Ein Streifen Kunstschnee zieht sich über den ansonsten schneefreien Hang in Savognin im schweizerischen Kanton Graubünden.
Ein schmaler Strich Kunstschnee im Gebirge. Mehr ist bei diesen Temperaturen in den meisten alpinen Skigebieten nicht drin. (Foto: Lino Schmid/​Wikimedia Commons)

Aberglaube hat im Journalismus nichts verloren. Ein Jahreswechsel, der von einer solchen Fülle an Wetterrekorden begleitet wird, hat trotzdem eine gewisse Symbolik.

In ganz Europa berichten Wetterdienste von Hitzerekorden am 31. Dezember und 1. Januar. Auch in Deutschland verabschiedet sich das Jahr 2022 mit dem wärmsten Silvester seit Beginn der Wetteraufzeichnung 1882.

In vier Orten in Süddeutschland stiegen die Temperaturen am 31. Dezember auf über 20 Grad. Mit 20,8 Grad maß eine Wetterstation im oberbayerischen Wielenbach den höchsten Wert.

"Das sind Temperaturen, die man im April oder Mai erwartet", sagt Florian Imbery, Klimatologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Der bisherige Höchstwert wurde laut DWD mit 16,9 Grad 1961 im badischen Müllheim gemessen.

Besonders bemerkenswert habe er die Tagesminimalwerte gefunden, so Imbery. Etwa in Bad Neuenahr-Ahrweiler im Rheinland, wo die Temperatur an Silvester nie unter 15,3 Grad gesunken ist. Solche Minimalwerte, erklärt Imbery, wären selbst noch für Mai ungewöhnlich.

Nicht nur in Deutschland endete das Jahr mit sommerlichen Temperaturen, die die bisherigen Neujahrsrekorde überflügeln. Der schottische Meteorologe Scott Duncan berichtete etwa, dass Warschau mit 18,9 Grad um mehr als fünf Grad wärmer war als jemals zuvor an einem Januartag.

Neujahrsrekorde gab es auch in Liechtenstein, Dänemark, Lettland, Litauen, Belarus, Tschechien, Polen und den Niederlanden. Insgesamt waren es laut Duncan tausende Wetterstationen über ganz Europa, an denen Rekordtemperaturen gemessen wurden.

Warme Meere schuld an Rekord-Silvester

In den Alpen laufen die wasser- und energieintensiven Schneekanonen auf Hochtouren, um den Skitourist:innen zumindest einen schmalen Streifen Schnee bieten zu können.

Ein ausgeprägtes Tiefdruckgebiet über Großbritannien und Skandinavien führte dazu, dass warme subtropische Luftmassen bis weit in den Norden Europas wanderten. Zudem sind die hohen Temperaturen in den Meeren, vor allem dem Mittelmeer und dem Atlantik, für die warme Luft verantwortlich.

Gewöhnlich kühlen sich im Winter die Luftmassen aus dem Süden bei ihrer Wanderung über das Meer ab. Wegen des ungewöhnlich warmen Sommers sind die Ozeane allerdings immer noch aufgeheizt und die tropische Luft kann ohne viel Wärmeverlust nach Europa gelangen.

Inwiefern der Klimawandel seine Finger im Spiel hatte, ist bei einzelnen Wetterphänomenen immer schwer unmittelbar danach zu sagen. Mit der Feststellung, dass die hohen Meerestemperaturen nicht unabhängig von der Erderwärmung zu betrachten sind, lehnt man sich aber wohl nicht zu weit aus dem Fenster.

"Ganz allgemein gesprochen: Jedes Extremereignis wird durch den Klimawandel wahrscheinlicher", erklärt Florian Imbery. "Das gilt für extrem warmes sowie extrem kaltes Wetter."

Bilder wie aus Hollywood

Auf der anderen Seite des Atlantiks kämpften die Menschen zwischen Weihnachten und Neujahr mit Letzterem. Der Einbruch polarer Luftmassen bis nach Florida führte in weiten Teilen der USA und Kanadas zu Bildern, die an den Endzeitfilm "The Day After Tomorrow" erinnerten.

Das Sturmtief "Elliott" sorgte für heftige Schneefälle und orkanartige Winde. Vielerorts wurden neue Tiefsttemperaturen erreicht. In Teilen der USA sanken die Temperaturen auf minus 45 Grad.

US-Medien berichten von weit über 60 Toten und zeitweise über 1,6 Millionen Haushalten ohne Strom. Welche Rolle der Klimawandel beim Wintersturm in Nordamerika gespielt hat, lässt sich auch hier so früh noch nicht bestimmen.

Mit sommerlichen Wintertagen in Europa und arktischen Verhältnissen in Nordamerika geht ein von Extremen geprägtes Jahr zu Ende.

2022 war in Deutschland das sonnenreichste Jahr seit 1951 und eines der trockensten Jahre. Es war möglicherweise sogar das wärmste Jahr seit Messbeginn. Allerdings wissen wir erst nach Auswertung aller Stationsdaten, ob es das Jahr 2018 überholt hat.

Was wird 2023 bringen? Hoffentlich weniger Rekorde.

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