Mit deutlicher Mehrheit hat das Europäische Parlament am Donnerstagmittag in Straßburg den Klimanotstand ausgerufen. Von den anwesenden Mitgliedern stimmten 429 für den gemeinsamen Antrag von Grünen, Liberalen, Linken und Sozialdemokraten. 225 Abgeordnete stimmten dagegen, 19 enthielten sich.
"Das Europäische Parlament hat gerade einen ehrgeizigen Standpunkt im Hinblick auf die bevorstehende COP 25 in Madrid angenommen", sagte der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin von der liberalen Fraktion, mit Blick auf die am Montag beginnende 25. UN-Klimakonferenz.
Erst mal ist es ein symbolischer Akt. Gesetzesinitiativen obliegen in der EU der Europäischem Kommission, nicht dem Parlament. Deshalb ist die Resolution vor allem als Aufforderung an die neue EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen zu verstehen.
Ausrichtung am 1,5-Grad-Ziel
Konkret soll von der Leyens Kommission jetzt die Erhöhung des EU-Klimaziels anstoßen. Statt im Jahr 2030 nur 40 Prozent weniger Treibhausgase als 1990 zu emittieren, müsse der Staatenbund auf minus 55 Prozent kommen, heißt es in der Erklärung des Parlaments. "Angesichts der Klima- und Umweltkrise ist das unerlässlich", sagte Canfin.
Darüber hinaus soll die Kommission ihre gesamte Politik an dem globalen Ziel ausrichten, die Erhitzung der Erde auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Das wäre ein eindrucksvoller Schritt, denn das Hauptziel im Pariser Klimaabkommen ist das Zwei-Grad-Ziel. Die 1,5 Grad stehen als nachrangiges Ziel daneben.
Seit dem Beschluss von Paris im Jahr 2015 hat sich allerdings der wissenschaftliche Sachstand geändert: Schon jenseits der 1,5 Grad drohen unkontrollierbare Folgen des Klimawandels. Die am stärksten betroffenen Staaten haben das schärfere Ziel deshalb längst zum Maßstab gemacht, ebenso wie große Teile der Klimabewegung.
Die europäischen Abgeordneten fordern außerdem, dass die EU und ihre Mitgliedsstaaten mehr Geld für Klimaschutz und Anpassung in armen Ländern zur Verfügung stellen – und auch die Luft- und Schifffahrt zum Klimaschutz verpflichten. Der Klimaschutz beider Branchen liegt bisher vor allem in den Händen der internationalen Branchenorganisationen, also der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO und der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation IMO – in beiden Fällen mit sehr bescheidenen Ergebnissen.
Wird die EU Vorreiterin in Madrid?
Für die kommenden zwei Wochen haben die Abgeordneten der Europäischen Union mit einer weiteren Resolution einen ganz konkreten Auftrag gegeben: Auf dem Weltklimagipfel COP 25 in Madrid soll die EU endlich ankündigen, dass sie spätestens 2050 klimaneutral sein will.
Das offensichtliche Kalkül: Ein solches Versprechen der EU als einem der großen Player könnte den Prozess ins Rollen bringen, in dem die Staaten ihre Klimaziele freiwillig hochschrauben, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreichen zu können.
Die Deadline für aktualisierte Klimaziele ist 2020 – allerdings wird es wohl dauern, bis die fast 200 Staaten sich bewegt haben. UN-Generalsekretär António Guterres hatte im September extra einen Sondergipfel einberufen, um Zugpferde unter den Staaten herauszustellen – nur fand er keine. (Lesen Sie dazu den Gastbeitrag von Guterres auf Klimareporter°.)
Klimaneutralität im Jahr 2050 gilt als politisches Mindestmaß für ein ausreichendes Klimaziel, auch wenn sich durch Neuberechnungen des globalen CO2-Budgets in den vergangenen Monaten herauskristallisiert hat, dass das wahrscheinlich nicht reicht.
Die EU-Kommission hat das 2050er-Ziel bereits vorgeschlagen, bisher ist die Festschreibung aber am Widerstand von Polen, Ungarn und Tschechien im Europäischen Rat gescheitert. Das Gremium der Staats- und Regierungschefs tagt das nächste Mal am 12. und 13. Dezember, bei planmäßigem Ablauf an den letzten zwei Tagen der Klimakonferenz. Ganz knapp könnte die EU einen Beschluss also noch in Madrid bekannt geben.