Es lässt sich fast nicht mehr zählen, wie häufig der Verkehrssektor als "Sorgenkind" des Klimaschutzes bezeichnet worden ist. EU-weit macht der Verkehr derzeit etwa ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen aus – Tendenz steigend. Denn nachdem die Emissionen aus diesem Sektor zwischen 2008 und 2013 gesunken waren, stiegen sie von 2015 auf 2016 um drei Prozent.
Ein neuer Bericht der Denkfabrik Climate Action Tracker, der am heutigen Donnerstag auf dem Klimagipfel im polnischen Katowice vorgestellt wurde, gibt allerdings Grund zur Hoffnung. Den Personenverkehr bis zum Jahr 2050 zu dekarbonisieren sei möglich, so der Bericht des Zusammenschlusses dreier Klima-Thinktanks.
Demnach kann auch der Verkehrssektor einen Beitrag dazu leisten, dass die EU ihre Gesamt-Emissionen bis zum Jahr 2030 um die Hälfte gegenüber 1990 reduzieren kann – das sei vereinbar mit dem Ziel, den Klimawandel auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Offizielles Ziel der EU ist derzeit, die Emissionen bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu reduzieren. Eine Initiative der EU-Kommission zur Anhebung auf 45 Prozent scheiterte offenbar vor allem am Widerstand Deutschlands. Ein Beschluss des EU-Parlaments, das Ziel auf 55 Prozent zu erhöhen, hat nur empfehlenden Charakter.
Auch Gebäude- und Energiesektor sollen Beiträge leisten
Allerdings schafft der Personenverkehr die 50-Prozent-Reduktion nicht allein. Die Autoren schlagen auch Maßnahmen für zwei andere Sektoren vor, Gebäude und Energie, die mengenmäßig größere Beiträge leisten. Insgesamt stehen die drei Sektoren heute für 60 Prozent der EU-Emissionen.
Für den Beitrag des Verkehrs hat Climate Action Tracker drei Forderungen: Erstens sollen die Standards für die CO2-Emissionen von Pkws im Jahr 2030 etwa doppelt so streng sein wie im Jahr 2016.
Außerdem soll ab dem Jahr 2035 der Verkauf von Neuwagen mit Verbrennungsmotoren verboten werden. Bis zum Jahr 2040 soll der Personenverkehr dann fast vollkommen elektrifiziert sein.
Das dritte Ziel ist es, den Anteil des öffentlichen Verkehrs bis 2030 zu verdoppeln und den Bereich zu elektrifizieren. Allerdings – das merken die Autoren an – muss der Stromsektor dafür vollständig dekarbonisiert sein.
Auf die Frage in Katowice, wie realistisch diese Forderungen im Lichte der laufenden Verhandlungen zu den CO2-Grenzwerten für Autos überhaupt sind, antwortet Hanna Fekete vom beteiligten Kölner New Climate Institute: "Je mehr Elektroautos es gibt, desto weniger wichtig wird es, dass die Verbrenner effizient werden." Bei den Verhandlungen hatten sich Länder wie Deutschland gegen strengere Grenzwerte eingesetzt.
Die Liste der EU-Kommissarin ist etwas kürzer
Möglicherweise sind sich aber Climate Action Tracker und EU-Kommission gar nicht so uneinig. Denn kurz vor Beginn der Klimakonferenz hat die Kommission eine Strategie vorgestellt, wie sie bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden kann. "Die Strategie ist sehr ehrgeizig", sagt EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc ebenfalls am Donnerstag auf der Klimakonferenz. "Sie spiegelt auch meine eigene Vision wider, bis 2050 die Emissionen aus dem Verkehr auf null zu reduzieren."
Auch Bulc listet dann Maßnahmen auf, mit denen das Ziel erreicht werden soll: Elektrifizierung und natürlich mehr öffentlicher Nahverkehr. Außerdem seien Wasserstoff als Kraftstoff und Biokraftstoffe nötig.
Regulierungen wie ein Verbot von Verbrennern erwähnt sie allerdings nicht. Vielmehr wolle die EU-Kommission die Entscheidungen der Konsumenten mit finanziellen Anreizen wie einer Maut oder anderen Abgaben beeinflussen, sagt Bulc.
Auch Bill Hare, Chef des Berliner Thinktanks Climate Analytics, sieht die Strategie positiv: "Es geht voran in der EU. Die neue Strategie der EU-Kommission für 2050 kam unerwartet." Außerdem merke die EU mehr und mehr, dass sie international abgehängt werde, wenn sie bei der Elektromobilität nicht mithalten könne. Deshalb seien die Climate-Action-Tracker-Forderungen vielleicht gar nicht so unrealistisch.
Alle Beiträge zur Klimakonferenz COP 24 in Polen finden Sie in unserem Katowice-Dossier