Fertige Gasturbine im Siemens-Energy-Werk Finspang in Schweden.
Teilweise "H2-ready": Versandfertige Gasturbine im Werk Finspang von Siemens Energy. (Foto: Jörg Staude)

Das neue Zauberwort der Gasbranche lautet "H2-ready". Es beschreibt den Umstand, dass in den nächsten Jahren zwar noch fossile Gasprojekte wie LNG-Terminals gebaut werden sollen – vorsorglich sollen diese aber dafür ausgelegt sein, statt Erdgas Wasserstoff einsetzen zu können, am besten grünen, also mit Ökostrom hergestellten.

Einige Zweige der Gasbranche haben es mit dem Ready-Sein gar nicht so schwer. So kann im bestehenden Gasnetz ohne große Probleme der Wasserstoff-Anteil auf zehn Prozent erhöht werden, manche halten sogar 25 Prozent für möglich.

Die deutsche Raffinerie- und Chemiebranche ist schon lange "H2-ready". Wasserstoff wird hier seit Langem eingesetzt, um Stickstoffdünger herzustellen oder um Mineralöl zu entschwefeln. Allerdings ist der Wasserstoff hier nicht grün, sondern wird auf fossiler Grundlage gewonnen.

Die Kraftwerksbranche weiß inzwischen auch: Ohne das Beiwort "H2-ready" geht nichts mehr. Herzstück eines Gaskraftwerks ist die Turbine, wo der Brennstoff gezündet wird, der am Ende einen Generator antreibt.

Vorteil so einer Turbine ist, dass sie innerhalb von Minuten angeworfen werden kann. Nachteilig ist ihr eher geringer Wirkungsgrad von 40 Prozent. Sofern die Abwärme genutzt wird, können es bis zu 60 Prozent sein.

Seine Gasturbinen seien eigentlich schon jetzt "H2-ready", meint Siemens Energy, einer der großen Kraftwerksausrüster. Je nach Leistungsklasse könnten schon heute anteilig 40 bis 75 Prozent Wasserstoff eingesetzt werden, erklärte Siemens-Energy-Vorstand Karim Amin kürzlich bei einer Medienpräsentation im schwedischen Siemens-Werk in Finspang westlich von Stockholm.

Zunächst sprach der Siemens-Manager aber nicht über den Wasserstoff, sondern davon, dass der Konzern in "mittlerer Perspektive" auch global mit einem wachsenden Markt für Gaskraftwerke rechnet.

Ein Grund für den Neubaubedarf sei, dass ein Gaskraftwerk einen zwar teureren Brennstoff benötigt, als sogenanntes Backup aber die schwankende Erzeugung der Erneuerbaren ausgleichen kann.

Ein weiterer Grund: China und auch Staaten in Osteuropa wechseln laut Siemens derzeit von Kohle zum Gas. Bis 2030 könnten so weltweit jährlich bis zu 60.000 Megawatt neu errichtet werden. "Das ist das, was der Markt uns sagt", erklärte Amin in Finspang.

Natürlich weiß der Siemens-Vorstand auch, wie es um das Weltklima bestellt ist. Am Klimawandel habe er keine Zweifel, sagte Karim Amin. Die Frage sei deswegen, wie sich die Auswirkungen der Gaskraftwerke auf die Umwelt so gering wie möglich halten lassen.

Hier kommen die "H2-Ready"-Turbinen ins Spiel. Er werde immer gefragt, ab wann denn die Gasturbinen wie viel Wasserstoff verbrennen könnten, erzählte Amin. Inzwischen antworte er mit Gegenfragen: Wie viel Wasserstoff stünde denn für die Turbine bereit? Kann das H2 vom Erzeuger dorthin transportiert werden, wo die Turbine steht?

"Die Frage ist, wann die H₂-Infrastruktur steht"

"Die Frage ist nicht, wie viel Wasserstoff man in der Turbine verbrennen kann, sondern, wie schnell die Infrastruktur geschaffen werden kann, um Wasserstoff verfügbar zu machen", legte der Manager den Finger in die real existierende Wunde.

Ungeachtet der aktuellen Gaspreiskrise gehen Fachleute davon aus, dass bis 2030 in Deutschland neue Gaskraftwerke im Umfang von etwa 10.000 Megawatt zu bauen sind. Allein 3.000 Megawatt davon will der RWE-Konzern errichten, um bis 2030 seine Kohleblöcke abschalten zu können. Selbstverständlich sollen die neuen RWE-Anlagen "H2-ready" sein.

Derzeit wird in Deutschland Wasserstoff mit einem Energiegehalt von 60 Milliarden Kilowattstunden erzeugt, aber nur vier Milliarden davon sind grüner Wasserstoff. Und Importe beschränken sich hier auf wenige Pilotprojekte – in den Augen der Kraftwerksbranche kommt so höchstens ein Fingerhut grüner Wasserstoff für ihre "H2-Ready"-Anlagen zusammen.

Fertige Gasturbine im Siemens-Energy-Werk Finspang in Schweden.
Wie viel so eine Anlage kostet, da hält sich Siemens bedeckt – ein zweistelliger Millionenbetrag soll es sein.  (Foto: Jörg Staude)

Deswegen hat Siemens Energy am Ende auch keine allzu große Eile, Gasturbinen zu entwickeln, die 100 Prozent Wasserstoff als Brennstoff vertragen. Das soll für kleinere Turbinen ab 2025 möglich sein, für größere mit bis zu 600 Megawatt Leistung dann ab 2030.

Siemens Energy könnte auch schneller damit fertig sein, gibt Amin zu verstehen, im Moment aber spüre man die Notwendigkeit dafür nicht so stark – es fehlt einfach am grünen Brennstoff.

Auch die Bundesregierung verspürt keine große Eile beim Thema "H2-Ready". So sollen die Anforderungen, die Gaskraftwerke erfüllen müssen, um als "H2-ready" zu gelten, im Klimaschutzsofortprogramm festgelegt werden. Dessen Vorlage wird aber Monat für Monat verschoben.

Das Stichwort Wasserstoff findet sich übrigens auch in dem Kanzlerbrief, in dem Olaf Scholz am Montag den Streckbetrieb dreier alter AKW angewiesen hatte. Im Zuge der Einigung mit RWE auf den Kohleausstieg bis 2030 werde die Bundesregierung die Voraussetzung für den Bau neuer, "wasserstofffähiger" Gaskraftwerke schaffen, um die Versorgung zu sichern, schreibt der Kanzler. "H2-ready" soll also auch eine Art Atomersatz sein.

Klar ist aber auch: Dass eine Turbine oder ein Gaskraftwerk "H2-ready" sind, bedeutet nicht, dass sie im Betrieb dann auch weitgehend klimaneutral mit grünem Wasserstoff laufen. Denn laut der jüngst beschlossenen "Taxonomie" der EU gelten Gaskraftwerke auch dann noch als nachhaltig, wenn sie 2035 mit Energieträgern betrieben werden, die gegenüber fossilen Energien 70 Prozent der CO2-Emissionen einsparen.

Absehbar ist auch, dass neben "H2-ready" bald weitere Beiworte hinzukommen werden wie "Ammoniak-ready" oder "E-Fuels-ready".

2030 jedenfalls will Siemens Energy auch Turbinen anbieten, die beispielsweise aufgespaltenes Ammoniak als Brennstoff vertragen. Denn schon jetzt ist klar, dass grüne Energie per Schiff weniger in Form von Wasserstoff, sondern eher als Ammoniak nach Deutschland kommen wird.

Redaktioneller Hinweis: Der Autor wurde bei den Recherchen vor Ort von Siemens Energy unterstützt.

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