Entwaldeter Amazonas vom All aus gesehen
"Der Regenwald im Amazonasbecken, oder zumindest das, was davon übrig ist, erzeugt einen Großteil des Sauerstoffs, den wir alle atmen. Vor ein paar Jahrzehnten wären diese Fotos noch dunkelgrün gewesen", kommentierte Alexander Gerst die Aufnahme, die er im Juli 2018 aus dem All gemacht hat. (Foto: Alexander Gerst/​ESA/​Flickr)

Brasiliens Weltraumforschungsinstitut Inpe hat in dieser Woche neue Zahlen zur Abholzung im Amazonas-Regenwald vorgelegt. Die staatliche Behörde überwacht seit 30 Jahren per Satellit, wie viel Fläche im größten Regenwald der Welt durch Rodungen verloren geht.

Die Daten für den Monat Juni, die Inpe nun ausgewertet und bekannt gegeben hat, sind astronomisch. Nachdem die Entwaldung im letzten Jahrzehnt einigermaßen eingedämmt werden konnte, steigt sie inzwischen wieder massiv an.

Insgesamt ist im Juni demnach eine Fläche von 2.072 Quadratkilometern durch Entwaldung und Degradation zerstört worden. Die abgeholzte Fläche allein umfasst 920 Quadratkilometer und ist damit größer als Berlin.

Bezogen auf die Rodungen ist das ein Anstieg um sage und schreibe 88 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Damals, im Juni 2018, waren 488 Quadratkilometer entwaldet worden.

Zwar ist es normal, dass die Entwaldungsrate im Verlauf eines Jahres erheblich schwankt. In der Regenzeit von Oktober bis März geht sie üblicherweise stark zurück und steigt mit Beginn der Trockenzeit ab April rapide an (siehe Grafik).

Balkengraphik der Entwaldungsrate im brasilianischen Amazonas-Regenwald
Monatliche Entwaldung im brasilianischen Amazonas-Regenwald seit August 2015 in Quadratkilometern, ermittelt nach dem strengeren Deter-System. (Grafik: INPE/​DETER/​Terra Brasilis)

Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass die Entwaldung im Juni angestiegen ist. Ungewöhnlich ist jedoch die Höhe des Anstiegs. Zuletzt hatte Inpe im August 2016 einen noch höheren Wert gemessen, nämlich gut 1.000 Quadratkilometer abgeholzte Fläche.

Auch der Jahresvergleich zeigt einen Anstieg. Für den Zeitraum von August 2018 bis Juni 2019 hat die Behörde eine Entwaldung von 4.570 Quadratkilometern registriert. Das liegt rund 15 Prozent über dem Wert desselben Zeitraums ein Jahr zuvor. Damals waren es erst 3.975 Quadratkilometer.

Und für die letzten drei Monate – also April, Mai, Juni 2019 – protokolliert Inpe bereits einen Anstieg von knapp 25 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum.

Nicht alle abgeholzten Flächen werden mitgerechnet

Allerdings sind alle diese Zahlen mit Skepsis zu betrachten. Die reale Entwaldung ist mit großer Sicherheit sehr viel höher. Denn Brasiliens Raumfahrtbehörde rechnet keineswegs alle abgeholzten Flächen in ihre Daten ein.

Für die monatliche Auswertung der Entwaldung nutzt Inpe das System Deter. Das Kurzwort steht für "Echtzeit-Erfassungssystem für Entwaldung". Hierbei werden alle abgeholzten Flächen mitgezählt, die größer als drei Hektar sind. Die bislang im Text genannten Entwaldungszahlen stammen von dort. Ein Quadratkilometer sind 100 Hektar.

Für die offizielle Jahres-Statistik der Entwaldung wird hingegen ein anderes System genutzt. Es heißt Prodes, abgekürzt für "Programm zur Sanierung der Wasserressourcen". 

Hier werden lediglich die abgeholzten Flächen gezählt, die größer als 6,25 Hektar sind – das entspricht etwa neun Fußballfeldern.

Die Entscheidung, Abholzung erst ab einem Schwellenwert von 6,25 Hektar als Abholzung zu zählen, führt zu einem verzerrten Bild der realen Lage. Die offizielle Statistik von Prodes gibt somit regelmäßig einen zu niedrigen Entwaldungswert an.

Der Schwellenwert lädt zudem zu Tricksereien ein. Wer Wald abholzt, muss nur alle paar Hundert Meter einige Bäume stehen lassen – schon wird die gerodete Fläche nicht mehr als gerodet gezählt.

Dabei hat Inpe das System Deter mit seinem strengeren Drei-Hektar-Schwellenwert im Jahr 2004 aufgebaut, um das Abholzen des Regenwalds schwerer zu machen. Damals hatte die Waldzerstörung ein unvorstellbares Ausmaß angenommen. Sie lag bei 27.772 Quadratkilometern.

Beliebter Vergleich mit dem Extremwert von 2004

Seitdem Brasiliens Weltraumforschungsinstitut 1988 begonnen hat, die Rodungen im Regenwald per Satellit zu überwachen, lag die Abholzung nur 1995 noch höher – bei 29.000 Quadratkilometern.

Der Extremwert von 2004 wird von Brasiliens Behörden denn auch stets als Referenzwert genannt – um zu zeigen, wie groß die Fortschritte beim Waldschutz doch mittlerweile seien. Selbst bei steigenden Entwaldungsraten wird jeweils noch erwähnt, dass im Vergleich zu 2004 eine sehr stattliche Reduktion gelungen ist.

So auch in der Jahresstatistik für 2018, die Inpe in der vergangenen Woche vorgelegt hat. Sie weist – nach dem Prodes-System – einen Anstieg der Entwaldung um 8,5 Prozent gegenüber 2017 aus. Und zugleich einen Rückgang um stolze 73 Prozent gegenüber 2004.

Deter soll mit seinem feinmaschigeren Raster als Frühwarnsystem dienen. Vor allem lokale Behörden sollen so zeitnah Hinweise an die Hand bekommen, wo und in welchem Ausmaß Wald abgeholzt wird – um dagegen vorgehen zu können und Strafen zu verhängen, falls das Abholzen illegal war.

Da Extremwerte wie 2004 in den vergangenen Jahren bei Weitem nicht mehr erreicht wurden, scheint dieses Monitoringsystem gut funktioniert zu haben. Die Entwaldung ging zurück.

Nun gibt es Anzeichen, dass sich dies ändern könnte. Seitdem Jair Bolsonaro Präsident ist, hat das brasilianische Umweltamt Ibama deutlich weniger Bußgelder wegen illegaler Entwaldung verhängt als in den Jahren zuvor.

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