Weiß gekleidete Personen mit gelben Helmen stehen in der Kraftwerkshalle, schauen in verschiedene Richtungen und notieren sich etwas.
Kann das nachhaltig sein? Internationale Inspektion im slowakischen AKW Mochovce. (Foto: Dean Calma/​IAEA/​Wikimedia Commons)

Frankreich, Finnland und eine Reihe osteuropäischer EU-Länder wollen der Nutzung von Atomkraft und Erdgas einen grünen Anstrich geben. Sie machen Druck auf die EU-Kommission, die beiden Energieträger in der sogenannten EU-Taxonomie als "nachhaltig" einzustufen.

Dagegen haben sich nun 129 Umwelt- und Klimaorganisationen aus ganz Europa gewandt. Sie appellieren in einem offenen Brief an den amtierenden Bundesfinanzminister und wahrscheinlichen nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), bei der Kommission den deutschen Einspruch dagegen mit Nachdruck zu bestätigen.

Die EU will Anleger dazu bringen, in grüne Energien zu investieren. Die Taxonomie-Verordnung soll Leitlinien für zukunftsorientierte Investitionen im Rahmen des "Green Deal" der EU liefern. Technologien, die hier aufgeführt werden, gelten dann als nachhaltig.

Laut Medienberichten haben die Parteien der angehenden Ampel-Koalition vereinbart, sich gegen eine Bewertung von Atomkraft und Erdgas als "nachhaltig" einzusetzen. Auch die amtierende Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat sich wiederholt ähnlich geäußert, zuletzt auf dem UN-Klimagipfel in Glasgow – zusammen mit den Umweltministern von Dänemark, Luxemburg, Österreich und Portugal.

Die Verbände-Allianz befürchtet aber, dass die EU-Kommission bereits Tatsachen schafft, bevor die neue Bundesregierung im Amt ist. Einen Hinweis darauf gab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die beim EU-Gipfel Ende Oktober andeutete, Atom und Gas sollten in die Taxonomie aufgenommen werden.

Investitionen in diese konventionellen Technologien stünden dann auf einer Stufe mit Investitionen in den Bau von Windrädern und Solaranlagen. Der Vorschlag der Kommission wird noch in diesem Monat erwartet.

Die 129 Organisationen verlangen von Scholz, so schnell wie möglich in Brüssel zu intervenieren und "deutlich zu machen, dass der Versuch der Kommission, diese Diskussion in der sensiblen Zeit der Regierungsbildung in Deutschland zu beeinflussen, nicht akzeptabel ist". Kernenergie sei wegen ihrer hohen Sicherheitsrisiken, der Umweltverschmutzung und des ungelösten Abfallproblems alles andere als nachhaltig, argumentieren sie.

Deutschland hat kein Vetorecht

Erdgas wiederum verursache entlang seiner Gewinnungs- und Transportkette große Mengen klimaschädlicher Treibhausgase, insbesondere Methan. "Die Verleihung eines Nachhaltigkeitssiegels an Atomkraft und fossiles Gas würde die Klimaziele der EU untergraben, für den ökologischen Umbau dringend benötigte Investitionen zweckentfremden und damit die Glaubwürdigkeit des gesamten europäischen Green Deal gefährden", so die NGOs.

Der offene Brief wird von zahlreichen deutschen Umweltverbänden mitgetragen, darunter BUND, Nabu, Greenpeace und der Dachverband DNR. Hinzu kommen Dutzende Organisationen aus der EU sowie europaweit aktive Verbände wie Friends of the Earth Europe, Climate Action Network Europe und die Dachorganisation Europäisches Umweltbüro.

Zuvor hatten bereits Politiker aus acht EU-Ländern in einer Erklärung an die EU-Kommission gegen das "Greenwashing" von Atomkraft und Erdgas protestiert und gefordert, Geldanlagen in Atomkraft nicht als nachhaltig einzustufen.

Unterzeichnet haben auch die Bundestagsabgeordnete Lisa Badum von den Grünen und der Klimaexperte der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Michael Bloss. "Die EU-Kommission will mit dieser irreführenden Bezeichnung Millionen Bürgerinnen und Bürger in Europa an der Nase herumführen", ließen die beiden in einer gemeinsamen Stellungnahme wissen. "Das wollen wir verhindern."

Ein echtes Vetorecht haben einzelne EU-Staaten bei dem Thema allerdings nicht. Der erwartete Vorschlag der Europäischen Kommission ist nämlich ein sogenannter delegierter Rechtsakt. Dieser kann nur abgelehnt werden, wenn eine große Mehrheit der EU-Staaten dagegen stimmt.

Das dürfte schwierig werden, da sich zehn der 27 EU-Staaten pro Atomkraft positioniert haben.

Lesen Sie dazu unser Interview mit SPD-Umweltvordenker Michael Müller:

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