Ein Schiff fährt auf dem Südlichen Ozean zwischen sehr vereinzelten kleinen Eisschollen.
Die "Polarstern" im Januar in der eisfreien Bellingshausensee. (Foto: Daniela Röhnert)

Viel hat das Forschungsschiff "Polarstern" auf seinen 130 Expeditionen in die Arktis und Antarktis durchgestanden. 40 Jahre hat der Eisbrecher auf dem Buckel. Aktuell befindet sich das Schiff mit einem Expeditionsteam vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) und der Universität Bremen in der Antarktis.

Eis gibt es dort nicht zu brechen. Die Forschenden berichten von einer nahezu eisfreien Bellingshausensee, einem Randmeer der Westantarktis.

Im Südlichen Ozean waren Anfang Februar nur 2,2 Millionen Quadratkilometer von Meereis bedeckt. Das ist die geringste Ausdehnung seit Beginn der satellitengestützten Aufzeichnung im Jahr 1979.

Und der Sommer auf der Südhalbkugel ist noch nicht vorbei. Bis Ende des Monats kann die Meereisschmelze anhalten und weitere Rekorde brechen.

Expeditionsleiter Karsten Gohl ist zum siebten Mal in der Region. So wenig Eis habe er hier noch nie erlebt, sagte der Geophysiker vom AWI. "Für die Forschungsarbeiten auf dem Schiff sind diese Bedingungen natürlich von Vorteil, aber es gibt einem zu denken, dass diese Änderung in so kurzer Zeit geschehen ist."

Das Team analysiert die Situation vor Ort für das Meereisportal. Das öffentliche Logbuch über die Entwicklung des Meereises ist ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Forschungsinstitute. Außerdem suchen die Wissenschaftler:innen nach Spuren vergangener Eis- und Warmzeiten.

Meereis schmilzt rasant

Seine größte jährliche Ausdehnung erreicht das Meereis in der Antarktis im September oder Oktober. Es kann dann auf 18 bis 20 Millionen Quadratkilometer anwachsen. Das entspricht in etwa der Fläche von Südamerika.

Die Antarktis ist starken saisonalen Schwankungen unterworfen. Es ist keine Seltenheit, dass das Meereis bis Februar an manchen Orten komplett abschmilzt. In den letzten Jahren zeigte die eisbedeckte Meeresfläche aber über das gesamte Jahr einen negativen Trend.

"Die rasante Abnahme des Meereises in den letzten sechs Jahren ist sehr erstaunlich", findet Christian Haas, Leiter der Meereisphysik am AWI. "In den 35 Jahren davor hat sich die Eisbedeckung kaum geändert oder zeitweise sogar zugenommen."

Die mittlere Meereisfläche im Januar lag dieses Jahr um 478.000 Quadratkilometer unter dem bisherigen Minimum aus dem Jahr 2017. Die Differenz entspricht fast der Fläche von Schweden.

Ungewöhnlich warme Luftmassen östlich und westlich der Antarktischen Halbinsel sind mögliche Gründe für die aktuellen Rekordwerte. Zudem wirkt sich die positive Phase des "Southern Annular Mode" (SAM) auf die Windzirkulation aus. Der SAM ist ein Ausdruck für die Luftdruckgegensätze zwischen der Antarktis und den mittleren Breiten.

Die Westwinde wandern in dieser Phase weiter nach Süden und führen zum Aufsteigen von Tiefenwasser an der Küste. Dieses ist wärmer als das Oberflächenwasser und forciert damit den Meereisrückgang.

Tatsächlich galt das Meereis in der Antarktis lange Zeit als Rätsel. Während in der Arktis seit Jahrzehnten schwindende Eisflächen gemessen werden, wuchs auf der anderen Seite des Globus bis 2014 die durchschnittlich von Eis bedeckte Fläche leicht an.

Als Grund dafür hat die Forschung Änderungen in den Luft- und Meereszirkulationen identifiziert, die selbst teilweise auf die Erderwärmung zurückgehen. Zudem ist eine Flächenzunahme nicht gleichzusetzen mit einer Massenzunahme. Über die Dicke des Meereises gibt es keine verlässlichen Daten.

Lebensraum für Robben und Pinguine bedroht

Nun scheint ein Punkt erreicht worden zu sein, an dem sich dieser Trend umgekehrt hat. Es sei durchaus möglich, dass damit der Anfang vom Ende des sommerlichen antarktischen Meereises eingeläutet wurde, erklärt Geophysiker Haas. Das hätte weitreichende Folgen.

Das Meereis ist ein wichtiger Lebensraum für Mikroorganismen und im Meer jagende Tiere wie Pinguine und Robben. Zudem ist das Meereis ein Schutz für den Antarktischen Eisschild.

Die dunkle Meeresoberfläche nimmt mehr Sonnenstrahlung auf als das helle Eis, dadurch erwärmt sich das Meerwasser und beschleunigt wiederum die Eisschmelze – eine positive Rückkopplung, die auch das Festland betrifft.

Es ist wichtig, zwischen Meereis und Landeis zu unterscheiden. Die Masse des Landeises geht schon länger zurück und lässt damit den Meeresspiegel steigen. Im Gegensatz dazu hat das Abschmelzen von Meereis, das aus gefrorenem Ozeanwasser besteht, keine Auswirkungen auf den Meeresspiegel.

Bei einem kompletten Abschmelzen des Eisschildes würde der Meeresspiegel um deutlich über 50 Meter ansteigen. Schließlich sind etwa 70 Prozent des weltweiten Süßwassers in dem antarktischen Eis gebunden.

Ein komplettes Abschmelzen in näherer Zukunft ist zwar extrem unwahrscheinlich, aber mit jedem Zentimeter steigt das Risiko für Küstenregionen.

Immerhin ist die Wissenschaftsvermittlung nun etwas leichter. Haas: "Jahrzehnte haben wir nach Gründen gesucht, weshalb das Meereis trotz Klimawandel wächst. Da haben wir es nun einfacher."

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