"Greenwashing" – "Klima-Fake" – "Nachhaltigkeits-Lüge" – so lauteten die Schlagzeilen. Die "Kompensation" von CO2-Emissionen – genutzt von Privatleuten zum Ausgleich ihrer Klimasünden, aber auch von Unternehmen, um ihre Produkte von Mineralwasser über Babynahrung bis Benzin als "klimaneutral" auszuweisen – hatte in den letzten zwei Jahren eine schlechte Presse.

Mehrere Rechercheteams wiesen nach: Mit dem behaupteten "CO2-Ausgleich" durch den Kauf von Zertifikaten, die etwa durch Waldschutzprojekte im globalen Süden generiert wurden, war es nicht weit her.

 

Bekanntester Fall: Die Zeit, der Guardian und die Investigativ-Plattform Source Material berichteten Anfang 2023, die Kompensation vieler internationaler Unternehmen basiere auf CO2-Zertifikaten, die gar keinen oder nur geringen Wert hätten.

Eine neue Nachricht dazu kam vergangene Woche in die Medien. Über 100 Erdgas-Versorger sollen in den vergangenen Jahren CO2-Gutschriften aus Klimaschutzprojekten verwendet haben, die nicht nachweisen konnten, ob tatsächlich Emissionen eingespart wurden – so die Meldung des Netzwerks Correctiv.

Die Mehrheit hat schon mal Emissionen kompensiert

Das Image des "Kompensierens", sollte man meinen, ist im Keller. Eine aktuelle Umfrage zeigt nun allerdings, dass der CO2-Ausgleich von vielen Deutschen grundsätzlich positiv gesehen wird.

Immerhin 60 Prozent gaben an, ihre Treibhausgas-Emissionen bereits einmal kompensiert zu haben, nur 20 Prozent verzichteten bewusst darauf. Zudem bekundeten 70 Prozent der Befragten, in Zukunft mehr als bisher kompensieren zu wollen.

Dahinter stehe vor allem der Wunsch, "bewusster und verantwortungsvoller zu konsumieren", so das Nürnberger Institut für Marktentscheidungen (NIM), das die Umfrage aus eigenen Mitteln im Rahmen eines Forschungsprojekts durchführte, also nicht für einen Auftraggeber etwa aus der Industrie. Nur jeder Zehnte gab an, hier nicht mehr tun zu wollen.

Der Co-Autor der NIM-Auswertung, Michael Zürn, schließt daraus, "dass CO2-Kompensationen allen Diskussionen zum Trotz in der Bevölkerung hohe Akzeptanz genießen und dass das Potenzial wohl noch nicht ausgeschöpft ist". Die Zahlen zeigten, "wie groß der Hebel für den Klimaschutz sein könnte, wenn man die damit generierten Gelder effektiv einsetzt".

Über die Sinnhaftigkeit dieses Klimaschutz-Instruments wird freilich debattiert, seitdem es existiert. Der Ökonomieprofessor Franz Josef Radermacher zum Beispiel setzt große Hoffnungen ins Kompensieren, er erhofft sich bei breiter Nutzung sogar einen "Milliarden-Joker", mit dem die Klimaschutz-Lücke der Industrieländer geschlossen werden könne.

110 Euro CO2-Ausgleich für Flug nach New York und zurück

Andere sehen darin eher einen Ablasshandel, etwa Greta Thunberg. Die schwedische Aktivistin ätzte gegen den "Klimakompensations-Bluff", der eher schade als nütze.

Eingeführt wurde die CO2-Kompensation bereits in den 1990er Jahren und zuerst bei Flugreisen. Doch schon länger können Privatleute oder Unternehmen bei Anbietern wie Atmosfair, Klima-Kollekte oder Myclimate auch Aktivitäten wie Autofahren, Fleischkonsum oder Veranstaltungen durch Zahlung eines entsprechenden Obolus – ermittelt von einem Online-CO2-Rechner – "klimaneutral" stellen.

Das eingesammelte Geld wird meist genutzt, um Klimaschutzprojekte in Ländern des globalen Südens zu finanzieren, die CO2-Emissionen vermeiden oder sie speichern – etwa den Bau von Erneuerbare-Energien-Anlagen oder Aufforstung.

Eine Flugreise von Frankfurt am Main nach New York und zurück zum Beispiel kostet, wie man beim Marktführer Atmosfair ermitteln kann, 110 Euro CO2-Ausgleich. Ein Jahr Autofahren mit einem Mittelklasse-Pkw und 12.000 Kilometern Fahrleistung schlägt mit 50 Euro zu Buche.

Inflationär genutzt wurde das Instrument in den letzten Jahren dann aber auch von zahlreichen Unternehmen, um ihre Produkte quasi "grün" anzustreichen – oft unter Nutzung dubioser Zertifikate, wie man jetzt weiß.

Neue EU-Richtlinie soll Greenwashing stoppen

Wie sich das Kompensieren weiter entwickelt, dürfte nicht unwesentlich von der EU-Gesetzgebung abhängen, die mit einer "Richtlinie über umweltbezogene Angaben" gegen Greenwashing in Werbeaussagen vorgehen will. Sie soll Verbraucherinnen und Verbraucher vor Falschinformationen schützen, nachdem eine Untersuchung der Europäischen Kommission gezeigt hatte, dass über die Hälfte der umweltbezogenen Angaben von Unternehmen in der EU vage oder irreführend und 40 Prozent nicht nachvollziehbar unbegründet sind.

Gemäß der neuen Richtlinie müssen Firmen ihre Umweltversprechen nun eindeutig belegen. Zudem gilt: Unternehmen dürfen nur noch mit CO2-Kompensation werben, wenn sie ihre Emissionen so weit wie möglich reduziert haben und den CO2-Ausgleich nur für die verbleibenden Emissionen nutzen.

Das Europäische Parlament hat den von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen mit leichten Änderungen zugestimmt, die EU-Länder dürften sie ebenfalls absegnen.

Die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini, die den zuständigen EU-Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz leitet, begrüßte die neuen Regeln: "Besonders freue ich mich, dass Aussagen wie 'klimaneutral' oder 'klimapositiv' komplett vom Markt verbannt werden, die auf CO2-Ausgleich basieren."

Investitionen von Unternehmen in Klimaschutzprojekte seien willkommen und könnten nach wie vor "natürlich auch kommuniziert werden", so Cavazzini. Nur dürfe eben "nicht mehr der Anschein entstehen, dass das Baumpflanzen im Regenwald die industrielle Produktion eines Autos, die Organisation einer Fußballweltmeisterschaft oder die Herstellung von Kosmetika selbst klimaneutral macht." Mit dieser Irreführung sei jetzt Schluss.

Für jeden Zweiten ist Kompensation "der falsche Weg" 

Bei Anbietern wie dem deutschen Kompensations-Marktführer Atmosfair treffen die EU-Pläne auf ungeteilte Zustimmung. "Es ist gut, wenn die Richtlinie endlich kommt", sagt Atmosfair-Chef Dietrich Brockhagen gegenüber Klimareporter°.

Viele hätten Schindluder mit wertlosen CO2-Zertifikaten getrieben und so auch die seriösen Anbieter "mit heruntergezogen". So hätten sich bereits Unternehmen aus der Kompensation zurückgezogen, weil sie befürchteten, sich damit Greenwashing-Vorwürfe einzuhandeln. "Klare EU-Regelungen können das Vertrauen wiederherstellen", meint Brockhagen.

Tatsächlich ist fehlendes Vertrauen in die Kompensationsanbieter respektive die von ihnen genutzten Klimaprojekte laut der NIM-Umfrage ein häufig genannter Grund, warum Privatleute derzeit nicht mehr Geld in den CO2-Ausgleich stecken. Immerhin 41 Prozent unterschreiben das. Die Berichte über den Schwindel mit CO2-Zertifikaten dürften hier also durchaus gewirkt haben.

 

Noch mehr Leute, nämlich mit 48 Prozent fast die Hälfte, haben aber auch grundsätzliche Einwände. Sie meinen, Kompensation sei "der falsche Weg". Sie versuchen nach eigenen Angaben, selbst verursachte CO2-Emissionen so weit wie möglich zu vermeiden, und erwarten von Herstellern und Händlern, dass sie die Emissionen zumindest reduzieren.

Für sie wäre wohl die Einschätzung des Umweltbundesamtes hilfreich. Die Behörde hält den CO2-Ausgleich nämlich "unter bestimmten Bedingungen" durchaus für sinnvoll. Dazu zählt: Man solle Maßnahmen zur CO2-Einsparung Vorrang geben und nur "unvermeidbare" Emissionen kompensieren.

Außerdem müsse darauf geachtet werden, dass die Qualität der mit dem eingesammelten Geld finanzierten Projekte hoch ist. Hierfür gibt es entsprechende Siegel, etwa den "Gold Standard", den die Umweltstiftung WWF vergibt.