Schwarze Protestfahne gegen Blackrock bei einer Demo in Frankreich
Bei den Protesten gegen die französische Rentenreform im Januar ging es auch gegen Blackrock. (Foto: Jeanne Menjoulet/​Flickr)

"Sagt, was ihr wollt. Von der Leyen hat einfach ein Händchen für Berater", spottete Nico Semsrott kürzlich auf Twitter. Gerade war bekannt geworden, dass die EU-Kommission den Vermögensverwalter Blackrock ausgewählt hat, um sich bei der Integration von Nachhaltigkeitskriterien in den Bankensektor beraten zu lassen.

Seit dem vergangenen Jahr sitzt der Kabarettist Semsrott für die Satire-Partei Die Partei im Europaparlament. Die Fragen, die er mit seinem Tweet aufwirft, sind weitreichend und alles andere als spaßig – und sie treiben auch viele weitere EU-Abgeordnete um, genauso wie zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die sich mit "Green Finance" befassen.

Ist es – so die zentrale Frage – wirklich vertretbar, ausgerechnet einen Finanzkonzern als Berater für nachhaltige Bankregeln zu engagieren, der Anteile an vielen Kohlefirmen und allen großen Banken besitzt?

Und: Wiederholt Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin die Fehler, die in ihren sechs Jahren als Bundesverteidigungsministerin zu der Berateraffäre geführt haben, die seit mehr als einem Jahr einen Untersuchungsausschuss im Bundestag beschäftigt?

Als Verteidigungsministerin hatte von der Leyen die Ausgaben des Ministeriums für externe Berater rapide ansteigen lassen. Eine Überprüfung durch den Bundesrechnungshof ergab Zweifel an der Wirtschaftlichkeit und Rechtmäßigkeit des Beratereinsatzes. Etliche Aufträge waren an das Beratungsunternehmen McKinsey gegangen, nachdem eine Managerin der Firma als Staatssekretärin ins Verteidigungsressort gewechselt war.

Neben dem Vorwurf der unkorrekten Auftragsvergabe und Vetternwirtschaft steht der Verdacht im Raum, die externen Berater hätten zu viel Einfluss auf die Agenda des Ministeriums ausgeübt. Auch von Beweisvernichtung ist die Rede, da Daten vom Diensthandy der Ministerin gelöscht wurden.

Vor dem Untersuchungsausschuss räumte von der Leyen bei ihrer Zeugenaussage Fehler ein. Aber hat sie auch daraus gelernt?

"Blackrock ist der weltgrößte Investor in fossile Energien"

Von einer Affäre ist die Auftragsvergabe an Blackrock durch die EU-Kommission noch weit entfernt (der Vertrag ist auf der EU-Website einsehbar). Eine Petitesse ist der Vorgang trotzdem nicht.

Kritiker:innen fürchten nicht zu Unrecht, die EU-Kommission verspiele die Glaubwürdigkeit und Integrität ihres Green Deal, wenn ein Finanzriese wie Blackrock ins Boot geholt wird, um Regeln für den Bankensektor zu definieren.

"Es ist, als würde man den Bock zum Gärtner machen." So formuliert es die gemeinnützige Umwelt- und Menschenrechtsorganisation Urgewald, die sich seit Langem mit der Frage beschäftigt, wie klimafreundlich die Finanzwirtschaft ist.

"Es gibt einen sehr starken Interessenskonflikt", sagt Jacey Bingler von Urgewald gegenüber Klimareporter°. Laut Auftrag soll Blackrock eine "Studie" anfertigen, wie die drei zentralen Faktoren zur Messung von Nachhaltigkeit – Umwelt, Soziales und Unternehmensführung, englisch kurz ESG – sowie diesbezügliche Risiken in die Geschäftsstrategien und Risikomanagementprozesse europäischer Banken integriert werden können.

Dafür sei Blackrock keine gute Wahl, meint Bingler. Neun Bewerber gab es für den Auftrag. Dass die Kommission sich für den Finanzriesen entschieden hat, leuchte nicht ein. "Warum haben sie nicht einfach einen unabhängigen Thinktank genommen?"

"Blackrock ist der weltweit größte Investor in fossile Energieträger, ein führender Finanzier der globalen Waffenindustrie und unter den führenden zehn Investoren der zwölf systemrelevantesten Banken der Welt", sagt Bingler. "Und genau diese Bereiche sollen ja durch eine konsequente Umsetzung von ESG-Maßnahmen im besten Fall ausgeschlossen werden." Das passe nicht zusammen.

EU-Abgeordnete fordern Auftrags-Neuvergabe 

Von "massiven Interessenkonflikten" spricht auch Lena Blanken von der Bürgerbewegung Finanzwende, die im vergangenen Jahr von dem Volkswirt und ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Grünen, Gerhard Schick, gegründet wurde.

"Blackrock hat große Beteiligungen an vielen Unternehmen, die bei konsequenten ökologischen Entscheidungen massiv an Wert verlieren würden", sagt Blanken gegenüber Klimareporter°. "Die Firma hat also ein Geschäftsinteresse daran, eher schwache Vorschläge zu machen."

Schon in der Vergangenheit, so Blanken, sei Blackrock bei Abstimmungen auf Aktionärsversammlungen und bei ähnlichen Gelegenheiten "nicht gerade als Vorreiter im Sinne der Nachhaltigkeit" aufgetreten. "Wenn wir eine progressive Nachhaltigkeitspolitik wollen, dann ist Blackrock einfach der falsche Ansprechpartner."

Auch 85 Abgeordnete des EU-Parlaments sind von der Entscheidung alarmiert. In einem förmlichen Schreiben, der Klimareporter° vorliegt, haben sie sich an die EU-Kommission gewandt und fordern eine Neuvergabe des Auftrags. Die Unterschriften kommen vor allem von Liberalen, Grünen, Sozialdemokraten und Linken.

"Ist sich die Kommission bewusst, dass ihre Entscheidung für Blackrock zu einem wirtschaftlichen Interessenskonflikt führt, wenn ein Unternehmen Richtlinien ausarbeitet, von denen es selbst betroffen ist?", fragen die Parlamentarier:innen.

Glaubwürdigkeit des Green Deal wäre angeknackst

Die Kommission setze die "faire Umsetzung des Green Deal in den Finanzsektor" aufs Spiel, heißt es in dem Schreiben. Zudem, so die weitere Kritik, werde einem US-amerikanischen Unternehmen eine zu große Einflussmöglichkeit auf EU-Gesetze eingeräumt und damit die EU-Souveränität gefährdet.

Dies halten die Abgeordneten für besonders problematisch, da Blackrock in den USA kürzlich als Manager des staatlichen Covid-19-Schuldenaufkaufprogramms benannt wurde. Damit erhalte die Firma bereits großen Einfluss darauf, wie die wirtschaftliche Erholung für die Nach-Corona-Zeit gestaltet wird. Bereits Ende März hatten sich 30 Organisationen in den USA gegen die Beauftragung ausgesprochen.

"Wenn Blackrock auch für die EU als Berater arbeitet", sagt Jacey Bingler von Urgewald, "erhält die Firma nun weltweit extrem viel politischen Einfluss, den sie als quasi mächtigster Lobbyist der Welt nicht haben sollte."

In einem offenen Brief wenden sich zudem auch knapp 100 Organisationen der Zivilgesellschaft an die EU-Kommission und fordern eine Annullierung des Vertrags mit Blackrock. Die Entscheidung für den Finanzkonzern sei ein "schwerer Fehler" und "extrem gefährliches Signal", heißt es darin. Die Glaubwürdigkeit und das Ansehen des europäischen Green Deal und seiner nachhaltigen Finanzstrategie würden dadurch untergraben.

Blackrock sei die falsche Wahl, da die Firma nicht neutral sein könne und bei dem Auftrag Richter in eigener Sache sei, argumentieren die Organisationen, darunter Attac, Greenpeace, Friends of the Earth/​BUND sowie Urgewald und Finanzwende.

Eine Antwort der EU-Kommission steht noch aus.

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