Symbolbild: Handschlag vor brennendem Planeten
Nach wie vor hat die fossile Lobby großen Einfluss auf politische Entscheidungen. (Foto: Darwin Laganzon/​Karen Arnold/​Pixabay, Montage: Susanne Schwarz)

"Der Einfluss der Gas-Lobby auf politische Entscheidungen muss offengelegt werden", eröffnet Johann Praktisch, Aktivist des "Weiter so!"-Kollektivs, sein Pressestatement. Es ist die Ankündigung einer neuen Kampagne.

Das Kollektiv ruft Mitarbeitende in Bundesministerien, Behörden und Energieunternehmen dazu auf, Informationen über den Einfluss von Erdgas-Lobbyist:innen durchsickern zu lassen.

Am Donnerstag stellte das Kollektiv seinen Whistleblowing-Aufruf vor. Zeitgleich startete die dafür ins Leben gerufene Website gas.lobby‑melden.de.

Die Aktivist:innen schickten nach eigenen Angaben über 4.000 E-Mails an Lobbyist:innen, Abgeordnete und Mitarbeiter:innen von Behörden, Ministerien und der Energiewirtschaft. Die Mail, die Klimareporter° vorliegt, beginnt mit dem Satz: "Wir wenden uns mit einem Anliegen an Sie, das dringlicher nicht sein könnte."

Der Einfluss von Energiekonzernen und Lobbyverbänden sei zu groß, heißt es in der Mail weiter. Zusammen mit intransparenten politischen Entscheidungsprozessen werde eine demokratische Debatte über die Ausgestaltung der gegenwärtigen energiepolitischen Umbruchphase sabotiert.

Das Kollektiv fordert deshalb alle Adressat:innen auf, diese Transparenz herzustellen und Informationen über eine Einflussnahme von Gaskonzernen zu leaken.

Das "Weiter so!"-Kollektiv trat das erste Mal mit einer Kampagne gegen den Wirtschaftsrat der CDU in Erscheinung. Im vergangenen Jahr hielten die Aktivist:innen als fingierter "Zukunftsrat der CDU" eine Gründungskonferenz vor dem Konrad-Adenauer-Haus, der CDU-Parteizentrale in Berlin, ab.

Dort kritisierten sie die Einflussnahme des Wirtschaftsrates und stellten sich als Gegenpol dar. "Mit subversiven Kampagnen und Aktionen des zivilen Ungehorsams setzen wir dem Diskurs des Weiter-so etwas entgegen", beschreibt das Aktionskollektiv das eigene Wirken.

Die Website zur Whistleblower-Kampagne bietet verschiedene Informationen und Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. Hinweisgeber:innen können den Ende-zu-Ende-verschlüsselten Messenger-Dienst Signal benutzen. Oder sie suchen den Kontakt über einen sicheren Online-Postkasten via Globaleaks.

Globaleaks ist eine Software, die anonymes Whistleblowing ermöglicht, indem sie verschiedene Anonymisierungssoftware benutzt, wie zum Beispiel Tor.

Zivilgesellschaftliche Mitbestimmung eingeschränkt

"Transparenz darf inmitten der Energie- und Klimakrise kein leeres Versprechen sein", sagt Aktivist Johann Praktisch. Ohne Teilhabe der Zivilgesellschaft passiere eben das, was man gerade beobachten müsse. "Fossile Konzerne nutzen die unübersichtliche Situation seit Beginn des Ukrainekriegs aus und versuchen Profite herauszuschlagen."

Unterstützung bekommt das Kollektiv auf der Pressekonferenz von Nichtregierungsorganisationen. Sascha Boden von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) kritisiert, dass seit Beginn der Energiekrise der Zugang zu vielen Informationen immer weiter eingeschränkt wurde.

Bei den beschleunigten Zulassungsverfahren für die LNG-Terminals entfallen etwa die Umweltverträglichkeitsprüfungen. Auch ist die Mitbestimmung der Zivilgesellschaft durch stark verkürzte Fristen für Einwendungen und Stellungnahmen erschwert.

Die Antragsunterlagen für die im Bau befindlichen Flüssigerdgas-Terminals sind nur unter Einschränkungen einsehbar. Häufig muss man dafür vor Ort sein und sich dann in wenigen Stunden durch die Tausende Seiten umfassenden Unterlagen wühlen.

Die für das Terminal in Brunsbüttel zuständige Behörde erlaubt schlicht gar keinen Privatpersonen, die Unterlagen zu sichten. "Damit wurde den Bürger:innen die Möglichkeit zu intervenieren im Grunde entzogen", sagt DUH-Klimaschutzexperte Boden.

Auch Christina Deckwirth von der Organisation Lobbycontrol begrüßt den Whistleblowing-Aufruf. Der Einfluss von Gaskonzernen auf politische Entscheidungen sei unübersehbar, so die Politikwissenschaftlerin.

Ein prominentes Beispiel ist die Einflussnahme des russischen Konzerns Gazprom auf den Bau der Pipeline Nord Stream 2 über eine dubiose Klimastiftung in Mecklenburg-Vorpommern. Auffällig ist laut Lobbycontrol auch die enge Verflechtung der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) mit Gaskonzernen. So ließ die Dena ihren jüngsten Energiewendekongress von dem Lobbyverein Zukunft Gas mitsponsern.

Nach wie vor sind viele Fragen offen. Auf welchen Daten bezüglich der Notwendigkeit von LNG-Terminals basiert der Bau der Terminals? Wie geht die Politik mit der Unsicherheit um, dass Gasinfrastruktur möglicherweise nicht in wenigen Jahren auf Wasserstoff umgerüstet werden kann?

Kein politisches Interesse an Transparenz

"Wir sind bei unseren Recherchen zu diesen Fragen immer wieder an Grenzen gestoßen. Das liegt an fehlenden Transparenzregeln", sagt Deckwirth. Zwar gibt es mittlerweile in Deutschland ein Lobbyregister. Dort ist unter anderem aufgerührt, wie viel Geld Unternehmen für Lobbyismus ausgeben. Das Register hat allerdings noch viele Lücken.

Welche Politiker:innen sich mit welchen Lobbyist:innen treffen und welche Themen besprochen werden, wird der Öffentlichkeit weiterhin vorenthalten. Scheinbar gibt es auch keinen Willen, das zu verändern.

Eine Anfrage von Lobbycontrol liegt seit Februar im Bundeswirtschaftsministerium und wird nicht beantwortet. Darin werden genau diese Fragen gestellt: Wer spricht mit wem über was?

Licht ins Dunkel sollen nun Whistleblower bringen. Um unentschlossenen Behördenangestellten und Abgeordneten die Angst zu nehmen, sind auf der Website Angebote zur rechtlichen Beratung und Tipps zur verschlüsselten Kommunikation verlinkt.

Tatsächlich ist die Rechtslage aber gar nicht so ermutigend. In Deutschland ist Whistleblowing nicht eindeutig geregelt. Die möglichen Folgen hängen stark von den Umständen des Einzelfalls ab. Es können durchaus schwerwiegende arbeitsrechtliche und strafrechtliche Konsequenzen drohen.

Deshalb bietet das "Weiter so!"-Kollektiv Hinweisgeber:innen neben den Informationen auch eine persönliche Beratung durch Anwält:innen oder eine direkte Weitervermittlung an Journalist:innen an.

Im Gespräch mit Klimareporter° erklärte eine Sprecher:in, dass das Kollektiv selbst nicht davon ausgehe, rechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Dennoch befänden sich die Aktivist:innen in ständiger juristischer Beratung.

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