Ein Haus wird gebaut
Die Förderung im Bausektor fließt zu häufig in das Falsche und an die Falschen, sagt Ifeu-Experte Martin Pehnt. (Bild: Ulrike Leone/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Pehnt, die Bundesregierung will die Krise am Bau lindern – unter anderem, in dem sie die laut Koalitionsvertrag vorgesehenen Energiestandards bei Neubauten kippt. Ist das eine sinnvolle Maßnahme?

Martin Pehnt: Nein. Was mich vor allem stört, ist die Erzählung der Bundesregierung: In Zukunft heizen wir mit erneuerbaren Energien, dann interessiert die Effizienz nicht mehr. Dabei müssen wir auch mit erneuerbaren Energien sparsam umgehen. Jeder Windpark wird bekämpft, der Ausbau geht zu langsam.

Und nicht nur das: Wir müssen auch die dann stark steigende Belastung des Stromnetzes an kalten Wintertagen im Blick behalten – und die Energiekosten, denn erneuerbare Energien sind nicht umsonst.

Allerdings sehe ich selber auch ein paar Nachteile beim Effizienzhaus‑40-Standard, wie er im Koalitionsvertrag steht. Wir schlagen eine bessere Alternative für einen neuen Neubaustandard vor.

Wie sieht diese Alternative denn aus?

Wir berücksichtigen auch die solaren Gewinne durch die Fenster und differenzieren nach Ein- und Mehrfamilienhäusern, da Einfamilienhäuser höhere Verluste durch die Außenflächen haben.

Außerdem passen wir die Effizienzwerte der Außenbauteile an einen modernen Baustandard an – die jetzigen Werte stammen noch von 2009 und sind im europäischen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Wir machen diese Anpassung aber so, dass weiterhin alle Bauweisen benutzt und Kostensprünge vermieden werden können.

Was bringt das?

Wir sind dann in einem Bereich, wo der ökologische und der ökonomische Zusatznutzen durch die bessere Effizienz in einem guten Verhältnis zum Aufwand stehen. Mir geht es also nicht darum, ein unsinniges letztes Quäntchen Einsparung rauszukitzeln.

Mit einem solchen Neubaustandard könnten wir die Debatte endlich beenden, denn diese Gebäude sind fit für eine klimaneutrale Gesellschaft. Die Umsetzung der europäischen Gebäuderichtlinie, die nächstes Jahr verabschiedet werden soll, in deutsches Recht wäre der geeignete Anlass für einen solchen Standard.

Und wäre das bezahlbar?

Für solche Gebäude muss man zwei bis vier Prozent mehr investieren, erhält dafür aber dauerhaft geringere Energiekosten. Wenn wir über Baukosten sprechen, sollten wir auch über Stellplätze und Tiefgaragen, Baulandpreise oder Schallschutz-Anforderungen reden.

Dass Neubauten künftig mit 65 Prozent Öko-Energie beheizt werden müssen, reicht also nicht? 

Der Entwurf der europäischen Gebäuderichtlinie verlangt von den zukünftigen "Nullemissionsgebäuden", dass sie ab 2030 kein CO2 aus fossilen Brennstoffen vor Ort für die Beheizung mehr verursachen dürfen. "No fossil carbon on-site" heißt das knackig im Entwurf. Das halte ich für ein sehr einfaches und plausibles Kriterium im Neubau.

Muss man nicht den ganzen Lebenszyklus des Gebäudes in den Blick nehmen, also auch die "grauen Emissionen" für die Herstellung?

Auf jeden Fall. Die Bauwirtschaft ist für einen beträchtlichen Anteil am Ressourcenverbrauch sowie an Abfall und Emissionen verantwortlich. Daher müssen das Bauen und der Betrieb von Gebäuden klima- und ressourcenfreundlich gestalten werden.

Ich spreche ich mich für ein eigenes "Nachhaltig Bauen und Sanieren"-Gesetz aus, das Fragen der klimafreundlichen Baustoffe, der Ressourcenkreisläufe, der Flächeneffizienz, aber auch der langlebigen Gebäudekonzepte und des Rückbaus von Gebäuden in den Blick nimmt.

Die Ampel will die von der EU geplante Energie-Sanierungspflicht für Altbauten nicht umsetzen, um die Bürger finanziell zu schonen. Verständliche Maßnahme?

Foto: Ifeu

Martin Pehnt

leitet das Institut für Energie- und Umwelt­forschung (Ifeu) in Heidel­berg. Der Physiker und Energie­techniker ist außerdem Sach­verständiger in den Klima­räten von Baden-Württem­berg und Hamburg sowie Mitglied im Fachrat Energie­unabhängigkeit, angesiedelt am Institut für Zukunfts­fähige Ökonomien (ZOE), einem gemein­nützigen Thinktank für wirtschafts­politische Fragen einer grünen und gerechten Transformation.

Ich kann verstehen, dass die Politik zwei Jahre vor der Wahl nicht noch einmal eine ähnliche Debatte haben will wie beim Heizungsgesetz. Eine Sanierungspflicht, freilich mit Härtefallregelungen, könnte funktionieren mit guten Zuschüssen gerade auch für sozial schwächere Haushalte und für Gebäude mit niedrigem Immobilienwert oder für vermietete Gebäude mit niedrigem Mietniveau. Hier sollte das Geld hineinfließen – und nicht in ein verkorkstes Förderprogramm wie das vorige Woche geöffnete Programm für eh schon wirtschaftliche Solar-Ladestationen für E-Autos, das nach einem Tag vergriffen war.

Übrigens: Die EU-Kommission hat die Sanierungsanforderungen vor allem mit Blick auf die Mietwohnungen vorgeschlagen, denn die Energiekosten zahlen ja meist die Mieterinnen und Mieter, während die Vermieterinnen und Vermieter kaum Anreiz und Anlass zur Sanierung haben.

Wie könnte man die zu geringe Sanierungsquote von nur rund einem Prozent der Altbauten pro Jahr auf die aus Klimagründen eigentlich notwendigen drei Prozent erhöhen?

Eine Sanierungsquote von drei Prozent werden wir nie bekommen, dafür fehlen Fachkräfte und Ressourcen. In unseren Szenarien liegen wir eher bei zwei Prozent. Wenn nun aber die Sanierungspflichten wegfallen, bleibt eigentlich nur, die Rate mit Fördermilliarden anzukurbeln. Aber auch damit bekommt man nicht die Unwilligen.

Wären hohe Zuschüsse denn vom Staat finanzierbar?

Es ist ja erstaunlich, wie schnell im letzten Jahr dreistellige Milliardenbeträge aktiviert wurden, von denen man früher nur träumen konnte. Gleichwohl: Es ist Steuergeld, mit dem man sorgsam umgehen muss. Daher muss der Bund eine Gießkannen-Förderung vermeiden.

Es ist Zeit, die Förderung stärker sozial zu differenzieren, wie dies ja bei der Heizungsförderung schon geschehen soll. Ich könnte mir vorstellen, dass man diese Förderprogramme auch langfristig aus den Einnahmen eines steigenden CO2-Preises finanziert. Das sollte man aber gesetzlich festlegen, damit die Förderung nicht wieder nach kurzer Zeit versiegt.

Viele Beobachter wundern sich, dass die Grünen und ihr Wirtschaftsminister Habeck dem Abwracken der Pläne ohne große Gegenwehr zugestimmt haben. Können Sie das erklären?

Die letzten Monate haben offenbar zu einer großen Ernüchterung geführt. Bauministerin Geywitz von der SPD hat mit ihren Aussagen gegen eine Verschärfung und gegen die Sanierungspflichten Fakten geschaffen, und die Ampel hat ihren eigenen Koalitionsvertrag ad acta gelegt.

Man muss aber einräumen: Beim jüngsten Baugipfel wurden auch einige sinnvolle Maßnahmen ausgehandelt, nicht zuletzt eine Steigerung der Förderung für Einsparmaßnahmen und eine höhere, dynamischere "Sprinterprämie" für alle, die schon früh eine neue Heizung einbauen.

Trotzdem ist meine Hoffnung auf weitere wirkungsvolle Klimaschutzmaßnahmen in den nächsten zwei Jahren geschwunden. Gerade wird ein von einer schwarz-roten Regierung eingeführtes, transparentes Klimaschutzgesetz aufgeweicht.

 

Welche Strategie wäre die richtige, um die unbestreitbare Wohnungsnot generell zu lindern?

Diese Frage öffnet ein großes Fass. Priorität sollte das Umbauen des Gebäudebestands haben. Ein riesiges Potenzial steckt allein im klugen Umbau vieler der 16 Millionen Einfamilienhäuser, die oft nur von ein oder zwei Personen bewohnt werden, oder in der Aufstockung, Teilung oder Umnutzung von Gebäuden. Dazu brauchen wir Vereinfachungen bei verschiedenen Regelungen.

Hinzu kommen Instrumente wie ein soziales Wohnbauprogramm, ein kommunales Vorkaufsrecht und Bebauungspflichten bei Spekulationsgrundstücken.

Wäre das auch ein Rettungsanker für die Bauindustrie, die unter Auftragsmangel leidet?

Aus meiner Sicht sollte der Rettungsanker eine radikale Umorientierung auf den Gebäudebestand sein. Wir brauchen die Fachkräfte, die Baumaterialien, die Planungsressourcen, um die Altbauten mit den Klimazielen in Einklang zu bringen, an den Klimawandel anzupassen und zugleich die wunderbaren baukulturellen Besonderheiten beizubehalten.