Der Strom, der aus der Steckdose kommt, wird teurer? Meistens verschicken Anbieter da ein paar dürre Zeilen. Nicht so Unternehmen, die ihren Haushaltskunden grünen Strom liefern.
Auf anderthalb bis zwei Seiten breiten da Ökostromer ihre Gründe aus, warum sie den Strompreis erhöhen müssen. Als eine wesentliche Ursache wird die globale Brennstoffkrise ausgemacht. Hoher Gasbedarf in Asien und anderswo in der Welt haben den Preis für Gas und auch für Kohle in die Höhe schnellen lassen.
Preistreibend wirke sich zudem aus: Mit dem steigenden Einsatz fossiler Brennstoffe verteuerten sich in Europa die CO2-Emissionsrechte. Auch die Netzbetreiber langten wie eh und je bei den Netzentgelten zu – und all das habe die mit Staatsgeld gesenkte EEG-Umlage nicht ausgleichen können, heißt es bedauernd.
Dass der steigende Preis fossiler Brennstoffe auch Ökostromer trifft, hat zum einen die Ursache, dass in Deutschland die meisten dieser Anbieter ihren Strom an der Börse einkaufen. Am Großhandelspreis kommen sie nicht vorbei.
Zum anderen wird der Strompreis im Großhandel eben nicht vom Durchschnitt preiswerter erneuerbarer und teurer fossiler Erzeugung gebildet, sondern das letzte Kraftwerk, das entsprechend der sogenannten Merit Order noch gebraucht wird, um den Strombedarf in einem bestimmten Zeitraum zu decken, bestimmt den Preis. Zu diesem Preis können dann, vereinfacht gesagt, auch alle anderen Erzeuger ihren Strom verkaufen.
Und wenn das letzte Kraftwerk eben eins ist, das mit Gas oder Kohle betrieben wird – dann sorgt die Brennstoffkrise dafür, dass der Großhandelsstrom teurer wird.
Ökostromanlagen verbessern Erlöse stark
So weit, so klar. Wenn Strom aus Gas oder Kohle – je nach Marktlage – der teuerste ist, der den Preis setzt, bedeutet das aber auch, dass Strom aus Wind und Sonne in der Erzeugung weniger kostet. Und wer etwas preiswerter herstellen, aber teurer verkaufen kann, müsste Zusatzgewinne haben, sagt die Theorie.
Beispiel Windstrom: Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) beziffert für 2020 die Gestehungskosten für Windenergie an Land auf 3,94 bis 8,29 Cent je Kilowattstunde. Das mache die Onshore-Windkraft zur "zweitgünstigsten Erzeugungstechnologie".
Seit 2020 hat sich parallel der Marktwert, mit dem Strom aus Sonne sowie Wind an Land und auf See an der Strombörse verkauft werden kann, fast verdreifacht. Von Juli bis August dieses Jahres lag der Marktwert laut dem jüngsten "Monitoringbericht der Direktvermarktung" bei 8,4 bis 8,9 Cent je Kilowattstunde.
Anders gesagt: In den drei Monaten konnte auch das teuerste Windkraftwerk an Land seine Kosten, zu denen es Strom erzeugt, am Strommarkt erlösen – und die meisten Anlagen kamen auf deutlich mehr. "Während hohe Strompreise Verbraucher belasten, hat sich die Erlössituation für erneuerbare Energien kurzfristig stark verbessert", bilanziert denn auch der Monitoringbericht wörtlich.
Spätestens seit vergangenem Juli, schreibt beispielsweise Fabian Huneke vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool in einem Blogbeitrag, würden die Marktwerte der erneuerbaren Energien die EEG-Förderung derjenigen Anlagen übersteigen, die seit 2018 einen Zuschlag in den Ausschreibungen erhielten.
Übersetzt heißt das etwa: Der Strom aus diesen EEG-geförderten Anlagen bringt derzeit an der Börse so viel ein, dass der EEG-Zuschuss, der hier Marktprämie heißt, auf null gesetzt wird. Das stört aber gar nicht – im Gegenteil. Denn der Strom bringt ja deutlich mehr Einnahmen als die in der Ausschreibung errungene karge EEG-Förderung.
Zwischenfazit: Die Erlöse erneuerbarer Stromanlagen verbesserten sich stark – wegen höherer Preise an der Strombörse. Aus demselben Grund aber erhöhen auch die Anbieter von Ökostrom ihre Stromtarife. Das wiederum vor allem der Brennstoffkrise anzulasten, erscheint doch ein wenig einseitig.
Wer profitiert, hängt von der Vertragsgestaltung ab
Das Knäuel an Widersprüchen aufzulösen ist ziemlich schwierig, nicht nur deswegen, weil zu Preisen und Erlösen niemand, der wirtschaftlich tätig ist, gern die Karten auf den Tisch legt.
Beim Ökostrom kommt hinzu, dass der Markt unter einer Vielzahl von Akteuren – Erzeugern, Händlern, Vermarktern, Stromanbietern – geradezu atomisiert ist. Den klassischen Versorger, der vor allem Strom aus eigenen Kraftwerken handelt, vertreibt und verkauft, gibt es in dem Sinne in der Ökobranche gar nicht.
So "leben" derzeit nur noch knapp 30 Prozent der rund 125.000 Megawatt hierzulande installierter erneuerbarer Stromerzeugung von der sogenannten Festvergütung, erhalten also nur die gesetzliche Einspeisevergütung.
Weitaus mehr erneuerbare Stromerzeuger – derzeit sind es zwei Drittel der Gesamtkapazität – geben ihr Produkt an einen Direktvermarkter ab, der dann oft mehrere Anlagen zu einem "virtuellen Kraftwerk" zusammenschaltet.
Wem am Ende der Zusatzgewinn in den Schoss fällt, hängt davon ab, wie die Verträge zwischen Erzeuger und Vermarkter gestaltet sind. Das sind gut gehütete Geheimnisse.
"Um zusätzliche Einnahmen berechnen oder schätzen zu können, müsste das aufgrund der unterschiedlichen Rahmenbedingungen der Anlagen – Alt- oder Neuanlage, niedrige oder hohe Pacht, Vertragsdetails mit dem Vermarkter – für jede Anlage einzeln geschätzt werden", erklärt denn auch Matthias Stark, zuständig für erneuerbare Energiesysteme im Branchenverband BEE, gegenüber Klimareporter°.
Stark warnt davor, die Zusatzeinnahmen zu überschätzen. Der hohe Börsenstrompreis in diesem Jahr liege auch an der sehr geringen Stromeinspeisung aus Photovoltaik und Wind, argumentiert er. Die potenziellen Mehrerlöse würden dann sinkende Erträge infolge der geringeren Stromproduktion teilweise nur ausgleichen.
Tatsächlich ist die Windstromerzeugung in diesem Jahr bisher um rund ein Fünftel geringer als im Vorjahr.
Erneuerbaren-Verband fordert neues Marktdesign
Auch der BEE-Experte weist darauf hin, dass der Markt inzwischen stark segmentiert ist. Die weit überwiegende Zahl der Betreiber erneuerbarer Anlagen vermarkte ihren Strom "über Dritte" und liefere ihn nicht direkt an die Endkunden. "Somit sind Preisreduktionen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht durch die Anlagenbetreiber selbst, sondern nur über die Stromversorger umzusetzen", betont Stark.
Über eine nennenswerte eigene Erzeugung verfügen aber eben nur wenige der Ökostromanbieter. Was diese mit den dann möglichen Zusatzgewinnen anfangen, ist ebenso Geschäftsgeheimnis. Aus der Branche ist aber zu hören, dass aktuelle Mehrerlöse auch dazu verwendet würden, um die Tarifsteigerung in Grenzen halten.
Nach Ansicht von Matthias Stark macht die aktuelle Situation am Strommarkt deutlich, dass es eine Gesamtreform von Marktdesign und Steuern, Abgaben und Umlagen geben muss. "Nur dann lassen sich die niedrigen Stromgestehungskosten an die Verbraucher weitergeben", betont er.
Der BEE begrüße es deshalb, so Stark weiter, dass die neue Bundesregierung im Rahmen einer Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" mit den Akteuren und der Wissenschaft die Herausforderungen diskutieren und im nächsten Jahr Vorschläge erarbeiten wolle.
Daran will sich der BEE mit konkreten Vorschlägen beteiligen – deren Präsentation hat der Erneuerbaren-Branchenverband bereits für heute Nachmittag angekündigt.
Es wäre doch schön, wenn künftig die Millionen normaler Tarifkunden, die Ökostrom beziehen, nicht nur ein gutes Gefühl haben, etwas für Umwelt und Energiewende zu tun, sondern das auch an ihrer Stromrechnung spüren würden.