einer Klimaverschmutzung, dem "Offset", sprechen dabei immer mehr Unternehmen von einem Beitrag zum Klimaschutz, von einer "Contribution".
In diese Richtung müssen wir uns weiterentwickeln. Dazu werden auch Regularien wie die Green Claims Directive der EU beitragen.
Eine veränderte Kommunikation ist auch aufseiten der Projektpartner notwendig. Es bleibt zwar wichtig, CO2-Bindungsprojekte in Tonnen messbar zu machen, aber das darf nicht alles sein.
Die Projekte müssen langfristig und in enger Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung umgesetzt werden, idealerweise mit Unterstützung von NGOs. Lokale Partner einzubinden, ist auch wichtig für die langfristige Kontrolle solcher Projekte.
Auch die meisten Projekte von Goodcarbon liegen im globalen Süden. Bestärkt das nicht die Kritik, dass die CO2-Kompensation, mit der Unternehmen in den Industrieländern werben, auf Kosten derjenigen geht, die ohnehin stärker vom Klimawandel betroffen sind?
Es ist unumstritten, dass die Emissionen der Industrieländer besonders gravierende Auswirkungen im globalen Süden haben. Deshalb steht außer Frage, dass wir in den Schutz und Wiederaufbau der Natur im globalen Süden investieren müssen.
Die Frage ist, wer diese Projekte finanzieren soll, wenn nicht die Industrieländer. Deshalb ist es sinnvoll, dass Unternehmen dort in Projekte investieren, während sie gleichzeitig ihre eigenen Emissionen zu Hause reduzieren.
Die CO2-Kompensation im globalen Süden geht dabei nicht auf Kosten dieser Regionen. Unsere Projekte zielen vielmehr darauf ab, Regionen widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen, lokale Communitys aktiv einzubeziehen und diese am Gewinn zu beteiligen. So können Klima als auch Bevölkerung profitieren.
In Deutschland ist das offenbar einzige Projekt von Goodcarbon eines zum sogenannten Carbon Farming. Auf welcher rechtlichen Grundlage ist es hier möglich, CO2-Zertifikate zu generieren, während dies bei Wald- und Moorprojekten nicht möglich sein soll?
Grundsätzlich können hierzulande auch für Wald- und Moorprojekte CO2-Zertifikate ausgegeben werden. Worum es aber geht, ist, dass die Gutschriften zur Kompensation für ein Unternehmen anrechenbar sind.
Im Unterschied zur regenerativen Landwirtschaft werden Wald- und Moorprojekte in Deutschland in die nationalen Klimaziele einberechnet. Wer also beispielsweise über Wiederaufforstung CO2-Bindung erzielt, hilft damit die Klimaziele Deutschlands erfüllen – egal, ob sich das Gebiet auf privatem oder öffentlichem Land befindet.
Würde ein Unternehmen diese Zertifikate nutzen, um eigene Emissionen zu kompensieren, würde die CO2-Bindung zweimal in Anspruch genommen werden: vom Staat und von dem Unternehmen. Diese doppelte Anrechnung ist ausgeschlossen.
Goodcarbon gibt an, bei der Projektprüfung bis zu 150 Kriterien anzuwenden. Damit könnten Risiken aus dem Markt genommen werden, heißt es. Es könnte doch aber auch ein Projekt-Wald abbrennen oder die Küste mit dem Mangrovenwald zubetoniert werden. Sind diese Risiken berücksichtigt?
Die von uns geprüften Kriterien schließen auch Risiken ein, die sich auf die physische Integrität der Projekte beziehen. In der Fachsprache nennt man diese Risiken Permanenzrisiken.
Um sie zu bewerten, analysieren wir zum einen natürliche Risiken wie zum Beispiel Waldbrände, aber auch politische und "menschliche" Risiken wie, dass die lokale Bevölkerung keinen Wert im Projekt sieht und deshalb die Fläche wieder für Landwirtschaft nutzen möchte.
Natürlich können wir nicht jedes Risiko vollständig ausschließen. Es gibt deswegen einen sogenannten Buffer Pool, zu dem jedes zertifizierte Projekt mit einem Teil der ausgegebenen Zertifikate beiträgt. Kommt es dann beispielsweise zu einem Brand und die CO2-Bindung wird aufgehoben, werden Zertifikate in gleicher Höhe aus dem Buffer Pool stillgelegt, um die Freigabe zu kompensieren.
Weil CO2-Kompensation mithilfe biogener Projekte so problembehaftet ist, setzen mehr und mehr Unternehmen auf den Ansatz des "Contribution Claim". Dabei finanzieren die Firmen Klimaschutzprojekte, rechnen sich aber mögliche CO2-Einsparungen nicht auf ihre Klimabilanz an. Ist das nicht ehrlicher?
Einerseits ja: Unternehmen sollten ihre CO2-Bilanz nicht künstlich verbessern. Es ist wichtig, dass sie transparent darüber kommunizieren, welche Emissionen sie tatsächlich reduziert haben, bevor sie überhaupt über Kompensation sprechen.
Zudem sollten sie, wie gesagt, auf die Qualität der Klimaschutzprojekte achten und nicht nur auf die Menge an CO2, die kompensiert wird.
Andererseits unterliegen Contribution Claims derzeit noch keinen Standards. Ohne klare Vorgaben könnten aber wieder zu vage Klimaaussagen getroffen werden. Zudem geben Contribution Claims auch nicht immer an, in welchem Umfang ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet wird. Bei klassischen Kompensationen ist zumindest klar, dass für jede Tonne CO2 eine entsprechende Menge ausgeglichen wird.
Auch bei Contribution Claims sollten Unternehmen also klaren Standards folgen und transparent kommunizieren.