Dächer sollen nicht nur in möglichst großer Zahl für die Solarstrom-Gewinnung genutzt werden, sondern auch möglichst vollständig. (Bild: Mainova/​BSW Solar)

"Macht die Dächer voll!" So lautet einer der beliebtesten Slogans der Energiewende. Gemeint ist: Die Dächer in Deutschland bieten viel Platz, um Solarmodule draufzusetzen. Den gilt es zu nutzen.

Der Slogan meint aber noch mehr: Soll der begrenzte Platz wirklich effektiv für die Energiewende eingesetzt werden, muss auch jeder geeignete Quadratmeter eines Dachs belegt sein.

Wie viel Dachfläche genutzt wird, entscheidet sich derzeit vor allem daran, in welchem Umfang sich die Hauseigentümer selbst mit Strom versorgen wollen. Und da gilt: Wer keinen großen Verbraucher wie ein Elektroauto oder einen teuren Stromspeicher sein Eigen nennen kann, der beschränkt sich eher auf eine kleine Dachanlage.

Für ein klimaneutrales Deutschland sollen 2040 landauf, landab rund 400.000 Megawatt Photovoltaik installiert sein und grünen Strom liefern. Die Menge soll sich dabei, so der Regierungswille, je zur Hälfte auf Dächer und Freiflächen verteilen, jeweils also etwa 200.000 Megawatt erreichen.

Derzeit bewegt sich die Photovoltaik-Kapazität in Deutschland auf 80.000 Megawatt zu. Zwei Drittel davon sind auf Dächern zu finden und ein Drittel auf Freiflächen, die vorher Äcker, Grün- oder Ödland waren.

Begrenzte Flächen sinnvoll nutzen

Eine Solarstrategie, die allein auf die Kosten schaue, würde vor allem auf die Freiflächen am Boden setzen, sagt Philipp Godron, Programmleiter Strom beim Thinktank Agora Energiewende. Den solaren "Rollout" vorrangig auf unversiegelten Freiflächen stattfinden zu lassen, kann allerdings nicht Ziel einer ökologischen Energiewende sein. Die Dächer vollzumachen, ist dagegen ein effizienter Weg, das begrenzte Flächenpotenzial zu nutzen.

Daraus folgt die Frage, wie viel Strom überhaupt von Dächern kommen kann und wie sich dies regional aufteilt. So genau sei das auch Agora Energiewende bisher nicht klar gewesen, räumte Philipp Godron kürzlich ein, als der Berliner Thinktank und das Freiburger Beratungsunternehmen Greenventory eine detaillierte Analyse des deutschen Dachstrom-Potenzials vorstellten.

 

Für die Berechnung wurden jede Menge Daten gesammelt, auch per Satellit aus dem All: Wie viele Dächer gibt es, wie groß ist jedes, ist es eben, ist es schräg, in welche Himmelsrichtung geht es, wie tragfähig ist es, gibt es Aufbauten wie Schornsteine und so weiter.

Als größter Unsicherheitsfaktor bei der Potenzialabschätzung stellte sich dabei die Statik heraus, also die Frage, ob das Dach die ganze Modulkonstruktion tragen kann.

Ergebnis der monatelangen Arbeit: Die Dachflächen in Deutschland sind zusammen rund 6.770 Quadratkilometer groß, also vergleichsweise halb so groß wie Schleswig-Holstein. Davon sind etwa zwei Drittel prinzipiell geeignet, Solarmodule zu tragen. Würden diese Dächer "vollgemacht", kämen etwa 409.000 Megawatt Photovoltaik-Kapazität zusammen, ergab die Analyse schließlich.

Eigenverbrauch kann nicht der Maßstab sein

Das ist eine gute Nachricht, findet Studienautorin Katharina Hartz von Agora Energiewende. Denn es sei genügend Potenzial vorhanden, um den für 2040 geplanten Anteil der Dach-Photovoltaik von 200.000 Megawatt zu erreichen. Allerdings bedeute das auch, schlussfolgert Hartz, dass jedes zweite geeignete Haus voll belegt werden muss und nicht wie in der Vergangenheit vor allem auf den Eigenverbrauch optimiert werden darf.

Solarstrom rechnet sich bekanntlich besonders gut im sonnigen Süden Deutschlands. Hilfreich ist auch, ergab die Studie weiter, wenn die Region bevölkerungsreich ist und zugleich viele im eigenen Heim leben.

Wird die installierte Photovoltaik-Kapazität ins Verhältnis zur verfügbaren Dachfläche gesetzt, liegen laut der Agora-Analyse Baden-Württemberg und Bayern an der Spitze der Bundesländer, es folgen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.

Schlusslichter sind die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen. Das liege vor allem an der Eigentümerstruktur, erläutert Katharina Hartz. In Großstädten sei der Anteil der Mehrfamilienhäuser größer. Hier müsse das Solarpaket der Bundesregierung Abhilfe schaffen, das derzeit im Bundestag beraten wird.

Der für Mehrparteienhäuser geeignete Mieterstrom sei keineswegs eine Randgröße, betont die Agora-Expertin. Nach ihren Worten entfallen von den erreichbaren 409.000 Megawatt auf Dächern rund 100.000 Megawatt auf vermietete Gebäude.

Die Länder schöpfen derzeit ihre Möglichkeiten für Strom vom Dach nur zu einem Bruchteil aus – die Analyse ergab Anteile von zwei bis 16 Prozent des jeweiligen Potenzials. "Da ist noch einige Luft nach oben", resümiert Hartz.

Solarpflichten bleiben lückenhaft

Dabei hatte sich die Ampel zu ihrem Start ziemlich konkret vorgenommen: Alle geeigneten Dachflächen sollen künftig für Solarenergie genutzt werden, bei gewerblichen Neubauten soll dies verpflichtend sein, bei privaten Neubauten die Regel werden.

So steht es im Koalitionsvertrag. Die dort skizzierten Solarpflichten wird es aber auch mit dem jetzigen Solarpaket nicht geben.

Zwar haben zehn der 16 Bundesländer schon eine Solarpflicht eingeführt oder setzen diese spätestens 2024 in Kraft. Allerdings gilt die Pflicht in der Regel nur für Nichtwohngebäude, die neu errichtet werden. Auch verlangen die Länder nicht, dass die Dächer wirklich voll werden. Je nach Bundesland reicht es, zwischen zehn und 60 Prozent der Dachfläche solar auszulasten.

Bleibt es beim heutigen Förderregime, werde auch künftig nicht das ganze Potenzial jedes Daches erschlossen werden, bestätigt Kai Mainzer von Greenventory. Aus seiner Sicht müssen deswegen Anreize zu einer Vollbelegung gesetzt werden.

Wer Flächeneffizienz ernst nimmt, muss offenbar den Slogan von den vollen Dächern wörtlich nehmen.