Drei große, flache, hellgraue Kuppeln mit einigen Rohrleitungen hinter einer Kaimauer an der Nordsee.
LNG-Terminal im belgischen Zeebrugge: Die vorhandenen Anlagen reichen aus, hat das DIW errechnet. (Foto: Claudine Van Massenhove/​Shutterstock)

Die Bundesregierung will Deutschland mit Flüssigerdgas-Anlagen unabhängiger von Erdgas aus Russland machen. Drei stationäre LNG-Terminals sollen dafür bis 2024/25 an der Küste gebaut werden, in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade. Als Vorläufer könnte ein erstes schwimmendes Terminal laut dem künftigen Betreiber, dem Energiekonzern Uniper, bereits Ende dieses Jahres oder Anfang 2023 ans Netz gehen.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin allerdings hält die Strategie, dass Deutschland eigene Terminals baut, nicht für sinnvoll – "aufgrund der langen Bauzeiten und des mittelfristig stark rückläufigen Erdgasbedarfs".

Uniper will das schwimmende LNG-Terminal an der Nordseeküste vor Wilhelmshaven in Niedersachsen betreiben. Das Unternehmen hatte das Projekt bereits länger geplant, im vorigen Jahr aber auf Eis gelegt. Nun wird es mit Hochdruck wieder vorangetrieben.

Die Anlage, in der das verflüssigte, auf minus 162 Grad Celsius abgekühlte Erdgas wieder in den gasförmigen Zustand zurückversetzt wird, soll rund neun Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr ins Netz einspeisen können. Das entspräche nach Angaben von Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) knapp 20 Prozent der bisherigen russischen Gasimporte. Die Anlage soll später durch eine stationäre ersetzt werden.

Vorhandene Terminals in Nachbarländern

Das DIW rechnet hingegen in einer Untersuchung vor, Deutschland könne auch ohne eigne LNG-Kapazitäten bereits in diesem Jahr auf russische Gaslieferungen verzichten. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass erstens konsequent Energie eingespart und zweitens Gaslieferungen aus anderen Ländern über vorhandene Terminals in den Niederlanden, Belgien und Frankreich ausgeweitet werden.

Die deutsche Versorgung sei dann "auch ohne russische Importe im laufenden Jahr und im kommenden Winter 2022/23 gesichert". Es sei allerdings notwendig, die Gasspeicher rechtzeitig vor Beginn der Heizperiode auf 80 bis 90 Prozent zu füllen.

Das Expertenteam schlägt vor, die Erdgasimporte aus klassischen Lieferländern wie den Niederlanden und Norwegen deutlich auszuweiten. Höhere Lieferungen aus Norwegen könnten bereits ein Fünftel der bisherigen russischen Einfuhren von mehr als 50 Milliarden Kubikmetern pro Jahr ersetzen.

Ein weiteres Viertel sei durch Flüssigerdgas-Importe auszugleichen, die über die LNG-Terminals in Rotterdam, Zeebrugge und Dunkerque sowie das vorhandene Pipeline-Netz nach Deutschland gelangen könnten.

Weitere Entspannung der Lage sei möglich, wenn das europäische Pipelinesystem effizienter zur Verbindung der Bundesrepublik mit Südeuropa genutzt werde. Dort kommt Erdgas aus nordafrikanischen Ländern wie Algerien und Libyen an. 

Industrieproduktion muss sinken

Das DIW räumt allerdings ein, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die bisherigen Erdgasimporte aus Russland komplett auszugleichen. Im Jahr 2021 betrug der Anteil der russischen Lieferungen rund 55 Prozent, inzwischen ist er nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums bereits auf 40 Prozent gesunken.

Das Team um DIW-Energieökonomin Claudia Kemfert hält Einsparungen für notwendig, die bis zu etwa einem Viertel (18 bis 26 Prozent) erreichen könnten. Privathaushalte sollten zum Beispiel während der Heizperiode die Raumtemperatur etwas absenken und weniger Warmwasser verbrauchen.

Die Wirtschaftsforscher:innen gehen davon aus, dass die Industrie ihren Gasverbrauch um bis zu einem Drittel senken kann. Wo technisch möglich, solle Prozesswärme mit Strom, Kohle oder Biomasse statt mit Erdgas erzeugt werden. Allerdings werde bei diesem Einsparziel auch die Produktion vorübergehend deutlich sinken müssen.

Das DIW hält es für notwendig, dass arme Haushalte, die unter den Energiepreissteigerungen besonders leiden, sowie stark betroffene Unternehmen finanzielle Hilfen erhalten. Zudem müsse es jetzt rasch Energiesparkampagnen und Maßnahmen geben, die die Energieeffizienz steigern und den Umstieg auf Wärmepumpen zum Heizen fördern.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) geht bisher davon aus, dass Deutschland erst Mitte 2024 komplett von russischem Gas unabhängig werden kann. Aus der Industrie kommen Warnungen, ein Verzicht auf Gas aus Russland sei allenfalls in vier bis fünf Jahren möglich. Ein sofortiger Lieferstopp werde die Wirtschaft "in ihre schwerste Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs" stürzen, äußerte etwa BASF-Chef Martin Brudermüller.

Redaktioneller Hinweis: Energieökonomin Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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