Es war ein Jubiläum in mehrfacher Hinsicht, nur eher kämpferisch begangen als feierlich: Vor einer Woche konnte das Protestcamp gegen die Wiener Stadtstraße als Teil der Kampagne "Lobau bleibt" sein einjähriges Jubiläum verzeichnen. Auch wurde die Bürgerinitiative "Hirschstetten retten" vor ziemlich genau zehn Jahren am selben Ort gegründet.
Seitdem gibt es vielfältigen Widerstand gegen die geplante Untertunnelung des Nationalparks Donau-Auen am Rande Wiens für einen Autobahntunnel.
Nachdem das Projekt im Winter von Infrastrukturministerin Leonore Gewessler (Grüne) abgesagt wurde, richtete sich der Protest gegen den Bau eines drei Kilometer langen Zubringers, der Stadtstraße Hirschstetten. Vor einem Jahr errichteten Aktivist:innen ein legales Protestcamp und weitere Besetzungen direkt im Baustellenbereich und blockierten damit die Bauarbeiten langfristig. In mehreren großen Polizeiaktionen wurden die Besetzungen geräumt, während das legale Protestcamp weiterbestand.
Pünktlich zum einjährigen Jubiläum drohte die Stadt Wien mit der Räumung auch dieses Camps. "Notwendige Baumpflegearbeiten" oder eine "Rattenplage" seien der Grund für die Auflösung des polizeilich angemeldeten Camps, wurden Vertreter:innen der Stadt zitiert. Die Aktivist:innen hingegen sprachen von "einem Vorwand" der Behörden, sich unliebsamen Protests zu entledigen.
Schließlich entschieden sie, das Camp freiwillig zu beenden. "Wir wollen nicht darauf warten, wann die Stadt Wien uns hier polizeilich räumen lässt: Wir bleiben in Bewegung und setzen unseren Protest in anderer Form fort", ließen die Besetzer:innen zuletzt verlauten.
Vergangenen Montag zelebrierten sie dann mit Lastenrädern, Transparenten und Megafonen ihren "Umzug", der sich bis vor die Bezirks-Niederlassung der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) im Nordosten Wiens bewegte.
Die SPÖ, die gemeinsam mit ihrem liberalen Juniorpartner Neos die gegenwärtige Stadtregierung bildet, hält nach wie vor an ihren Straßenbauplänen fest und ist daher immer wieder Ziel von Klimaprotesten. "Die Erde brennt und wir haben keine Zeit zu warten, bis sie das endlich begreifen", so eine Sprecherin von "Lobau bleibt".
"Wir sind als Einzelpersonen vor einem Jahr auf das Camp gekommen und jetzt gehen wir als Bewegung", sagte sie. "Und als Bewegung kommen wir schneller wieder zurück, als es Bürgermeister Michael Ludwig lieb sein wird."
Nur Stunden später ist der Protest zurück
Dass die Proteste dann aber so schnell wiederkehren würden, hat niemand gedacht. In der Nacht auf Dienstag wurden Gleise an der Stadtstraßen-Baustelle besetzt. Die Gleisanlagen wurden für den Bau der Stadtstraße vorübergehend gesperrt, um sie zu untertunneln.
Die Gruppe will damit den "Abbau von Zuggleisen für den Autobahnbau" stoppen, teilte sie in einer Aussendung mit. Den Österreichischen Bundesbahnen zufolge werden für die Zeit der Bauarbeiten an Ort und Stelle lediglich zwei Hilfsbrücken errichtet.
"Die erst vor Kurzem ausgebauten Gleiskörper werden zwischenzeitlich zerstört", widerspricht eine Aktivistin. "Dieser Akt ist symbolisch für die rückschrittliche Verkehrspolitik der Stadt Wien, die im Jahr 2022 noch immer Autobahnen statt öffentliche Verkehrsmittel fördert." Um etwa vier Uhr morgens ketteten sich fünfzehn Menschen an Gleisanlagen beim Bahnhof Hirschstetten in Wien-Donaustadt oder klebten sich fest.
"Gleisabbau für Autostau? Nein danke!", war auf einem Transparent zu lesen. Die Polizei musste zum Teil schweres Gerät anwenden, um die Blockierenden zu lösen. "Es kam zu fünf Anzeigen nach dem Eisenbahn- und drei gemäß dem Versammlungsgesetz", teilte sie mit. Die Räumung dauerte bis etwa 7:30 Uhr, berichten Medien.
Die Ankündigung der "Lobau bleibt"-Sprecherin ist also ernst zu nehmen: "Kein fossiles Projekt ist vor unserem Protest sicher."