"Unser Anspruch war immer: Wenn sich die Situation verändert, verändern wir uns." Von diesem Anspruch, den Carla Hinrichs, Sprecherin der Klimagerechtigkeitsgruppe "Letzte Generation", kürzlich in einem Spiegel-Interview betonte, war lange wenig zu merken.
Scheinbar unbeeindruckt von der immer lauter werdenden Kritik – auch aus der Klimagerechtigkeitsbewegung selbst – hielt die Letzte Generation an ihrer Strategie fest. Mit Störaktionen und hoher persönlicher Opferbereitschaft sollte ein möglichst großes Medienecho erzeugt werden. Der Druck der Öffentlichkeit sollte schließlich die Politik dazu bewegen, die erstaunlich biederen Forderungen der Gruppe zu erfüllen.
Während sich die Aktivist:innen auf die Straße klebten und massive staatliche Repression erfuhren, forderten sie ein Tempolimit und waren damit in etwa so radikal wie das Wahlprogramm der SPD.
Ist die Politik trotz Klimakrise und Störaktionen nicht einmal bereit, diese Minimalschritte zu gehen? So lautete die unausgesprochene Suggestivfrage.
Diese Strategie ist gescheitert. Weder wurden die erhofften Massen mobilisiert noch verschob sich der öffentliche Diskurs zugunsten des Klimas. Ganz im Gegenteil: Die Beliebtheitswerte der Klimagerechtigkeitsbewegung sind im Keller und die Klimapolitik steht national wie international auf wackeligen Füßen.
Grundsätzlich spricht sicher nichts gegen disruptive Aktionsformen. Doch eine Aktionsform ist eben kein Selbstzweck, sondern nur so gut, wie sie zweckdienlich ist.
Der Humangeograf Andreas Malm warnte mit Blick auf die Gruppe deshalb, dass Straßenblockaden nicht zu einer Art Fetisch werden sollten.
Vergebliche Suche nach Gesellschaftskritik
Doch die Kritik geht weit über die Aktionsformen hinaus. Bisher fehlte es der Letzten Generation an jeder wirklichen Gesellschaftsanalyse und -kritik. Als die Gruppe Anfang letzten Jahres einen Strategiewechsel ankündigte, kam Hoffnung auf, aber zu Unrecht.
Ansätze, die Funktionsweise des fossilen Kapitalismus und seine Verflechtungen mit politischen Machtinteressen zu thematisieren und Aktionen entsprechend auszurichten, fehlten weiterhin. Stattdessen forderten die Aktivist:innen einen "Appell der Ehrlichkeit" von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und offenbarten damit einmal mehr ein naives Vertrauen in die politische Obrigkeit und die Macht der "Wahrheit".
Nun scheint die späte Einsicht gekommen, dass sich allein über Appelle und öffentlichkeitswirksame Störaktionen wenig erreichen lässt. In gewohnt emotionalisierter Sprache sagte Hinrichs in dem Interview: "Aus den Strukturen der Letzten Generation wird etwas Neues entstehen, etwas Großes. Ich bekomme ein bisschen Gänsehaut, wenn ich es ausspreche."
Was das konkret bedeutet, wollte sie nicht verraten. Immerhin so viel war sie bereit zu offenbaren: Es solle eine neue Art von "Gemeinschaft und Resilienz" und "echte Mitbestimmung" geschaffen werden. Das ist zwar alles noch vage, aber dennoch vielversprechend.
Das Ziel der Klimagerechtigkeitsbewegung muss heute mehr denn je sein, gesellschaftliche Macht zu erkämpfen. Allein durch Öffentlichkeit wird das nicht gelingen.
Wie die letzten Jahre gezeigt haben, greifen Medien in ihrer Berichterstattung über die Aktionen selten die Dringlichkeit der Klimakrise auf, sondern diskutieren viel lieber über die Legitimation der Aktion an sich. Es braucht also andere Strategien, im besten Fall bewegungsübergreifende Strategien.
Sich zu organisieren, neue Netzwerke und Gemeinschaften aufzubauen, Anknüpfungspunkte zu schaffen und den Klimaschutz konkret und selbstbestimmt auf lokaler Ebene voranzutreiben, das scheinen vielversprechende Wege zu sein.
Auch wenn die jüngste Ankündigung der Letzten Generation noch viele Fragezeichen übriglässt, scheint es in diese Richtung zu gehen. Die Gruppe wolle sich auf die erwartbaren "Risse im Wirtschafts- und Sozialsystem" vorbereiten und sich für ein neues System einsetzen, das besser auf Krisen reagieren kann, sagte Hinrichs.
Es gibt alles zu verlieren, aber auch so viel zu gewinnen
Die Klimabewegung hat in den letzten Jahren viel an ihrer gesellschaftlichen Bedeutung eingebüßt. Dafür sind nicht hauptsächlich die Aktionen der Letzten Generation verantwortlich. Aber es muss dennoch zur Kenntnis genommen werden.
Sich auf ein neues Trigger-Ereignis – ob Extremwetter oder welcher Gestalt auch immer – vorzubereiten, ist das Beste, was die Bewegung nun tun kann. Isoliert durchgeführte Störaktionen nähren nur die zündelnden rechtspopulistischen Narrative.
Es braucht starke, zugängliche und resiliente Strukturen, lokale Initiativen, die verschiedene Kämpfe verknüpfen und solidarische Alternativen aufbauen. Die verschiedenen Gruppen und Bewegungen müssen sich besser koordinieren und gemeinsame Narrative entwickeln.
All das ist ungleich aufwendiger als ein paar Störaktionen und wird gleichzeitig medial kaum wahrgenommen werden. Aber eine starke, vernetzte Struktur und eine gut vorbereitete Kampagne zur richtigen Zeit sind tausendmal mehr wert als Einzelaktionen, die in großen Teilen der Gesellschaft zu Abwehrreflexen führen.
In der öffentlichen Wahrnehmung war die Letzte Generation in den letzten Jahren die mit Abstand aktivste Gruppe in Deutschland. Viele der Aktionen waren sinnlos und die Forderungen schlecht gewählt. Aber eine Bewegung kann nicht nur an ihrer Wirkung nach außen bewertet werden.
Die Gruppe war ein wichtiger Anlaufpunkt für viele, die der Eskalation der Krisen nicht einfach rührselig zusehen wollten. Wenn sich diese gut organisierten und in jedem Fall engagierten Menschen nun für einen inhaltlich radikaleren und strategisch überlegteren Zweck einsetzen, ist das von unschätzbarem Wert.
In ihrer Kommunikation konzentrierte sich die Letzte Generation lange auf Schreckensbilder. Mal Millionen, mal Milliarden Menschen seien durch den Klimawandel bedroht. Das ist langfristig natürlich alles richtig, aber hat eben nur eine begrenzte Überzeugungskraft.
Es darf nicht darum gehen, einen unmöglichen Status quo vor der Klimakrise zu retten. Es geht um das gute Leben für alle. Oder anders: Es gibt alles zu verlieren, aber auch so viel zu gewinnen.