Corona hat die Mobilität verändert. Die Zahl der zurückgelegten Wege ist gesunken. Auch beim Auto gab es bundesweit einen Rückgang um 30 Prozent. Noch stärker ist der Bahnverkehr eingebrochen. Viele Menschen verzichteten während der Kontaktsperre auf Fahrten mit Bahn und Tram, weil sie Ansteckungen mit dem Virus fürchteten. Entsprechend dünnten die Deutsche Bahn und lokale Verkehrsbetriebe ihre Angebote aus.
Zugleich sind in vielen Städten neue Radwege entstanden. Sie sollen Radfahrer:innen dabei helfen, die Vorgaben für Sicherheitsabstände einzuhalten, und in Großstädten sollten sie zusätzlich den öffentlichen Nahverkehr entlasten. Berlin, Düsseldorf, München, Nürnberg und Stuttgart haben beispielsweise sogenannte Pop-up-Fahrradspuren, temporäre Radwege, eingerichtet.
In Berlin lagen die Pläne für diese Radwege schon in der Schublade. Durch die Pandemie konnten sie unkompliziert verwirklicht werden, auch wenn das Verwaltungsgericht Berlin in der vergangenen Woche Zweifel an der Rechtmäßigkeit angemeldet hat. Zwar könne die Senatsverwaltung befristete Radwege einrichten, allerdings nur dort, wo es eine konkrete Gefahr für die Verkehrssicherheit gebe. Das hatte die Verwaltung nicht ausreichend dargelegt. Hier muss die Politik nacharbeiten.
"Für die Verkehrspolitik ist die Pandemiezeit sehr fruchtbar: Die Menschen sind gezwungen, über ihr bisheriges Verhalten nachzudenken und es gegebenenfalls auch zu ändern", sagt der Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin. Jetzt habe Politik für die Ingangsetzung der Verkehrswende eine große Chance.
Doch die Verkehrspolitik hielt sich mit Vorschlägen in der Coronakrise bisher zurück, abgesehen von den Pop-up-Radwegen. Immerhin spürten auch Fahrradhersteller und -händler die gestiegene Beliebtheit des Radfahrens und verzeichnetenin den vergangenen Wochen höhere Absätze.
Einbruch bei Sharingdiensten
Das ist aber nur ein Teil des Bildes. Vor allem die sogenannten neuen Mobilitätsdienstleistungen hatten es während der Kontaktsperre schwer. Etliche der Unternehmen haben ihr Angebot in der Pandemie eingeschränkt oder zum Teil gleich ganz eingestellt. So hatte beispielsweise der Fernbusanbieter Flixbus seinen Betrieb in Deutschland für mehrere Wochen ausgesetzt.
Auch die Anbieter von Carsharing bekamen die deutlich gesunkene Nachfrage zu spüren. "Wir hatten in den ersten Wochen nach dem Lockdown Rückgänge bei den Anmietungen um rund 50 Prozent", sagt Michael Fischer, Sprecher von Weshare, gegenüber Klimareporter°.
Die VW-Tochter, die ausschließlich Elektroautos vermietet, hat die Reißleine gezogen und ihre Expansionspläne vorerst auf Eis gelegt. Fischer: "Wir haben uns angesichts der zurückliegenden Einnahmeausfälle während der Krise und fortbestehender Planungsunsicherheiten wegen einer möglichen zweiten Infektionswelle dafür entschieden, in diesem Jahr vorerst keine Standorte in weiteren Städten zu eröffnen."
Die gesamte Sharingbranche – über 220 Unternehmen in Deutschland – war von der gesunkenen Nachfrage betroffen. Beim Bundesverband Carsharing heißt es, die Corona-Pandemie habe erhebliche Umsatzeinbußen verursacht. Im März waren die Buchungszahlen um die Hälfte eingebrochen. "Wir müssen dafür sorgen, dass durch die Coronakrise das Carsharing-Angebot in Deutschland nicht langfristig geschwächt wird", warnte der Geschäftsführer des Verbands Gunnar Nehrke.
Etliche Unternehmen schickten ihre Mitarbeiter:innen in Kurzarbeit. Manche dünnten ihre Flotte aus, meldeten Pkw ab ober stellten ihr Angebot vorübergehend ein. Signifikante Umsatzeinbußen verzeichnete auch Deutschlands größter Carsharing-Anbieter Share Now.
Ähnliches war bei Fahrdiensten zu beobachten. Free Now, wie Share Now ein Gemeinschaftsunternehmen von Daimler und BMW, hat wegen ausbleibender Buchungen einen Teil seiner Beschäftigten in Kurzarbeit geschickt. Zudem wurden Stellen "in einem unteren dreistelligen Bereich" abgebaut, wie Free Now mitteilte.
Ridepooling im Krisenmodus
Die ausbleibenden Buchungen und fehlenden Einnahmen sind für die Branche ein großes Problem. Vieles, was jetzt nicht mehr genutzt wird, wird später nicht wieder hochfahren. Vor allem für Fahrdienste, die von mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden – das sogenannte Ridepooling –, war die Corona-Pandemie verheerend. Sie haben ihr Angebot auf Krisenmodus gestellt.
So hatte die VW-Tochter Moia, die in Hamburg und Hannover tätig ist, den Betrieb in der niedersächsischen Landeshauptstadt für fünf Monate eingestellt. Seit ein paar Tagen sind dort wieder E-Kleinbusse im Einsatz. In Hamburg konnten die Fahrzeuge nur zwischen null und sechs Uhr gebucht, aber auch mit Fahrkarten des Hamburger Verkehrsverbunds genutzt werden. Moia wurde mehr oder weniger ein Mini-Nachtbus im Nahverkehr.
Die Furcht der Kund:innen vor Ansteckung war für viele Ridepooling-Anbieter ein erhebliches Problem, denn die Nachfrage blieb aus. So hat der Sammeltaxi-Dienst der Deutschen Bahn, Clevershuttle, im Juni bekannt gegeben, keine Fahrten mehr in Berlin, Dresden und München anzubieten.
Als Erklärung für den Schritt nannte Fabio Adlassnigg von Clevershuttle die "strategische Neubewertung der Aktivitäten in diesen Städten sowie wirtschaftliche Gründe". Ziel des Unternehmens sei es, sich als Ergänzung zum ÖPNV zu etablieren. In Düsseldorf, Leipzig und Kiel gebe es dafür starke lokale Partnerschaften und der Betrieb laufe dort normal weiter.
"Waren vor der Krise vor allem die Abend- und die Nachtstunden sehr stark frequentiert, so sind es jetzt die schwächsten Zeiten", sagt Clevershuttle-Sprecher Adlassnigg gegenüber Klimareporter°. "Dass Restaurants, Kneipen und Clubs nicht mehr so häufig besucht werden wie vor der Krise, spüren wir deutlich."
Um Fährgästen auch während der Pandemie ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln, können Kund:innen von Clevershuttle entscheiden, ob sie ihre Fahrt mit höchstens einem weiteren Fahrgast teilen wollen oder eine Einzelfahrt bevorzugen. Weitere Vorkehrungen wie eine Maskenpflicht, Trennscheiben sowie das regelmäßige Reinigen und Desinfizieren kommen dem Bedürfnis nach Sicherheit entgegen.
E-Tretroller kommen wieder
Neben Anbietern von Carsharing und Ridepooling wurden auch die Verleiher von E-Scootern deutlich von Corona in Mitleidenschaft gezogen. Seit Sommer vergangenen Jahres sind die mit Elektromotoren ausgestatteten Roller in Deutschland erlaubt und eroberten schnell größere Städte. Doch während der Kontaktsperre verschwanden viele E-Scooter aus dem Straßenbild, die Anbieter hatten sie eingesammelt.
"Die strengen Ausgangs- und Kontaktsperren der im März und April hatten natürlich auch für uns deutliche Folgen", sagt David Krebs vom Berliner Anbieter Tier Mobility. "In der Lockdown-Phase haben wir allgemein einen Umsatzeinbruch und eine geringere Nutzung unseres Services erlebt – analog zu den generell rückläufigen Bewegungsaktivitäten der Menschen." Allerdings gebe es derzeit wieder einen deutlichen Aufwärtstrend.
Auch der schwedische Anbieter Voi, der in mehreren Städten in Deutschland vertreten ist, sieht sich trotz Kontaktsperre wieder im Aufwind. "Seit dem Neustart aus der Corona-Pause hat sich unsere Flottenauslastung stark erhöht – in Berlin hat sie sich mehr als verdreifacht", meint Klaus Unterkircher, Voi-Geschäftsführer für Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Kurswechsel: So gelingt die Verkehrswende
Der Verkehr erreicht seine Klimaziele nicht – in fast 30 Jahren sind die CO2-Emissionen des Sektors um kaum ein Prozent gesunken. Die Verkehrswende braucht es aber auch, damit Städte mehr Lebensqualität gewinnen und die Belastungen durch Lärm und Schadstoffe sinken. Klimareporter° stärkt deshalb – in Kooperation mit dem Verkehrswendebüro des Wissenschaftszentrums Berlin – den Fokus auf Verkehrsthemen und berichtet in einer Serie über Hemmnisse bei der Verkehrswende und über Lösungen für eine nachhaltige, zukunftsfähige Mobilität.
Zwar lägen die Zahlen nach der Kontaktsperre noch unter den Vergleichswerten vom letzten Jahr. "Inzwischen haben sie diese aber bereits an vielen Stellen überschritten und ein Ende des Aufwärtstrends ist noch nicht in Sicht", gibt sich Unterkircher optimistisch.
Eine ähnliche Entwicklung beobachtet auch der US-amerikanische E-Scooter-Anbieter Lime. "In den letzten Wochen und Monaten seit der Corona-bedingten Betriebspause sehen wir ein kontinuierliches Wachstum bei den Nutzerzahlen wie auch bei der Anzahl der Fahrten", sagt Jashar Seyfi, Geschäftsführer von Lime Deutschland.
Auch die Fahrtdauer habe sich verändert. "Auswertungen zeigen, dass die Fahrten mit den Lime-Scootern im Schnitt 25 Prozent länger sind als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie", sagt Seyfi.
Verlierer ÖPNV, Gewinner Fußverkehr
Während die E-Roller-Dienstleister die Talsohle der Corona-Pandemie offenbar hinter sich haben, haben es die kommunalen Verkehrsunternehmen nach wie vor schwer. Der öffentliche Verkehr hat weiterhin mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Die Auslastung von Bussen und Bahnen ist immer noch deutlich geringer als üblich.
"Nach der langsamen Aufhebung der Beschränkungen sind die Stammkunden wieder zurück in den öffentlichen Verkehrsmitteln, aber eben nur die Stammkunden, das reicht für eine Verkehrswende aber nicht aus", sagt Verkehrsforscher Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin.
"Der öffentliche Verkehr steht vor einer großen Herausforderung: Er muss sich praktisch neu erfinden und seine Dienste von Haustür zu Haustür anbieten", meint Knie. Und dafür brauche es die neuen Mobilitätsanbieter, die jetzt zum großen Teil Rückschläge durch die Pandemie erfuhren.
Punkten konnte dagegen eine Fortbewegung, die viele nicht auf dem Schirm haben, wenn sie an Mobilität denken. "Während des Lockdowns waren tatsächlich die Füße der große Gewinner im Verkehrsmarkt", sagt Andreas Knie. Die Menschen entschieden sich häufiger fürs Zufußgehen.
Wegen Homeoffice und Kurzarbeit entfielen viele Arbeitswege, und die Freizeit wurde häufig für Spaziergänge oder Erledigungen in Fußentfernung genutzt. Ob sich dieser Trend fortsetzt, werden die kommenden Monate zeigen.
Redaktioneller Hinweis: Andreas Knie ist Mitglied des Herausgeberrats von Klimareporter°.