Wie viele Gasleitungen werden in einer klimaneutralen Zukunft gebraucht? Deutlich weniger als heute, sagen Expert:innen. (Bild: Andrew Martin/​Pixabay)

Damit die Energiewende ein Erfolg werden kann, braucht es nicht nur mehr Solaranlagen, Windräder, Backup-Kraftwerke, Energiespeicher und Elektrolyseure für Wasserstoff. Auch die Netze, mit denen die dann rein grüne Energie zu den Verbrauchern transportiert werden, müssen umgebaut werden.

Beim Stromnetz ist das allgemein bekannt. Nötig sind zum Beispiel mehr Nord-Süd-Ferntrassen.

Doch auch beim Erdgasnetz wir es große Veränderungen geben. Hier steht zum Teil eine Umrüstung auf Wasserstoff an – und vor allem muss das Netz großflächig stillgelegt werden, wenn das "grüne Gas" nicht schnell viel billiger wird. Das zeigt eine neue Untersuchung des Öko-Instituts in Freiburg.

Deutschland hat ein weit verzweigtes Erdgas-Netz, das seit Jahrzehnten betrieben wird. Rund 595.000 Kilometer Gasröhren durchziehen die Bundesrepublik. Rein rechnerisch liegt damit in zwei von drei Straßen eine Gasleitung, denn das gesamte Straßennetz ist etwa 830.000 Kilometer lang.

Angeschlossen sind Industriebetriebe, öffentliche Einrichtungen wie Schwimmbäder und Schulen und rund die Hälfte der Wohnungen und Häuser, in denen das Erdgas für Heizwärme und oft auch Warmwasser sorgt. Der hohe Anteil bei der Beheizung in den Privathaushalten erklärt sich unter anderem dadurch, dass bereits seit der 1970er Jahren relativ billiges Erdgas aus Russland zur Verfügung stand.

Die neue Untersuchung zeigt nun: Will Deutschland seine gesetzlich vorgeschriebenen Klimaschutzziele einhalten, muss der Erdgasverbrauch in allen Sektoren rasch abgesenkt werden. Beschlossen ist ein Absinken bei den Treibhausgasen auf null bis 2045, also schon in gut 20 Jahren.

Grüner Wasserstoff zum Heizen zu teuer

Laut Öko-Institut muss die Erdgasnutzung dazu bereits in den nächsten zehn Jahren um 28 bis 63 Prozent zurückgehen. Das Team hat fünf große Studien zur Klimaneutralität mit sieben Szenarien unter dem Blickpunkt der Gasnutzung vergleichend ausgewertet. Auftraggeber war die Berliner Nichtregierungsorganisation "Gaswende", die sich für einen Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energiequellen in Deutschland einsetzt.

Die Untersuchung zeigt auf, wie der Erdgasverbrauch in den einzelnen Sektoren bis 2045 reduziert werden muss. Für den Gebäudesektor ist danach Konsens in der Fachwelt, dass die Erdgasnutzung hier relativ schnell abnehmen wird, Wasserstoff aber kaum als Ersatz zur Verfügung stehen kann.

20 Prozent Wasserstoff sofort, 100 Prozent ab 2025, mit diesen Aussichten werben deutsche Hersteller für ihre neuen Gas-Brennwertkessel. (Bild: Viessmann)

"Deutlich wird in unserer Analyse, dass Wasserstoff in den Heizungskellern keine relevante Rolle spielen wird. Dieser muss für die Sektoren zur Verfügung stehen, die keine andere Möglichkeit haben, klimaneutral zu werden", erläuterte Tilman Hesse, Projektleiter am Freiburger Öko-Institut.

Hier geht es hauptsächlich um die Sektoren Stromversorgung und Industrie. Ein Grund dafür seien die hohen Kosten für grünen Wasserstoff. Dieser wird laut der Analyse etwa fünf- bis siebenmal so teuer sein wie Erdgas. Im Vergleich zu strombetriebenen Wärmepumpen und anderen Optionen für den Gebäudesektor sei er nicht konkurrenzfähig.

Was den Erdgas-Ausstieg in der Energiewirtschaft betrifft, kommen die Studien zu stärker unterschiedlichen Ergebnissen. Deutlich wird laut Öko-Institut aber auch: "Mit einiger Anstrengung kann es gelingen, die 223 Milliarden Kilowattstunden Erdgas, die 2020 noch in diesem Sektor zum Einsatz kamen, bis 2040 auf null zu reduzieren."

Im Industriesektor wiederum seien mehr Effizienz in der Energienutzung, die Umstellung von Gas auf Strom sowie grüner Wasserstoff die zentralen Hebel, um dort bis 2045 komplett auf Erdgas zu verzichten.

"Für viele Kommunen und Stadtwerke eine teure Falle"

Tina Loeffelbein, Projektleiterin bei Gaswende, folgert aus den Ergebnissen, dass die bisherige Erdgas-Infrastruktur deutlich zurückgebaut werden muss. "Statt rund 600.000 Kilometern Erdgasnetz werden wir in Zukunft nur noch wenige 10.000 Kilometer benötigen, um grünen Wasserstoff in die Industriezentren zu transportieren."

Die meisten Leitungen, insbesondere die in die Wohngebiete, könnten dann stillgelegt werden, da sich eine kostspielige Umrüstung auf Wasserstoff nicht lohne, sagte Loeffelbein. "Für die meisten Kommunen und Stadtwerke würde Wasserstoff zur teuren Falle."

Sign by Zukunft Gas lobby group at BDEW congress: Climate targets? Safe with hydrogen!
Der Zweckoptimismus der Gaswirtschaft verfängt, wenn die Alternative plötzliche hohe Abschreibungen sind. (Bild: Phoebe Cooke)

Auch wenn solche Bewertungen von anderen Fachleuten geteilt werden, steckt darin natürlich großes Konfliktpotenzial. Die deutsche Gaswirtschaft beziffert den Wert ihres Netzes auf 270 Milliarden Euro, bei der sich abzeichnenden Stilllegungswelle aber würde es zunehmend wertlos.

Die Verbände der Branche wie BDEW und "Zukunft Gas", aber auch viele Stadtwerke betonen daher immer wieder, für den Umstieg auf eine klimaneutrale Energieversorgung solle das Erdgasnetz für den Transport von Wasserstoff umgerüstet werden. "Die Gaswirtschaft wird zur Wasserstoffwirtschaft", sagt zum Beispiel der Vorstand von Zukunft Gas, Timm Kehler.

Knackpunkt ist dabei natürlich, ob das grüne H2 in Zukunft in großem Stil auch zum Heizen genutzt werden soll, denn nur dann wäre der Weiterbetrieb des großen, weit verzweigten Netzes sinnvoll. In der heißen Debatte um das Ampel-Heizungsgesetz im letzten Jahr machte sich besonders die FDP dafür stark.

Die Hürden sind allerdings hoch. Denn nicht nur Energieforschung und Umweltverbände ziehen das in Zweifel, auch die zuständige Bundesnetzagentur steht kritisch dazu.

Eine Zukunft sah die Behörde in einer Stellungnahme im vorigen Jahr vor allem für die rund 40.000 Kilometer Hochdruckleitungen, die die für den Ferntransport genutzt werden. Diese könnten "nach bisherigen Annahmen zum größten Teil auf Wasserstoff-Transport umgerüstet werden".

Ansonsten ging die Bundesnetzagentur davon aus, dass "große Teile des Gasversorgungsnetzes mangels Verwendung" stillgelegt werden.

Kommt es dazu, dürften die nicht mehr genutzten Gasleitungen wohl kaum flächendeckend ausgegraben werden. Sie würden nach Meinung von Fachleuten zumeist gekappt und in der Erde verbleiben. Als unterirdisches Mahnmal der fossilen Ära.