Entwarnung beim weltweiten Plastik-Problem? Laut einer neuen niederländischen Studie gelangt deutlich weniger Kunststoffmüll in die Weltmeere als bislang angenommen. Doch die Erleichterung darüber ist begrenzt.
Denn gleichzeitig ermittelte das Forschungsteam, dass sich deutlich mehr Plastik in den Ozeanen befindet als angenommen. Daraus folgt: Der Müll verbleibt länger im Wasser als bisherige Schätzungen vermuten ließen.
Auf den Weltmeeren haben sich bekanntlich in den vergangenen Jahrzehnten fünf riesige Plastikmüll-Strudel gebildet. Der größte davon ist der Great Pacific Garbage Patch im Pazifischen Ozean zwischen Kalifornien und Hawaii mit einer Fläche von rund 1,6 Millionen Quadratkilometern, womit er viereinhalbmal so groß wie Deutschland ist.
Laut einer Studie des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) aus dem Jahr 2020 gelangen pro Jahr 19 bis 23 Millionen Tonnen Plastikmüll in Meere, Seen und Flüsse, während eine weitere niederländische Studie von 2021 die Plastikeinträge allein von Flüssen in Meere mit jährlich 800.000 bis 2,7 Millionen Tonnen beziffert.
Große Datenmenge erstmals ausgewertet
Der neuen Analyse zufolge landen pro Jahr tatsächlich "nur" 500.000 Tonnen Plastikmüll in den Ozeanen. Knapp die Hälfte davon stammt danach aus der Fischerei, rund 40 Prozent gelangten über Küsten in die Meere, der Rest über Flüsse.
Neu ist, dass die Studie mit sehr vielen, nämlich 20.000 Messwerten von der Meeresoberfläche, Stränden und der Tiefsee arbeitet. Auch wird genau beschrieben, was mit den Plastikpartikeln in den Meeren geschieht, darunter der Zerfall in immer kleinere Partikel, das Absinken von der Oberfläche zum Meeresboden oder das Anspülen an Stränden. Die Untersuchung umfasst die Jahre 1980 bis 2020.
Das Forschungsteam kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die akkumulierte Plastikmenge in den Ozeanen mit 3,2 Millionen Tonnen viel größer als bislang angenommen ist und von großen Plastikpartikeln dominiert wird. Rund 60 Prozent davon, etwa zwei Millionen Tonnen, schwimmen danach an der Wasseroberfläche – ein Vielfaches früherer Schätzungen von etwa 300.000 Tonnen.
Allerdings wurden bei dieser Kalkulation nur Kunststoffsorten berücksichtigt, die zumindest anfänglich schwimmen, und nicht solche, die schwerer als Meerwasser sind und gleich absinken. Ebenfalls nicht mitgerechnet wurde Plastik, das bereits abgesunken und in den Sedimenten am Meeresboden abgelagert ist.
Das Forschungsteam um Mikael Kaandorp von der Universität Utrecht zieht aus der Studie den Schluss, dass die Plastikmenge im Meer nur sehr langsam weniger werden würde, selbst wenn es gelänge, den Nachschub sofort zu stoppen. Die Studie ist am heutigen Mittwoch im Fachjournal Nature Geoscience erschienen.
Noch nicht alle Plastiksorten berücksichtigt
Andere Stimmen aus der Meeresforschung loben, dass die neue Studie stärker als frühere auf empirischen Daten basiere. Sie bringe "eine gute weitere Annäherung" an die tatsächlichen Verhältnisse in den Ozeanen, kommentiert Melanie Bergmann, Meeresökologin vom AWI in Bremerhaven.
Sie moniert allerdings, dass Kunststoffarten wie PVC und PET ausgeklammert wurden, die schwerer als Meerwasser sind. Diese machten einer Schätzung zufolge rund die Hälfte von Plastik in kommunalen Abfällen aus. Dieses Manko könne aber in künftigen Untersuchungen beseitigt werden.
Skeptisch zeigte sich die AWI-Expertin in Bezug auf Plastikmüll-Beseitigungsaktionen wie "The Ocean Cleanup", das 2013 von dem Niederländer Boyan Slat gestartet wurde. "Nach wie vor gilt, dass wir den Hahn zudrehen müssen, bevor wir aufwendig und teuer Plastik aus dem Meer fischen", sagte sie.
In erster Linie müsse die weiter wachsende Plastikproduktion verringert und der Rest so verbessert werden, dass weniger und gesundheitlich unbedenkliche Chemikalien eingesetzt werden.
Ein Versuch, die vorhandenen Plastikmengen in den Ozeanen mit den derzeit erprobten Cleanup-Systemen spürbar zu verringern, werde hohe CO2-Emissionen verursachen und viele der dabei mitgefangenen Tiere töten. Anders sei es, wenn zum Beispiel Segelschiffe genutzt würden, um etwa in den Ozeanen schwimmende Geisternetze selektiv zu entfernen.