Hier ist ein Mensch zu sehen, der einem startenden Flugzeug zuschaut
Ein handelbares Flugbudget für jeden Bürger? Findet FDP-Chef Christan Lindner gar nicht gut. (Foto: Hong Kong/​Pixabay)

Der Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek von den Grünen hat im Interview mit dem Münchner Merkur gesagt, er finde eine Idee eines Sozialwissenschaftlers zur Verringerung des Flugverkehrs interessant. Und die halbe Welt dreht durch.

Vor allem FDP-Chef Christian Lindner fand auf Twitter und gegenüber der Bild Worte, die man als drastisch bezeichnen könnte, wenn es nicht dieselben wären, die er ohnehin immer wählt, wenn es um die Grünen geht. "Verbotspartei", "Nicht klug", diese ganze Schiene.

Auch andere Vertreter der FDP und etliche Mitglieder der AfD zerrissen Janecek in der Luft (eine schöne Auflistung gibt es hier).

Worum es eigentlich ging? Der Verkehrssoziologe Andreas Knie hatte im vergangenen Jahr angeregt, man könne doch Flugreisen aus Klimaschutzgründen bei drei pro Kopf deckeln. Denkbar sei zudem eine Art Marktplatz: Wer mehr benötige, müsse denen welche abkaufen, die ihre nicht aufbrauchen. Letzteres ist das, worauf Janecek sich nun bezog.

Das heißt: Entweder haben Lindner und Co das Interview gar nicht gelesen oder sie betreiben bewusst Desinformation. Denn abgesehen davon, dass Janecek die Flugbudgets gar nicht ausdrücklich vorschlägt, sondern die Idee eben nur "interessant" nennt, geht es dabei ja gerade nicht um ein Verbot.

Drei Flugreisen pro Kopf und Jahr sind viel

Im Gegenteil: Die Flugbudgets, wie Janecek sie präsentiert hat, laufen auf ein waschechtes Marktinstrument heraus. Cap and trade, deckeln und handeln. Wie beim Emissionshandel, nur eben für Flug-Zertifikate.

Von der rechten AfD, die den menschengemachten Klimawandel bekanntermaßen leugnet, waren natürlich keine Jubelstürme zu erwarten. Dass Lindner und seine FDP den Vorstoß jetzt, wie sonst auch, mit allen Evergreens des neoliberalen Vokabulars ablehnen, offenbart eines recht eindrücklich: dass ihnen an Klimaschutz nicht viel gelegen ist – egal, wie der nun daherkommen mag.

Aber ist der Handel von Flugzertifikaten nun eine gute Idee? 

Geht man von 83 Millionen Deutschen und jeweils drei Flugreisen aus, wären das fast 250 Millionen Flüge. Deutsche Flughäfen haben im Jahr 2017 "nur" 213 Millionen Passagiere befördert. Der Deckel hätte also zurzeit noch nicht mal eine einschränkende Wirkung. Würde das nicht sogar den Eindruck erwecken, dass drei Flugreisen im Jahr fürs Klima völlig in Ordnung seien?

Das wäre fatal. Wie klimaschädlich ein Flug wirklich ist, hängt natürlich von seiner Länge und auch von anderen Faktoren wie dem Flugzeugtyp ab. Aber als Beispiel: Mit drei Flügen von Berlin nach New York und wieder zurück hätte man allein durchs Fliegen fast so viel Kohlendioxid freigesetzt wie ein durchschnittlicher Deutscher zurzeit pro Jahr insgesamt.

Was bringt den Wertewandel?

Andreas Knie vermutet allerdings, dass etwas anderes eintritt, selbst wenn Menschen mit viel Geld trotzdem viel fliegen könnten – nämlich ein Wertewandel. "Aber würden die Schönen und Reichen mit dem 'Ich fliege' angeben können?", fragte er in einem Gastbeitrag auf Klimareporter°, in dem er seinen Vorschlag im vergangenen Jahr vorstellte. Die Hoffnung: Die Deckelung würde die Flüge weniger selbstverständlich machen, vielleicht sogar als sozial unerwünscht brandmarken.

Das mag stimmen. Im Prinzip könnte man den Deckel ja außerdem tiefer ansetzen. Dann stellt sich aber immer noch die Frage, ob wir unseren privaten Alltag überhaupt politisch forciert kommerzialisieren wollen. Jeder Mensch wäre unweigerlich potenzieller Käufer und Verkäufer und müsste Strategien entwickeln, wie er sich auf dem Markt verhält. Manch einer würde seine drei Zertifikate vielleicht einfach nutzen, soweit er möchte, und den Rest liegen lassen.

Wer etwas mehr Energie hineinsteckt, könnte aber vielleicht sogar mit den Flügen spekulieren und durch klugen An- und Verkauf Gewinn machen, obwohl er selbst gar nicht aufs Fliegen verzichtet. Das würde das Ganze ungerecht machen. Das Know-how und die Zeit dafür hat erstens nicht jeder. Und zweitens konterkariert es das Prinzip, dass Klimaschaden kostet und Klimaschutz sich lohnt.

Außerdem gäbe es wohl einen recht hohen Verwaltungsaufwand, um das Ganze zu organisieren. Das spricht alles nicht per se gegen den tatsächlich interessanten Vorstoß. Die Hauptsache ist ja auch: Deutschland und der Rest des globalen Nordens müssen sich an den Gedanken gewöhnen, dass das Fliegen keine Normalität sein kann. Für die meisten Menschen auf der Welt – vier Fünftel haben noch nie ein Flugzeug betreten – war es das noch nie.

Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.