Die Göttin der Gerechtigkeit, Justitia
Die Karlsruher Verfassungsrichter sollen über die Klimapolitik der Bundesrepublik entscheiden. (Foto: Silvia Frank/​Pixabay)

Jetzt soll auch in Deutschland gelingen, was in den Niederlanden schon geklappt hat. Im Oktober dieses Jahres hatte das Zivilgericht in Den Haag geurteilt, dass der niederländische Staat rechtswidrig handelt, wenn er keine stärkere Reduktion von Treibhausgas-Emissionen anstrebt als bislang. Anders als die Klägerin im Nachbarland, die Umweltstiftung Urgenda, wendet sich das deutsche Klagebündnis direkt an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. 

Neben dem Solarenergie-Förderverein SFV und dem Umweltverband BUND haben elf Einzelkläger Verfassungsbeschwerde eingereicht. Alle werfen der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat vor, dass Deutschlands Klimapolitik die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrheit, auf Schutz des Eigentums und auf das ökologische Existenzminimum gefährdet.

Vorangetrieben wurde die Klage schon seit 2012 vom Solarenergie-Förderverein, der sich für eine dezentrale Bürgerenergiewende einsetzt. Im vergangenen Januar legte der SFV ein Gutachten zur Klimagerechtigkeit vor. "Darin wurde systematisch herausgearbeitet, wie die Klimaschutzversprechen der Bundesregierung eklatant verletzt werden", sagt Susanne Jung vom SFV.

Gemeint ist das Ziel, die nicht vom Emissionshandel abgedeckten Emissionen bis 2020 um 14 Prozent im Vergleich zu 2005 zu senken. Das betrifft die Bereiche Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls hat sich Deutschland gemeinsam mit der EU und ihren Mitgliedsstaaten auf dieses Klimaziel festgelegt.

Außerdem hat sich die Bundesregierung mit der Ratifizierung des Pariser Klimavertrags dazu verpflichtet, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad, möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen. 

Kläger halten deutsche Klimapolitik für existenzgefährdend

Doch de facto, so die Kläger, würden die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestags gar nicht anstreben, die Emissionen aus Strom, Wärme, Verkehr, Chemie und Landwirtschaft rechtzeitig auf null zu senken. Da eine derart anspruchslose Klimapolitik die physischen Grundlagen menschlicher Existenz aufs Spiel setze, beruft sich die Klage nun direkt auf die Verfassung.

"Die Klage fokussiert auf den Grundgesetz-Auftrag, die Rechte auf Leben, Gesundheit und Eigentum zu sichern", sagt Jung. Diese Grundrechte seien in der Verfassung verbrieft, entsprechende Pflichten ergäben sich daraus für die Bundesregierung. Diese schaffe es aber nicht, eine lebenswerte Zukunft für künftige Generationen zu gewährleisten.

Vergangene Woche haben die Kläger, darunter der Wissenschaftler Volker Quaschning, der frühere Bundestagsabgeordnete Josef Göppel und der Schauspieler Hannes Jaenicke, ihre über 150 Seiten starke Klageschrift in Karlsruhe eingereicht.

Weder Bundestag noch Bundesrat hätten die nötigen Maßnahmen getroffen, um die rettenden Klimaschutzziele einzuhalten, so die Kläger. Die Karlsruher Verfassungsrichter sollen deshalb der Politik eine Frist setzen, in der geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um – wie es in der Klageschrift heißt – "rechtzeitig Nullemissionen zu erreichen, damit eine Begrenzung der Erderwärmung auf höchstens 1,5 Grad noch gelingt". 

Aus den Sachstandsberichten des Weltklimarates IPCC gehe hervor, dass sämtliche Emissionen in allen Sektoren weltweit innerhalb von drei Dekaden auf null gesenkt werden müssten. Eigentlich müssten die Treibhausgase sogar noch schneller abgesenkt werden, argumentieren die Kläger, damit spätere Emissionsminderungen nicht noch drastischer ausfallen müssen, um noch eine Begrenzung des gefährlichen Klimawandels zu ermöglichen. 

"Würden wir keine Chancen sehen, würden wir nicht klagen"

Allerdings gibt es erhebliche Hürden für eine Verfassungsklage. Die Beschwerdeführer müssen nachweisen, dass sie in ihren Grundrechten selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt worden sind. 

"Wenn geltend gemacht wird, dass Grundrechte durch ein Unterlassen schärferer oder effizienterer gesetzlicher oder verordnungsrechtlicher Maßnahmen verletzt sind, kann eine Verfassungsbeschwerde nach bisheriger Rechtsprechung nur Erfolg haben, wenn die behauptete Verletzung der staatlichen Schutzpflicht offensichtlich ist", sagt die frühere Verfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff gegenüber Klimareporter°.

Der Juristin zufolge werden sich die Richter bei ihrer Entscheidung nicht von ihrer persönlichen politischen Einschätzung leiten lassen, ob für den Klimaschutz genug oder zu wenig getan worden ist. "Sie werden berücksichtigen, dass die Einschätzung von Wirkungszusammenhängen und von Dringlichkeiten und die Abwägung mit anderen Belangen, die gleichfalls unter dem Schutz der Verfassung stehen – zum Beispiel der sozialstaatliche Schutz von Arbeitsplätzen –, in erster Linie Sache der Gesetzgebungs- und Regierungsorgane ist", erläutert Lübbe-Wolff. "Daher das Offensichtlichkeits-Kriterium". Die Hürden seien also sehr hoch. 

Das Klagebündnis gibt sich dennoch optimistisch. "Würden wir uns keine Chancen ausrechnen, würden wir nicht klagen", sagt der Umweltjurist Felix Ekardt von der Universität Rostock, der die Klageschrift mitverfasst hat.

So argumentiert beispielsweise ein mitklagender Senior, dass er durch zunehmende Hitzewellen infolge des Klimawandels gefährdet sei. Betroffen von den Auswirkungen des Klimawandels sieht sich auch Volker Quaschning von der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, dessen Keller schon mit Regenwasser vollgelaufen ist. "Ist das noch Schicksal oder Klimawandel?", fragt Quaschning.

Das Gericht müsse sich damit auseinandersetzen, aber die Betroffenheit sei längst da, meint der Erneuerbare-Energien-Experte. "Über die Untätigkeit der deutschen Bundesregierung beim Klimaschutz bin ich entsetzt", sagt Quaschning. Die Politik müsse wesentlich mehr tun und die Klage werde dazu beitragen, den Druck auf die Regierung zu erhöhen.

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