Alle Länder täten gut daran, Erdgas durch erneuerbare Energien zu ersetzen, erklärt Jennifer Morgan. Zu konkreteren Aussagen oder gar einer klaren deutschen Verhandlungsposition zum Gasausstieg lässt sich die Staatssekretärin des Auswärtigen Amtes trotz Nachfrage in ihrer Auftaktpressekonferenz am Montag auf dem Klimagipfel nicht hinreißen.

Die UN-Klimakonferenz COP 29 startet an diesem Tag in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku. Immerhin sei der Gasverbrauch rückläufig, sagt Morgan.

Das dürfte sich auf die Europäische Union oder Deutschland beziehen. Dort ist der Verbrauch in den letzten beiden Jahren tatsächlich gesunken.

 

Weltweit ergibt sich allerdings ein anderes Bild, und zwar nicht nur für Gas, sondern auch für Erdöl. Das zeigt die am Montag von Urgewald und 34 weiteren Nichtregierungsorganisationen veröffentlichte Global Oil & Gas Exit List – die umfangreichste Datenbank zur globalen Öl- und Gasindustrie.

55,5 Milliarden Barrel Öläquivalent – Gas wird hier in Öl mit gleichem Energieinhalt umgerechnet – wurden letztes Jahr gefördert. Damit ist der Vor-Corona-Höchstwert übertroffen.

"Dieser Negativrekord ist alarmierend", erklärte Nils Bartsch, der bei Urgewald die Öl- und Gasrecherche leitet. "Wenn wir die fossile Expansion nicht aufhalten und keinen kontrollierten Produktionsrückgang einleiten, wird das 1,5-Grad-Ziel unerreichbar."

Milliarden für die Suche nach neuen Öl- und Gasfeldern

Die in der Datenbank abgebildeten Unternehmen sind für 95 Prozent der weltweiten Produktion verantwortlich.

Die gegenwärtig in Planung befindlichen Öl- und Gasfelder sollen weitere 240 Milliarden Barrel zu Tage bringen. Das lässt sich weder mit dem 1,5‑Grad- noch dem Zwei-Grad-Ziel vereinbaren.

Erdgas gilt weithin als Brückenenergie, kann aber so klimaschädlich sein wie Kohle – je nachdem, wie viel Methan bei Förderung und Transport entweicht. (Bild: Tim Reckmann/​Flickr, CC BY 2.0)

Eines der größten Ölfelder, die derzeit erschlossen werden, ist das Willow Project des US-Ölkonzerns Conoco Phillips im Norden Alaskas. Allein dieses Ölbohrprojekt könnte über einen Zeitraum von 30 Jahren bis zu 600 Millionen Barrel und knapp 290 Millionen Tonnen CO2 produzieren.

Das zuständige Bureau of Land Management, das Landverwaltungsamt, warnte vor einer Verschlechterung der Ernährungssicherheit für die indigene Bevölkerung und sagte eine Schädigung des komplexen Tundra-Ökosystems voraus.

Genehmigt wurde das Vorhaben von der Biden-Regierung dennoch.

Ein anderes Beispiel ist Neptun Deep, eines der größten Gasförderprojekte Europas. Bis 2064 könnten hier vor der rumänischen Schwarzmeerküste über 100 Millionen Kubikmeter Gas produziert werden.

Schon diese konkreten Expansionspläne stehen nicht im Einklang mit den Projektionen der Internationalen Energieagentur IEA, um bis Mitte des Jahrhunderts Klimaneutralität zu erreichen.

Die von Urgewald vorgestellten Daten zeigen außerdem, dass die Branche fleißig auf der Suche nach weiteren fossilen Reserven ist. 95 Prozent der analysierten Förderunternehmen geben zusammen jedes Jahr 8,4 Milliarden US-Dollar für die Suche nach neuen Öl- und Gaslagerstätten aus.

"Noch so viele Erneuerbare können den Ölausstieg nicht ersetzen"

Wie fern die Branche oder Teile von ihr von jeder Klimaverantwortung sind, versinnbildlicht ein Statement von Amin Nasser, Chef des staatlichen saudischen Ölkonzerns Aramco, auf einer Energiekonferenz Anfang des Jahres: "Wir sollten die Fantasie eines Ausstiegs aus Öl und Gas aufgeben."

Selbst Unternehmen, die laut öffentlichen Bekundungen 2050 klimaneutral sein wollen, wie Shell, BP, Total, Eni oder OMV, überschreiten das Netto-Null-Szenario der IEA um 50 bis 80 Prozent.

Die Klimaziele basieren nach Angaben von Urgewald-Energieexpertin Regine Richter auf vollkommen unrealistischen Prognosen, etwa für den Einsatz von CCS. "Es können noch so viele Erneuerbare zugebaut werden, die Welt wird die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzen können ohne einen schrittweisen Ausstieg aus Öl und Gas."

Der Datensatz wirft auch einen Blick auf Unternehmen, die neue Infrastrukturen für den Öl- und Gassektor entwickeln. In Europa und besonders in Deutschland stechen dabei die Ausbaupläne für Flüssigerdgas-Terminals ins Auge.

Obwohl die Auslastung der schwimmenden LNG-Terminals in Deutschland vergangenes Jahr nur bei 57 Prozent lag, will die Bundesrepublik zusätzliche Importkapazitäten für 38 Millionen Tonnen Flüssiggas pro Jahr schaffen.

Das bundeseigene Unternehmen mit dem denglischen Namen Deutsche Energy Terminal und der international tätige Infrastrukturkonzern Tree Energy Solutions sollen dabei den Großteil der Ausbaupläne stemmen.

Fossile Expansion frisst ein Vielfaches der Finanzhilfen für Klimaschäden

Urgewald warnt angesichts der voraussichtlichen Überkapazitäten vor fossilen Lock‑ins. Auch für Constantin Zerger, Leiter des Bereichs Energie und Klimaschutz bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), handelt es sich hier um eine "unnötige Infrastruktur".

Die Pläne der Unternehmen, die Terminals auf grünen Wasserstoff oder Ammoniak umzurüsten, seien ebenso wenig überzeugend, wie die Netto-Null-Versprechen. Um für diese grünen Alternativen nutzbar zu sein, müssten Terminals teuer umgerüstet oder sogar neue gebaut werden, so Zerger.

"Konkrete Pläne dazu sucht man in den Antragsunterlagen der Unternehmen vergeblich. Die LNG-Terminals sind und bleiben umwelt- und klimaschädliche Anlagen, die aktuell vor allem dafür da sind, Europa mit dreckigem US‑Fracking‑Gas zu versorgen."

Die Verhandlungen über den Öl- und Gasausstieg werden auf der COP 29 voraussichtlich ein Nebenschauplatz bleiben. Zu viele Länder haben ein Interesse daran, das Thema von der Tagesordnung fernzuhalten, und als zu vertrackt könnten sich die Verhandlungen um die Klimafinanzierung darstellen.

 

Gerade bei der finanziellen Unterstützung der ärmsten Länder im Umgang mit den Klimaschäden gibt es viel Nachholbedarf. Die traurige Wahrheit ist – auch das zeigt die Datenbank –, dass weltweit wesentlich mehr Geld für die Erkundung neuer fossiler Vorkommen als zur Bewältigung der Verluste und Schäden ("Loss and Damage") ausgegeben wird.

Allein der US-Ölkonzern Exxon Mobil gibt mit über einer Milliarde Dollar für neue Öl- und Gasprojekte fast das Sechzigfache von dem aus, was die USA für den auf dem Klimagipfel vor zwei Jahren beschlossenen Loss-and-Damage-Fonds versprochen hatten.

COP 29 in Baku

Bei der 29. UN-Klimakonferenz in Aserbaidschan geht es um ein neues Ziel für die internationale Klimafinanzierung. Klimareporter° ist mit einem Team vor Ort und berichtet täglich.

"Nach den Flutkatastrophen in Niger, Mali und Nigeria blicken wir auf verwüstete Landstriche, und durch die extreme Dürre am Horn von Afrika sind Millionen Menschen von Hunger bedroht", mahnt Bobby Peek von der südafrikanischen Umweltorganisation Ground Work. "Für solche klimabedingten Verluste und Schäden aufzukommen hat nichts mit Wohltätigkeit zu tun, es ist eine Frage von Gerechtigkeit."

Eine zwei Wochen zuvor aktualisierte Datenbank von Urgewald zeigte außerdem, dass in vielen Ländern auch weiterhin munter neue Kohlekraftwerke und Kohlegruben geplant werden.