Olaf Scholz spricht in sein Handy. Aufnahme vom Finanzministertreffen der Euro-Länder im März 2019 in Brüssel.
Auf wen hört Olaf Scholz? (Foto/​Ausschnitt: Alexandros Michailidis/​Shutterstock)

Für die Grünen, die Klimapartei, muss es ein Schock gewesen sein. Als der Expertenrat für Klimafragen jetzt sein Gutachten über die Politik der Ampel-Regierung im Jahr 2022 vorlegte, stellte er klar: Bleibt es beim bisherigen Tempo im Klimaschutz, wird Deutschland sein offizielles CO2-Ziel für 2030 um etwa 40 Prozent verfehlen.

Statt der angepeilten 438 Millionen Tonnen Treibhausgase würde das Land dann 628 Millionen produzieren. Das wäre nicht nur fern der Vorgaben des Pariser Klimavertrags, den die Bundesrepublik unterzeichnet hat. Der viel zu schwache Einsparkurs wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch verfassungswidrig.

Denn das oberste deutsche Gericht in Karlsruhe hat in seinem wegweisenden Urteil von 2021 zum Thema bekanntermaßen festgestellt: Die Regierung darf nicht jetzt beim Klimaschutz schludern, weil sonst nach 2030 mit einschneidenden Maßnahmen gewaltig nachgesteuert werden müsste. Dadurch würden Freiheitsrechte künftiger Generationen verletzt.

Das Problem der Grünen ist nun: Die Ampel insgesamt scheint nicht gewillt, den richtigen Kurs einzuschlagen. Vom gemeinsamen Anspruch der drei Parteien, besonders auch in der Klimafrage eine "Fortschrittskoalition" zu bilden, ist wenig übriggeblieben.

Die Vorschrift aus dem Klimaschutzgesetz, wonach jedes Ressort die vorgegebenen jährlichen CO2-Ziele einhalten muss, soll gekippt werden – ein Ergebnis der jüngsten 30-Stunden-Marathonsitzung der Koalition.

Bundesverkehrsminister Wissing von der FDP weigert sich, das in dem Gesetz bisher noch vorgeschriebene Sofortprogramm für seinen Bereich vorzulegen, der das Sektorziel verfehlt hat. Und der selbsternannte "Klimakanzler" Scholz nickt das auch noch ab.

Uneinigkeit auch auf der zweiten großen Baustelle, bei der Umstellung der Wärmeversorgung der Gebäude. Alle Fachleute sagen, dass der weitere Einbau von Erdgasheizungen schnellstmöglich gestoppt werden muss. Doch über das Konzept dazu stritten sich die Ampelpartner bis zuletzt munter weiter, sodass sich die Wähler mit Grausen abwenden, und zwar nicht nur jene, die bisher dank Gas über den Winter kommen.

Und auch der Übergang zur Wasserstoff-Wirtschaft in der Industrie lässt sich zäher an als erhofft.

Grüne Schadensbegrenzung ist zu wenig

Die Befürchtung, dass die Ampel das zentrale Thema verstolpert, ist groß. Die Grünen haben das, mit Verspätung, begriffen. Sie versuchen den Schaden zu minimieren. Erst versuchten sie es mit der Interpretation, die Sektorziele blieben doch auch nach der Novelle des Klimagesetzes bestehen. Inzwischen drohen sie, das neue Gesetz noch zu stoppen.

Will sagen, sie haben begriffen, dass sie in der Marathonsitzung einen gewaltigen Fehler gemacht haben, als sie der Entkernung der Vorschriften zustimmten. Das wieder einzuholen, ist kaum drin.

Natürlich muss man gerecht sein. Das Scholz-Kabinett hat den schwierigsten Start einer Regierung erlebt, den man sich vorstellen kann. Der Putin-Krieg und die Energiekrise absorbierten im vergangenen Jahr den Großteil der Gestaltungskraft. Und es gilt anzuerkennen, das Land ist, und zwar dank der Ampel, weit besser durch die Krise gekommen, als zu erwarten war.

Das allerdings taugt nicht als Begründung dafür, den überfälligen Klima-Umbau in den zentralen Sektoren, von Verkehr über Haushalte bis Industrie, aufzugeben oder auch nur abzubremsen und zu den alten politischen Rezepten des klimablinden Wachstums zurückzukehren.

Das aber versucht die FDP. Wissing gibt beim Fernstraßenbau Vollgas, als wäre Deutschland noch in den alten Wirtschaftswunderzeiten, und drückt E‑Fuels als Sprit-Option durch, was die Knappheit von Ökostrom potenziert.

Dasselbe Spiel bei den Heizungen. Unter dem Schlagwort "Technologieoffenheit" wollen die Liberalen die Gasstrukturen erhalten, um vielleicht einmal Wasserstoff zum Heizen einsetzen zu können, was von der Energieeffizienz her ebenfalls unsinnig ist. Niemand von den Liberalen erklärt, warum sie das durchdrücken mussten – aber es steht nun so im Gebäudeenergiegesetz, das im Kabinett verabschiedet wurde.

Kanzlerpartei schaut der Klima-Demontage zu

Das Problem ist: Die SPD und ihr Kanzler haben sich auf die Seite der Liberalen geschlagen, obwohl die inhaltlichen Schnittmengen mit den Grünen beim Klimaschutz ursprünglich viel größer waren. Die Sozialdemokraten argumentieren gegenüber der Ökopartei, eine Politik, die zu viele soziale Härten mit sich bringe und die Menschen nicht mitnehme, sei zum Scheitern verurteilt.

Das ist selbstredend wahr, und Klimaminister Habeck und Co muss man in der Tat ankreiden, dass ihre Wärmepumpen-Pläne diesbezüglich nicht ausgereift waren. Sich dieser Schlagseite anzunehmen, war richtig, hier hätte die Ampel sogar noch mehr tun müssen.

Doch ansonsten wäre es der Job der Kanzlerpartei gewesen, die rückschrittlichen Forderungen der FDP zu stoppen, die die ganze Klimaschutz-Architektur ins Rutschen bringen.

Zu befürchten ist, dass in dieser Legislaturperiode außer einigem Fortschritt beim Ausbau der "Freiheitsenergien" Sonne und Wind kaum noch Wegweisendes passieren wird. Und das ist einer "Fortschrittskoalition" nicht würdig.

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