Messegelände
Das Messegelände "Tokyo Big Sight" soll bei den auf 2021 verschobenen Olympischen Spielen als Medienzentrum dienen. (Foto: Masato Ohta/​Wikimedia Commons)

Unter normalen Umständen wäre 2020 ein olympisches Jahr. Am 24. Juli würden die Sommerspiele beginnen, am 25. August die Paralympics. Die Welt wäre zu Gast in Japan – rund zwei Millionen Besucher live, viele weitere Millionen am Bildschirm.

Nach den Plänen der japanischen Regierung sollten sie dort nicht nur sportliche Höchstleistungen bewundern, sondern auch, wie das Land in der Post-Fukushima-Ära auf Wasserstoff (H2) setzt.

Das olympische Feuer im Stadion sollte mit Wasserstoff brennen, die Wohnungen im olympischen Dorf mit Brennstoffzellen beheizt werden, Athleten, Gäste und Funktionäre mit wasserstoffbetriebenen Toyota Mirai von A nach B fahren. Innerhalb Tokios war während der Spiele zudem der großflächige Einsatz von Toyotas Brennstoffzellenbus Sora geplant.

Doch 2020 ist kein normales Jahr. Die Corona-Pandemie hat Veranstaltungen olympischen Ausmaßes unmöglich gemacht. Im Fall der Sommerspiele gilt aber: aufgeschoben, nicht aufgehoben. Das Sportevent, und damit auch der große Wasserstoff-Showcase, soll nun im Juli 2021 starten.

Bis dahin wird Japan wohl niemand die Show stehlen – denn kein anderes Land ist bei der Einführung von H2-Technologien so weit fortgeschritten.

Technologien für den Weltmarkt

Japan hat Ende 2017 als erstes Land der Welt eine umfassende Wasserstoffstrategie veröffentlicht. Der Plan, der bis 2050 reicht und an dem auch die Privatwirtschaft in Form von Auto- und Technikkonzernen teilhat, ist ambitioniert: Die asiatische Industrienation hat sich die weltweite Technologie- und Marktführerschaft zum Ziel gesetzt und will als erste eine wasserstoffbasierte Gesellschaft erreichen.

H2 als das "neue Öl", als Hauptenergieträger der Zukunft – mit dieser Wende will Japan, das seinen Primärenergiebedarf zu mehr als 90 Prozent durch importierte fossile Energien deckt, den CO2-Ausstoß senken, Energiesicherheit und Selbstversorgungsrate erhöhen sowie der heimischen Industrie dienen.

Bis 2030 soll ein großer Markt in Japan selbst entstehen, außerdem internationale Lieferketten für Wasserstoff. Langfristig soll auf Basis japanischer Technologie eine weltweite Wachstumsindustrie geschaffen werden.

Die Ziele für 2030 lauten: 5,3 Millionen Brennstoffzellen in japanischen Eigenheimen, was einem Zehntel der Haushalte entspricht, und 800.000 Brennstoffzellen-Autos, für die 900 Tankstellen zur Verfügung stehen. 1.200 Busse fahren dem Plan zufolge in zehn Jahren mit Wasserstoff, außerdem 10.000 Gabelstapler und eine nicht definierte Anzahl von Lkw und kleineren Schiffen.

Doch Heizungen und Fahrzeuge sind bei Weitem nicht die einzigen Einsatzgebiete, die die Regierung in Tokio anvisiert. Wasserstoffkraftwerke sollen als Reserve und zur Netzstabilisierung dienen, wenn der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung steigt.

Bis 2030 soll rund 1.000 Megawatt Stromerzeugungskapazität aus H2 aufgebaut werden. In der weiteren Zukunft will Japan Wasserstoff außerdem nutzen, um die Treibhausgasemissionen in der Industrie zu verringern.

Drastischer Preisverfall erwartet

Den wichtigsten Faktor, um Wasserstoff zur Erfolgsgeschichte zu machen, sieht die Regierung im Preis. Denn der Energieträger ist – noch – sehr teuer: Derzeit kostet das Kilogramm an japanischen Tankstellen umgerechnet rund neun Euro, ganz ähnlich wie hierzulande.

Für 2030 strebt Japan einen Preis von höchstens drei Euro an, danach soll er weiter sinken auf 1,80 Euro. Wasserstoff soll preislich mit fossilen Brennstoffen konkurrieren können – wobei davon ausgegangen wird, dass deren Preis durch die Einberechnung von Umweltkosten steigt.

Die Kosten für die Wasserstoff-Herstellung sind in den vergangenen Jahren bereits deutlich gesunken, und es wird allgemein erwartet, dass der Preis durch eine Hochskalierung der Technologien weiter drastisch fallen wird. Laut einer Analyse des Londoner Marktforschungsunternehmens Bloomberg New Energy Finance (BNEF) sind dafür unterstützende Politik, Investitionen im großen Stil, etwa für den Aufbau der nötigen Infrastruktur, und Milliardensubventionen nötig.

Doch selbst diese Voraussetzungen, die Japan allesamt schaffen will, seien noch keine Garantie dafür, dass Wasserstoff sich durchsetzt: "CO2-Preise und Emissionspolitik werden nach wie vor unerlässlich sein, vor allem dort, wo Kohle und Gas sehr billig sind", heißt es im Ende März veröffentlichten Hydrogen Economy Outlook von BNEF.

Die Autoren trauen Wasserstoff zu, der Treibstoff der sauberen Wirtschaft der Zukunft zu werden. Dafür muss er allerdings "grün" sein, also hergestellt mit erneuerbaren Energien.

H2 aus Kohle mit CCS

Doch das ist der größte Pferdefuß an Japans Wasserstoffstrategie: Das weitaus meiste H2, das im Land der aufgehenden Sonne verwendet wird, ist "grau", also mithilfe fossiler Energien wie Kohle und Erdgas gewonnen. Und das wird wohl auch noch lange so bleiben.

Zwar sieht der Plan vor, den Einsatz von Power-to-X-Technologien voranzutreiben, um überschüssigen Grünstrom zu nutzen. Zu diesem Zweck hat beispielsweise in Namie in der Provinz Fukushima im März der größte Wasserelektrolyseur der Welt seinen Betrieb aufgenommen. Nach Angaben des Betreibers Asahi Kasei kann die Zehn-Megawatt-Anlage pro Stunde 1.200 Normkubikmeter grünen Wasserstoff aus Sonnen- oder Windstrom produzieren.

Dass dieser allerdings wettbewerbsfähig ist mit importiertem grauem Wasserstoff – der zum Beispiel im großen Stil aus dem Kohleland Australien kommen soll –, erwartet die Strategie erst für die "fernere Zukunft". Zumal die Erneuerbaren-Kapazitäten in Japan viel zu klein sind, um die wasserstoffbasierte Gesellschaft zu versorgen.

Um trotzdem CO2-neutral werden zu können, soll statt grünem H2 vor allem die CO2-Abscheidung und -Speicherung, kurz CCS, zum Einsatz kommen. Dazu betreibt Japan beispielsweise auf der Insel Hokkaido eine große Versuchsanlage, die das CO2 aus den Abgasen einer Ölraffinerie mehrere tausend Meter unter dem Meeresboden speichert.

Zwischen 2016 und 2019 wurden dort nach Angaben des Wirtschaftsministeriums 300.000 Tonnen CO2 verpresst. Die Lagerkapazitäten werden an diesem und anderen Standorten als sehr hoch eingeschätzt. Obwohl Seismologen warnen, sollen Forschung und Entwicklung vorangetrieben werden.

Grüner Wasserstoff mit Kostennachteil

Kombiniert man das aus ökologischen Gründen umstrittene CCS-Verfahren mit fossilen Energiequellen zur H2-Herstellung, wird der Wasserstoff "blau" – ein Verfahren, das allerdings noch mehr kostet als die Elektrolyse, die Wasser mithilfe von Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt.

Bei uns gilt blauer Wasserstoff allenfalls als Übergangstechnologie. Die Bundesregierung strebt mittel- bis langfristig eine Versorgung mit grünem H2 an.

Allerdings hat Deutschland dafür auch deutlich bessere Voraussetzungen als Japan, zum einen wegen des größeren Potenzials erneuerbarer Energien, zum anderen wegen besserer geologischer Bedingungen für die Wasserstoff-Speicherung. Die BNEF-Studie schätzt, dass die Kosten für grünen Wasserstoff in Japan um 50 bis 70 Prozent höher sein werden.

Andererseits hat Japan mit seiner Wasserstoffstrategie schon mal drei Jahre Vorsprung vor Deutschland – und auch in manchen Anwendungsbereichen die Nase weit vorn: Der Toyota Mirai, seit 2014 auf dem Markt, war das erste Wasserstoffauto, das in Serie produziert wurde, und ist bis heute das meistverkaufte.

Der japanische Autobauer hat zwar 2019 erst den zehntausendsten Mirai gebaut, will die Produktionskapazitäten für die zweite Generation, die im Herbst auf den Markt kommt, aber auf 30.000 pro Jahr hochschrauben. Der einzige ernstzunehmende Konkurrent ist der Hyundai Nexo aus Südkorea.

Deutsche Hersteller haben bisher hingegen noch kein einziges H2-Auto in großen Mengen produziert. Lediglich Mercedes-Benz war mit dem SUV-Modell GLC F-Cell auf dem Markt, aber nur zum Leasen. Im April wurde bekannt, dass der Autobauer die Produktion einstellen und auch kein Nachfolgemodell entwickeln will.

Nicht überall vorn

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Wasserstoffheizungen für Eigenheime. In Japan sind sie seit 2009 auf dem Markt, zehn Jahre später waren 300.000 Anlagen installiert. Eine satte staatliche Förderung von fast der Hälfte des Preises half beim Markthochlauf. Mit den sinkenden Produktpreisen wurde die Subvention nach und nach abgebaut und ist heute gar nicht mehr nötig.

In Deutschland ist die Brennstoffzelle zum Heizen hingegen noch ein Nischenprodukt. Es gibt zwar inzwischen mehrere deutsche Hersteller, sie verlassen sich aber häufig auf japanische Technik. Beim Marktführer Viessmann gilt zum Beispiel "außen Viessmann, innen Panasonic": Die Brennstoffzelle im "Vitovalor" stammt vom japanischen Marktführer.

Dafür ist Deutschland laut einer Vergleichsstudie des Berliner Thinktanks Adelphi bei Power-to-X und dem Einsatz von Brennstoffzellen für die unterbrechungsfreie Stromversorgung weiter. Das Rennen um die weltweite Wasserstoff-Marktführerschaft ist damit offen.

Was durchaus positiv sein kann: Erst die Konkurrenz stachelt zu Höchstleistungen an. Das gilt für technologische Entwicklungen genauso wie bei den Olympischen Spielen.

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