Luftverschmutzung ist ein Killer. Weltweit, in Europa und auch in Deutschland stellt sie das größte umweltbedingte Risiko für die Gesundheit dar.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass global jedes Jahr rund sieben Millionen Menschen durch Stickoxide und andere Luftschadstoffe vorzeitig sterben. Für Deutschland gehen Schätzungen auf bis zu 125.000 Opfer.
Die WHO zieht nun Folgerungen aus neuen Studien und empfiehlt eine deutliche Verschärfung der Grenzwerte – vor allem für Stickstoffdioxid (NO2) und Feinstaub.
Abgase aus Verkehr, Haushalten, Industrie und Landwirtschaft können krank machen. Eine erhöhte Belastung schadet zum Beispiel der Lunge, kann sogar Lungenkrebs begünstigen, zudem fördert sie Asthma sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Neue Untersuchungen weisen Gesundheitsschäden bei Kindern auch bei niedrigen Schadstoffkonzentrationen nach, die bereits im Mutterleib beginnen können. Folge kann ein lebenslang erhöhtes Risiko für chronische Krankheiten sein.
Um die negativen Folgen einzudämmen, hatte die WHO zuletzt 2005 Grenzwerte unter anderem für NO2, Feinstaub und Ozon empfohlen, die zum Teil auch von den Gesundheitsbehörden etwa in der EU und den USA übernommen wurden. Für NO2 waren es 40 Mikrogramm und für den besonders gefährlichen Feinstaub bis 2,5 Mikrometer Partikelgröße (PM2,5) zehn Mikrogramm pro Kubikmeter. Die EU setzte die Werte auf 40 Mikrogramm Stickoxide sowie auf 25 Mikrogramm Feinstaub fest.
Die neuen WHO-Empfehlungen senken die Werte für Stickstoffdioxid nun stark von 40 auf zehn Mikrogramm pro Kubikmeter. Für den PM2,5-Feinstaub beträgt der Wert statt zehn nun fünf Mikrogramm. Bei Ozon bleibt es bei 100 Mikrogramm, doch werden 60 Mikrogramm für die warme Jahreszeit eingeführt. Bei Schwefeldioxid gilt nun ein höherer Wert, 40 statt 20 Mikrogramm.
Schon bisherige Grenzen werden kaum eingehalten
Die WHO erläutert, dass unter anderem bei Stickoxiden und Feinstaub inzwischen "gesundheitliche Auswirkungen auch bei niedrigeren Werten als bislang angenommen" mit höherer Gewissheit nachgewiesen seien. Die durch den PM2,5-Feinstaub ausgelösten Gesundheitsrisiken seien von besonderer Bedeutung. Diese besonders feinen Partikel könnten über die Lunge sogar in den Blutkreislauf gelangen.
Weiter betont die WHO, dass eine Verringerung der Luftschadstoffe auch helfe, die globale Erwärmung zu begrenzen. Einige Luftschadstoffe – vor allem Ruß als Bestandteil des Feinstaubs und Ozon in der Troposphäre – seien zugleich klimawirksam. "Sie verbleiben oft nur wenige Tage in der Atmosphäre, sodass ihre Reduzierung günstige Folgen nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für das Klima hat", erläutert die WHO.
Die WHO-Empfehlungen haben durchaus Sprengkraft, denn üblicherweise sind die WHO-Werte die Grundlage für später folgende gesetzliche Regelungen. Allerdings werden selbst die bisherigen Grenzwerte weltweit kaum eingehalten. So leben laut WHO 90 Prozent der Weltbevölkerung in Regionen, in denen die Feinstaub-Belastung zu hoch ist. Am stärksten betroffen ist hier Südostasien.
Aber auch in den meisten EU-Staaten ist die Luft zu schmutzig, wie die Europäische Umweltagentur EEA jüngst mitteilte. Die Konzentration von Luftschadstoffen überschritt danach 2019 mindestens einen der gesetzlichen EU-Grenzwerte.
"Luftverschmutzung stellt in allen Ländern eine Bedrohung für die Gesundheit dar, trifft allerdings am stärksten die Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen", kommentierte WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus.
"Von den neuen Werten ist auch Deutschland weit entfernt"
Auch in Deutschland dürften die neuen WHO-Empfehlungen die Debatte über die Luftreinhaltung anheizen. Der Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), Dirk Messner, sagte gegenüber Klimareporter°, man begrüße die Aktualisierung der WHO-Luftqualitätsleitlinien.
Das UBA will nun ausführlich prüfen, was die Ergebnisse für die Luftreinhaltung in Deutschland bedeuten. "Von den neuen Richtwerten sind wir auch in Deutschland noch weit entfernt", räumte Messner ein.
Die Belastung etwa durch NO2 ist in Deutschland zuletzt zurückgegangen. Der 40-Mikrogramm-Grenzwert wurde 2020 in sechs Städten überschritten, 2018 waren es noch 57 gewesen. Der nun von der WHO empfohlene Wert von zehn Mikrogramm wird jedoch überall gerissen.
Auch Umweltschützer begrüßen die neuen WHO-Vorgaben. Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, sagte: "Die politisch brisanteste Verschärfung ist die beim Stickstoffdioxid. Sie bedeutet: Wir müssen diesen Schadstoff so weit es irgend geht aus der Atemluft verschwinden lassen."
Hierzu müsse die Politik einen ehrgeizigen Stufenplan aufstellen. Dazu müsse der motorisierte Individualverkehr in den Städten "schnell und deutlich reduziert werden". Stattdessen sei hier mehr Bus- und Bahn- und Straßenbahnverkehr sowie eine kurzfristige Verdopplung der Radwege nötig.
Außerdem fordert die Umwelthilfe ein Tempolimit wie in den Niederlanden. Dort gilt auf Autobahnen tagsüber Tempo 100 und auf allen Außerortsstraßen generell Tempo 80.