Aktivisten halten ein Plakat mit der polnischen Aufschrift
"Faschismus heißt Aussterben": Aktivisten von Extinction Rebellion auf der antifaschistischen Demonstration diese Woche zum polnischen Unabhängigkeitstag. (Foto: Friederike Meier)

"Die Erde ist wichtig für alle. Das Klima verbindet", steht auf dem Plakat, das Barbara Sińczuk in der Hand hält. Wie viele andere ist sie an diesem Montag im November auf den Plac Unii Lubelskiej im Süden der Warschauer Innenstadt gekommen.

Sińczuk ist auch außerhalb der Demonstration für die Umwelt engagiert. In ihrem Stadtteil in Polens Hauptstadt hat sie gegen Smog gekämpft und beim Wahlkampf der grünen Partei geholfen.

Der eigentliche Anlass für die Demonstration ist gar nicht der Klimaschutz. Heute, am 11. November, demonstrieren hier anlässlich des polnischen Unabhängigkeitstags nach Schätzungen der Veranstalter 15.000 Menschen für Gleichberechtigung und gegen Faschismus und Homophobie.

Die Demonstration richtet sich vor allem gegen den "Marsch für die Unabhängigkeit", der zum wiederholten Mal von rechten Nationalisten organisiert wird. Dorthin sind nach Schätzungen der Stadt Warschau 47.000 Menschen gekommen, die Veranstalter sprechen von 150.000.

Auf der antifaschistischen Gegendemo gibt es in diesem Jahr einen "grünen Block" – organisiert von Obóz dla klimatu, der Gruppe, die auch die ersten beiden polnischen Klimacamps veranstaltet hat.

"Die Bewegung wird stärker"

Mit dabei ist Aleksandra Czerniawska. Auch sie ist in der Umweltbewegung aktiv. Die 35-jährige Psychologin engagiert sich seit gut einem Jahr bei Earth Strike. Die Bewegung hat im vergangenen Jahr vier Streiks organisiert, beim größten davon, dem internationalen Streik am 27. September, nahmen in Warschau nach Angaben der Veranstalter 7.500 Menschen teil.

"Die polnische Klimabewegung wird stärker. Vor einem Jahr gab es sie noch fast gar nicht", sagt Czerniawska. Als einen Auslöser sieht sie auch den 1,5-Grad-Bericht des Weltklimarats, der im Oktober vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. "Danach sind polnische Gruppen von Earth Strike, Fridays for Future und Extinction Rebellion entstanden."

Schon zuvor, im Sommer 2018, hatte das erste polnische Klimacamp in der Nähe der Kleinstadt Konin bei Poznań stattgefunden. Dort gibt es mehrere Braunkohletagebaue.

In diesem Jahr folgten dann die Proteste der Fridays-for-Future-Bewegung – die sich in Polen "Jugend-Klimastreik" nennt. Beim ersten großen globalen Klimastreik der Bewegung im März dieses Jahres nahmen in Warschau nach Zählungen von Wissenschaftlern des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung 6.700 Menschen teil. Auch in vielen anderen polnischen Städten gab es Proteste.

Mehr Klimabewusstsein

Zwar streiken die polnischen Schülerinnen und Schüler nicht wie in Deutschland jeden Freitag, sondern konzentrieren sich auf die globalen Streiktage. Aber dort werden es immer mehr.

Beim globalen Klimastreik am 20. September zählten die Wissenschaftler in Warschau 12.000. Laut den Aktivisten selbst waren es 15.000 – und in ganz Polen 33.000 in 71 Städten.

Doch kommen die Botschaften der jungen Aktivisten auch in der breiten Bevölkerung an?

"Es ist schwer, die Unterstützung für die Klimabewegung mit Meinungsumfragen zu erfassen", sagt der Umweltpsychologe Adrian Wójcik. Die Bewegung sei von Jugendlichen dominiert, die in Meinungsumfragen nur einen kleinen Teil ausmachten. Dennoch: Klimaproteste von der Größe wie im September habe es bisher in Polen nicht gegeben, so Wójcik.

Es gibt noch weitere Anzeichen dafür, dass das Bewusstsein für den Klimawandel zunimmt – und das nicht nur bei jungen Polinnen und Polen.

Bei einer Umfrage im Auftrag der Tageszeitung Rzeczpospolita im August, bei der Menschen aus mehreren Themen auswählen konnten, was bei den Parlamentswahlen im Oktober eine Rolle spielen sollte, kam der Klimaschutz mit 64 Prozent an zweiter Stelle, gleich nach Gesundheit. In einer weiteren Befragung aus dem September landete er sogar auf dem ersten Platz.

"Noch sehr auf die Städte beschränkt"

"Als Nichtregierungsorganisation hatten wir lange das Gefühl, dass die Menschen das Thema Klimawandel nicht verinnerlichen", sagt Oskar Kulik, der beim WWF Polen für Klima und Energie zuständig ist. "Das hat sich jetzt geändert."

Kulik sieht verschiedene Gründe für diese Entwicklung. "Den Weltklimagipfel in Katowice zu organisieren war eine gute Idee. Das hat das Interesse am Klimaschutz geweckt." Ein weiterer wichtiger Grund sei die schwere Dürre im Sommer 2018 gewesen, die auch in Polen für hohe Ernteverluste in der Landwirtschaft gesorgt hatte.

Den Umschwung spürt auch Jakub Gogolewski. Seine Organisation "Für Entwicklung – gegen Tagebaue" hilft seit acht Jahren lokalen Protestgruppen, sich gegen neue Braunkohletagebaue zu wehren. "Es ist jetzt neue Energie in der Bewegung", sagt Gogolewski. Seine Organisation bekomme nun viel Unterstützung von den neuen Gruppen.

"Die Leute, die vor Ort gegen die Tagebaue kämpfen, tun das aber häufig nicht wegen des Klimas", erzählt er. Die Menschen sorgten sich vor allem um die Wasserqualität, die Landwirtschaft oder ganz einfach darum, dass ihre Dörfer nicht abgebaggert werden. "Die Klimabewegung ist noch sehr auf die Städte beschränkt", so Gogolewski. "Wir suchen ständig nach einer gemeinsamen Sprache."

Und die Politik? In den Parlamentswahlen im Oktober behielt die regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) die Mehrheit im Sejm, verlor aber die Mehrheit in der zweiten Kammer des Parlaments, dem Senat.

Immerhin hat die Regierungspartei wohl erkannt, dass sie allein mit Kohle nicht mehr durchkommt. Im Sommer dieses Jahres beschloss die PiS ein Programm zur Förderung von Photovoltaik-Anlagen, außerdem gibt es Ausschreibungen für Solar- und Windenergie und es werden Offshore-Windparks geplant.

Schließlich hat die Regierung angekündigt, dass das Energieministerium auf verschiedene andere Bereiche aufgeteilt werden soll – dabei soll auch ein Klimaministerium unter Leitung des früheren Klimagipfel-Präsidenten Michał Kurtyka entstehen.

Kein Ende der Kohle-Politik in Sicht

Allerdings kann diese Umbenennung nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Jahr 2018 immer noch knapp 80 Prozent des polnischen Stroms aus der Kohle kamen – erneuerbare Energien hatten einen Anteil von knapp 13 Prozent. Auch im aktuellen Entwurf für die Energiepolitik bis 2040 ist noch vorgesehen, dass die Kohle in zehn Jahren noch 56 bis 60 Prozent ausmachen soll.

Zudem ist die Unterstützung der Regierung für die Erneuerbaren wohl vor allem äußeren Zwängen zuzuschreiben. Neben den steigenden Fossilstrom-Kosten durch den Emissionshandel dürfte ein sehr wichtiger Grund das EU-Ziel sein, das Polen bis 2020 erreichen muss. Schon im kommenden Jahr sollen 15 Prozent des Endenergieverbrauchs aus Erneuerbaren kommen – 2018 waren es nur knapp elf Prozent.

"Ich habe Hoffnung, bin aber längst nicht zufrieden", sagt Oskar Kulik vom WWF. "Wir brauchen noch viele Diskussionen über den Kohleausstieg – und auch darüber, wie wir die Emissionen im Verkehr reduzieren können."

Auch Earth-Strike-Aktivistin Czerniawska hat Hoffnung: "Dass wir jetzt ein Klimaministerium haben, heißt zwar nicht viel. Aber es zeigt, dass die Regierung dem Thema nicht mehr ausweichen kann."

Die Aktivisten von Earth Strike bereiten schon ihre nächste Aktion für das kommende Jahr vor und auch Fridays for Future Polen wird beim nächsten globalen Streik Ende November wieder auf der Straße sein.

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