Das EU-Parlament will, dass auch in den kommenden Jahren Erdgas-Infrastrukturprojekte innerhalb der Europäischen Union gefördert werden. 443 Abgeordnete stimmten gegen den Antrag der Grünen auf Zurückweisung einer Liste von rund 150 Energie-Infrastrukturvorhaben. 169 stimmten für den Grünen-Antrag, 36 enthielten sich.
Bei den somit bestätigten Infrastrukturprojekten handelt es sich um sogenannte "Vorhaben von gemeinsamem Interesse" (Projects of Common Interest, PCI). Als ein gemeinsames europäisches Interesse gilt das Sicherstellen der Energieversorgung.
Die inzwischen vierte PCI-Liste hatte die EU-Kommission im vergangenen Oktober vorgelegt, etwa ein Drittel der darin genannten Vorhaben sind Gasinfrastrukturprojekte.
Einer Analyse zufolge sind die meisten der Gasprojekte fragwürdig, weil die Gasinfrastruktur in Europa aus Sicht der Energiesicherheit mehr als ausreichend ist. Klimaschutzorganisationen warnten vor Fehlinvestitionen, sollte die Liste vom EU-Parlament nicht gestoppt werden.
"29 Milliarden Euro in fossile Infrastruktur zu investieren ist eine wirtschaftliche und klimapolitische Katastrophe", kommentierte Michael Bloss, EU-Abgeordneter der Grünen, gegenüber Klimareporter° die heutige Abstimmung. Die Europäische Kommission konterkariere damit ihre eigenen Ziele aus dem European Green Deal.
Ende vergangenen Jahres hatte die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Green Deal angekündigt. Danach soll die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral und das Wirtschaftssystem umgebaut werden. Mit dem Deal will von der Leyen grüne Investitionen von einer Billion Euro auslösen.
"Neue fossile Erdgasinfrastruktur passt nicht in den europäischen Plan für einen Green Deal", findet auch die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
"Fossile Pipelineprojekte sind unsinnig"
Aus Sicht des EU-Abgeordneten Markus Pieper (CDU) braucht die EU Erdgas als Übergangstechnologie. "Wenn wir neue Gasprojekte nicht mehr zulassen, haben wir künftig keine Infrastruktur mehr für CO2-arme Alternativen", warnte Pieper. Ohne Erdgaspipelines werde der Transport von Wasserstoff erschwert, ohne Gas als Brücken-Energiequelle könne die Grundversorgung in Europa nicht gesichert werden.
DIW-Ökonomin Kemfert sieht das anders. "Erdgas behindert den Umstieg zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien und erschwert das Erreichen der Klimaziele."
Eigentlich will die EU Investitionen in fossile Energien auslaufen lassen. Im vergangenen November hatte die Europäische Investitionsbank (EIB) angekündigt, dass die Finanzierung fossiler Energieprojekte bis 2022 beendet werden soll. Die heutige Abstimmung im Parlament eröffnet den EU-Staaten ein Schlupfloch, um weiter milliardenschwere EU-Förderung in fossiles Gas zu pumpen.
"Insbesondere teure Pipelineprojekte für fossiles Erdgas sind unsinnig, da sie auf Jahrzehnte ausgelegt sind, während aufgrund von Energiewende und Klimaschutz mit zurückgehender Erdgasnachfrage zu rechnen ist", warnte Kemfert. Investitionen in fossile Pipelines seien Fehlinvestitionen, die – ähnlich wie heute Kohlekraftwerke – spätestens in einem Jahrzehnt abgeschrieben werden müssten.
Mit dem gleichen Argument wollten die Grünen im EU-Parlament die jetzige PCI-Liste verhindern. Bis die Kommission eine neue Liste vorgelegt hätte, wäre die Verpflichtung der Europäischen Investitionsbank bereits gültig. Zwar können die Mitgliedsstaaten die Liste, die 55 Gas-Projekte umfasst, theoretisch noch verhindern. Weil die Staaten aber an der Ausarbeitung der Liste beteiligt waren, rechnet der EU-Abgeordnete Bloss nicht damit.
"Was wir jetzt brauchen, sind massive Investitionen in die Erneuerung der europäischen Energieinfrastruktur und in erneuerbare Energien", sagte Bloss. Auch aus Sicht von Kemfert wäre das Geld in erneuerbare Energien wesentlich besser investiert als in fossile Erdgasprojekte.
Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert vom DIW ist Mitglied im Herausgeberrat von Klimareporter°.