Satellitenaufnahme von brennendem Regenwald
Satelliten wie Landsat 8 dokumentieren immer häufiger Brände im südlichen Amazonasgebiet. (Foto: NASA)

Auf der Klimakonferenz diesen Monat in Glasgow gab Brasilien den Waldschützer. Bis 2028 solle die illegale Abholzung im Amazonas-Gebiet beendet werden, ließ Präsident Jair Bolsonaro verkünden. Umwelt- und Klimaschützer bezeichneten das als Greenwashing – ein leeres Versprechen, um das Image der Regierung in Brasilia aufzupolieren.

Neue Zahlen zur Waldvernichtung im brasilianischen Teil des Amazonas-Regenwaldes geben ihnen recht. Danach sind in den zwölf Monaten zwischen August 2020 und Juli 2021 mehr als 13.000 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt oder abgebrannt worden. Das ist ein neuer Rekord in Bolsonaros Amtszeit.

Wie das brasilianische Weltraumforschungsinstitut Inpe jetzt mitgeteilt hat, ist die vernichtete Fläche gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 22 Prozent angewachsen. Sie ist damit fast so groß wie Schleswig-Holstein.

Mit Bolsonaros Amtsantritt Anfang 2019 hatte die vorher gebremste Waldvernichtung wieder zugenommen. Im ersten Jahr danach hatte Inpe rund 10.000 Quadratkilometer gemeldet, seither steigen die Zahlen.

Der rechtsgerichtete Präsident hatte schon im Wahlkampf 2018 angekündigt, das Amazonas-Gebiet solle stärker wirtschaftlich erschlossen werden. Er öffnete dann Schutzgebiete zunehmend für die Landwirtschaft und den Bergbau. Finanzmittel und Personalausstattung von Schutzbehörden wurden gekürzt. Straftaten wurden kaum noch verfolgt.

Die Amazonas-Region beherbergt den größten Regenwald der Erde, allein der brasilianische Anteil daran entspricht etwa der Größe Westeuropas. Er speichert enorme Mengen Kohlenstoff, gilt als "Regenmaschine" für Südamerika und ist ein Hort der Artenvielfalt.

Die Waldvernichtung nahm in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark Fahrt auf, am schlimmsten war sie in den 1990er Jahren. Bereits rund 20 Prozent der Gesamtfläche dieses Lebensraums sind inzwischen verloren. In den letzten beiden Jahrzehnten nahm die Zerstörung tendenziell ab und stagnierte zuletzt bei etwa 6.500 Quadratkilometern pro Jahr. Unter Bolsonaro ist jetzt wieder der Stand von vor 15 Jahren erreicht.

Regierung hielt Zahlen offenbar zurück

Interessant: Die Inpe-Meldung zum aktuellen Waldverlust ist auf den 27. Oktober datiert, sie wurde aber erst jetzt veröffentlicht. Sie hätte also vor dem Glasgow-Gipfel herausgegeben werden können, der am 31. Oktober begann. Offenbar wurde sie von Bolsonaros Regierung bewusst zurückgehalten. Brasilien beteiligte sich in Glasgow an einem Abkommen, laut dem die Waldvernichtung weltweit bis 2030 gestoppt werden soll.

Brasiliens Umweltminister Joaquim Leite sagte nun, die neuen Zahlen seien eine "Herausforderung", und kündigte an, die Regierung werde gegen illegale Aktivitäten im Amazonas-Regenwald vorgehen.

Umweltschützer schenken dem wenig Glauben. Der Chef der Umweltorganisation WWF in dem Land, Mauricio Voivodic, sagte, tatsächlich treibe die Administration die Waldvernichtung weiter voran. Werde der Negativtrend nicht gestoppt, werde der Regenwald bald so stark geschädigt sein, dass er sich nicht mehr erholen könne.

Regenmaschine

Regenwälder produzieren normalerweise ihre eigenen Niederschläge. Wasser in den Böden und auf den Blättern wird zu Wasserdampf, wenn sich die Luft im Laufe des Tages erwärmt. Die feuchte Luft steigt in die Atmosphäre auf und bildet dort Wolken, die gegen Abend dort wieder abregnen, was einen Wasser-Kreislauf ergibt.

Die Wolken können aber auch in entferntere Regionen transportiert werden. Man spricht dann von "fliegenden Flüssen", eine Bezeichnung, die auf den Klimaforscher Antonio Donato Nobre zurückgeht. Wind treibt die Wolken in andere Gebiete Brasiliens und umgebender Länder, was die Regionen dort fruchtbar macht. Wo zu viel Regenwald vernichtet worden ist, funktionieren diese Mechanismen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr.

Tatsächlich steht der Amazonas-Wald nach der Einschätzung von Expert:innen an einem Kipppunkt. Weiteres Abholzen und Abbrennen könnte dazu führen, dass die Vegetation nicht mehr genug Feuchtigkeit speichert, um Niederschläge generieren zu können. Letzten Endes droht aus dem Regenwald eine Savanne zu werden.

Fachleute befürchten, dass die Folgen der Waldvernichtung bereits heute zu spüren sind. Teile Südamerikas, darunter auch Brasilien, leiden derzeit unter einer der schwersten Dürren seit fast 100 Jahren. Als einer der Gründe wird vermutet, dass die "fliegende Flüsse" genannten feuchten Luftströme ausbleiben, die sich üblicherweise über dem Regenwald bilden und teils über entfernten Regionen abregnen.

Eine Umkehr in der Amazonas-Politik verspricht Brasiliens linksgerichteter Ex-Präsident Luiz Inacio Lula da Silva, der im kommenden Jahr wieder zur Wahl antreten will. Er hat eine internationale Initiative gegen die Waldvernichtung vorgeschlagen und auch den designierten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu eingeladen.

"Die Amazonas-Region ist entscheidend, wenn es um die Erhaltung der Lebensqualität auf dem Planeten geht", sagte Lula dem Berliner Tagesspiegel

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