Viele Brücken in Deutschland sind marode, sowohl im Fernstraßen- als auch im kommunalen Netz. Das ist bekannt. Doch die Lage ist offenbar noch deutlich dramatischer, als sie vom Bundesverkehrsministerium gesehen wird.

Eine neue Untersuchung beziffert die Zahl der Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen, die erneuert oder zumindest verstärkt werden müssten, auf rund 16.000. Das Ministerium hingegen geht von deutlich niedrigeren Zahlen aus.

 

Werde die Sanierung weiter verschleppt, dann seien die Bauwerke anfälliger für Verschleiß, was mittelfristig zu noch höheren Kosten führe, warnt das Deutschland-Büro der Organisation Transport & Environment (T&E), das die Analyse vorgelegt hat.

Das Verkehrsministerium hat ein Brückenmodernisierungs-Programm aufgelegt, das bisher binnen zehn Jahren rund 4.000 Ersatzneubauten vorsieht, und zwar vor allem entlang der europäischen Autobahn-Fernverbindungen. Langfristig sollen 4.000 weitere Brücken im Kernnetz saniert werden.

T&E gibt an, dass weitere 2.000 Brücken in diesem Bereich ebenfalls schon jetzt die Kriterien des Bundes für einen Ersatz erfüllten. Zusammen entspreche das rund einem Viertel aller Brücken auf den Bundesstraßen und Autobahnen.

In dem Programm seien allerdings mehr als 12.000 weitere Brücken im übrigen Fernstraßen-Netz nicht berücksichtigt, die nach den Kriterien ebenfalls verstärkt oder neu gebaut werden müssten. T&E ist ein europäischer Dachverband von NGOs, die sich für ein nachhaltiges Verkehrswesen einsetzen.

Viele Brücken sind nicht auf heutige Belastung ausgelegt

Das Bundesverkehrsministerium unterschätze nach wie vor, wie schlecht es um die Brücken im Straßennetz stehe, kritisiert T&E Deutschland.

"Wir wissen eigentlich genau, welche Brücke schnell saniert werden muss", sagte T&E-Analyst Benedikt Heyl. "Doch das Verkehrsministerium hinkt den Notwendigkeiten so weit hinterher, dass die Autobahn GmbH inzwischen eine Triage bei der Modernisierung von Straßenbrücken durchführt. Das ist absurd und teuer, denn jede verschleppte Sanierung kostet in Zukunft noch viel mehr."

Den gesamten Investitionsbedarf für die Sanierung schätzt T&E auf knapp 100 Milliarden Euro. Das Ministerium teilte auf Anfrage mit, die genannte Zahl von 16.000 Brücken sei nicht nachvollziehbar.

Aufgeständerte Autobahn über einem Tal in Deutschland.
Die Organisation des Straßenverkehrs in Deutschland gilt als eine Art Nation-Building, nun zeigen sich aber immer deutlicher die Nachteile. (Bild: Torsten Simon/​Pixabay)

Die NGO verweist auf bekannte Beispiele, bei denen die Sanierung verschleppt wurde. Das jüngste davon ist die sogenannte Ringbahnbrücke der Stadtautobahn A100 in Berlin, die im März gesperrt wurde, weil sich ein Riss im Tragwerk vergrößert hatte. Das führte zu einer noch andauernden Unterbrechung des Verkehrs auf dem wichtigen Berliner S-Bahn-Ring. Die Brücke ist inzwischen abgerissen worden.

T&E erläutert, dass die Sanierungsnotwendigkeit für Brücken schon lange absehbar gewesen sei. Hauptgrund: Viele Brücken seien beim Bau etwa in den 1970er Jahren auf eine geringere Verkehrsbelastung als heute üblich ausgelegt worden.

Der Zustand ist laut der Organisation allerdings nicht überall gleich schlecht. Besonders betroffen sind danach die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen, aber auch zum Beispiel Nordrhein-Westfalen.

Besser sei die Situation im Schnitt in den ostdeutschen Flächenländern. Dort seien viele Brücken nach der deutschen Einheit in den 1990er Jahren neu gebaut und damals bereits auf höhere Verkehrslasten ausgelegt worden.

"Wer von Straßenneubau träumt, hat die Lage nicht erkannt"

Die NGO fordert von der künftigen Bundesregierung, einen Vorrang für Sanierung und Instandhaltung der Fernstraßen zu beschließen, statt weiter neue Autobahnen und Bundesstraßen zu bauen. Die Finanzierung des Brücken-Erhalts sei auf sichere Füße zu stellen.

"Deutschland braucht eine strategische Kehrtwende", sagte Heyl dazu. "Wer in Zeiten einstürzender Brücken und Klimakrise noch von Straßenneubauten träumt, hat den Ernst der Lage nicht erkannt. Jetzt muss jeder Cent, der für die Straßeninfrastruktur vorgesehen ist, in die Sanierung fließen."

Die Erhaltung von Brücken sei eine Daueraufgabe und müsse langfristig gewährleistet werden, was auch der Bauwirtschaft Planungssicherheit gebe. Außerdem fordert T&E von der neuen Koalition, den Einsatz von klimafreundlich produziertem Stahl und Zement bei den Ersatzbauten vorzuschreiben.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist eine solche Kehrtwende beim Straßenbau nicht vorgesehen. Darin heißt es zwar: "Für die Straße werden Finanzmittel zur Auflösung des Sanierungsstaus insbesondere bei Brücken und Tunneln zur Verfügung gestellt."

Allerdings soll an dem 2016 beschlossenen Bundesverkehrswegeplan festgehalten werden, der einen Neubau von über 800 Kilometern Autobahn und etwa 3.000 Kilometern Bundesstraßen sowie eine Verbreiterung von mehr als 2.000 Kilometern bestehender Fernstraßen vorsieht.

 

Weiter fordert T&E, der Bund und die Bundesländer müssten auch mehr Finanzmittel für die Infrastruktur in den Städten und Gemeinden bereitstellen. Laut der jetzt vorgelegten Analyse zeigen Erhebungen, dass auch hier ein erheblicher Teil der Bauwerke marode ist.

Der Investitionsbedarf bei den kommunalen Straßenbrücken werde auf über 46 Milliarden Euro geschätzt, und mindestens ein Bedarf von weiteren zehn Milliarden Euro entfalle in die Zuständigkeit der Länder.

Ein spektakulärer Fall maroder Infrastruktur in den Kommunen zeigte sich im vorigen Jahr beim Teileinsturz der Carolabrücke in Dresden. Die komplette Brücke muss ersetzt werden.

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