Windradbaustelle: Der bereits zusammengesetzte Rotor hängen am Kran.
Die Wirtschaft grün statt fossil anzukurbeln fordern nun auch große Konzerne und Investoren. (Foto: Tim Siegert/​Batcam/​Shutterstock)

Corona schafft eine paradoxe Situation. Seitdem die Pandemie die ganze Welt in den Lockdown zwingt, ist die Menschheit unfreiwillig und rigoros zur Klimaschützerin geworden, wie es bis vor Kurzem noch unvorstellbar war. Weil viel weniger geflogen, gefahren, gereist oder sonstwie Energie verbraucht wird, sinkt entsprechend auch der weltweite CO2-Ausstoß.

Nach einer Prognose der Internationalen Energieagentur IEA von Ende April werden die Treibhausgasemissionen, die durch das Verbrennen von Kohle, Öl und Gas verursacht werden, in diesem Jahr 2,6 Milliarden Tonnen geringer ausfallen als noch 2019.

Das wäre ein Minus von knapp acht Prozent – obwohl die meisten Kraftwerke und energieintensiven Betriebe weiterlaufen. Der globale CO2-Ausstoß würde damit auf den niedrigsten Stand seit zehn Jahren sinken.

Der Rückgang könnte sogar noch drastischer ausfallen, wenn es im Herbst und Winter zu weiteren Infektionswellen kommen sollte, die neuerliche Lockdowns erforderlich machen. Nach derzeitigem Kenntnisstand ist das kein völlig abwegiges Szenario.

Doch auf der anderen Seite hat die Coronakrise die Klimakrise fast vollständig in den Hintergrund gedrängt. Die Aufmerksamkeit gilt derzeit dem Virus, nicht dem Klima. Ist der Klimaschutz damit abgeschrieben?

Viele Wirtschafts- und Industrievertreter haben bereits Briefe an Wirtschaftsminister Peter Altmaier und nach Brüssel geschrieben, mit der Forderung, dass Klimavorgaben ausgesetzt, aufgeweicht oder "zeitlich gestreckt" werden – von den strengeren CO2-Grenzwerten für Pkw bis zur Verschärfung der EU-Klimaziele für 2030.

Zuerst müsse die Wirtschaft wieder in Schwung kommen, fordern sie, bevor man wieder an Klimaschutz denken könne. Weitere oder auch schon beschlossene Vorgaben seien da hinderlich und dürften, wenn überhaupt, erst später kommen.

Ähnlich lief es schon bei der Finanzkrise 2008. Die Bremser setzten sich damals durch. In Deutschland gab es eine Abwrackprämie, die auch heute wieder gefordert wird. Die globalen CO2-Emissionen sanken im Krisenjahr um 1,4 Prozent, schossen aber im Folgejahr wieder um mehr als fünf Prozent nach oben. Klimaschutz war tatsächlich nur ein Thema unter ferner liefen.

Stimmen für ein Umsteuern diesmal viel lauter und zahlreicher

Dass es diesmal genauso kommen wird, ist aber keineswegs ausgemacht. Zum einen, weil die Coronakrise eine viel größere Dimension hat. Die Finanzkrise machte die Anfälligkeit einer Branche offenbar. Corona zeigt hingegen die Krisenanfälligkeit der ganzen Welt.

Es kommt nicht von ungefähr, dass seit Ausbruch der Pandemie Begriffe wie "Resilienz" und "Vorsorge" allgegenwärtig sind. Es sind Begriffe, die auch in der Klimadebatte eine zentrale Rolle spielen. Damit lässt sich jetzt leichter argumentieren, dass Klimaschutz sinnvoll ist und im wohlverstandenen Eigeninteresse liegt, um die Risiken der Erderhitzung zu minimieren und damit auch für Gesundheitsschutz zu sorgen.

Zum anderen ist die Zahl jener, die auf Klimaschutz ausgerichtete Konjunkturprogramme fordern, heute sehr viel größer als damals. Und dazu gehören nicht nur die "üblichen Verdächtigen". Nicht allein Umwelt- und Klimaschützer stellen die Forderung, auch Unternehmen, Wirtschaftsinstitute und Finanzkonzerne sind dabei.

Hier eine – nicht vollständige – Liste.

  • Die Energy Transitions Commission, eine internationale Koalition aus Führungskräften der Energie- und Finanzindustrie, fordert Anfang Mai, beim weltweiten Wirtschaftswiederaufbau sieben Prioritäten zu setzen, darunter massive Investitionen in die Erneuerbaren-Branche, in Gebäudesanierung, Nullemissions-Technologien wie grünen Wasserstoff sowie ein weiterer Ausbau der CO2-Bepreisung. Direkte Finanzhilfen für die Autoindustrie sollen an ein Ausstiegsdatum aus der Produktion von Verbrennungsmotoren geknüpft werden, so das Bündnis, dem Vertreter von Allianz, Vattenfall, Iberdrola, dem Flughafen Heathrow und der Zivilgesellschaft angehören.
  • Der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums fordert Anfang Mai in einem 33-seitigen Schreiben an Minister Altmaier, das von der Bundesregierung angekündigte Konjunkturprogramm auf den Klimaschutz auszurichten. Die Auswirkungen des Klimawandels seien im Vergleich zu Covid‑19 "weitaus schwerwiegender und vor allem irreversibel", schreiben die 39 Wissenschaftler:innen. "Darum wäre es fatal, in den Anstrengungen zur Begrenzung des Klimawandels jetzt nachzulassen."
  • Das Bündnis "The Investor Agenda" aus mehr als 400 Großinvestoren, die zusammen 35 Billionen US-Dollar verwalten, wendet sich Anfang Mai mit einem Brief an die G20 und fordert Nachhaltigkeit und ambitionierten Klimaschutz beim Neustart der Wirtschaft. Bereits im vergangenen Jahr haben die Finanzkonzerne die Einführung eines CO2-Preises und das Aus für alle Kohlekraftwerke weltweit gefordert.
  • Die Umweltstiftung WWF Deutschland und die Entwicklungsorganisation Germanwatch veröffentlichen gemeinsam ein Positionspapier mit der Forderung, Konjunkturhilfen an den UN-Nachhaltigkeitszielen und den Pariser Klimazielen auszurichten.
  • Die Bürgerbewegung Finanzwende veröffentlicht einen Appell an Bundeskanzlerin Merkel und die Minister Scholz und Altmaier, Staatshilfen nicht an "Steuertrickser und Klimasünder" zu zahlen.
  • Die Internationale Energieagentur IEA verknüpft ihre Prognose von Ende April zur Entwicklung der globalen CO2-Emissionen in diesem Jahr mit der Forderung, stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. Bereits Mitte März hat IEA-Chef Fatih Birol grüne Programme zur Ankurbelung der Wirtschaft gefordert. Vor allem Investitionen in erneuerbare Energien hätten den "doppelten Effekt, die Wirtschaft zu stimulieren und den Umbau der Energiewirtschaft zu beschleunigen".
  • Beim Petersberger Klimadialog der Bundesregierung Ende April ruft UN-Generalsekretär António Guterres per Videobotschaft die Staaten auf, gerade jetzt mit dem Klimaschutz weiterzumachen und ihre Ziele für das Paris-Abkommen zu erhöhen.
  • Alle 30 Staaten, die an dem informellen Treffen teilnehmen, sprechen sich für höhere Klimaziele und widerstandsfähigere Volkswirtschaften aus.
  • Kanzlerin Angela Merkel bekennt sich in ihrer Videobotschaft zur Konferenz zu einem höheren EU-Klimaziel für 2030 und kündigt an, Deutschland werde jährlich vier Milliarden Euro an Klimahilfen für ärmere Länder bereitstellen. "Wir dürfen nicht am Klimaschutz sparen", sagt sie.
  • Zum Auftakt des Petersberger Klimadialogs veröffentlicht die Stiftung 2 Grad einen Appell an die Politik, die Wirtschaft mit einem Klima-Konjunkturprogramm krisenfester zu machen. Die 68 Unternehmen des Bündnisses fordern "die ambitionierte Ausgestaltung eines Green Deal" und drängen auf die Vorlage "ambitionierter Klimaziele aller Staaten in Übereinstimmung mit dem Pariser Klimaschutzvertrag".
  • In einem offenen Brief an die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde fordern 45 Wirtschaftsinstitute und zivilgesellschaftliche Gruppen Ende April von der EZB, mit ihren Konjunkturprogrammen nicht nur Covid‑19, sondern auch die Klimakrise zu bekämpfen.
  • Über 190 Unternehmen und zivilgesellschaftliche Organisationen fordern in einem offenen Brief an die Bundesregierung eine "wirtschaftliche Wiederbelebung mit einem Klima-Konjunkturpaket", um "uns widerstandsfähiger gegen andere Krisen" zu machen. "Investitionen in eine CO2-arme, nachhaltige Infrastruktur und Klimaschutzlösungen sind zudem ein wirksamer und effektiver Konjunkturmotor", schreiben die Verbände, Organisationen und Unternehmen.
  • Die Initiative German Zero startet Ende April die Kampagne "Klimaversprechen", mit der sie die Bürgerinnen und Bürger auffordert, ihren Bundestagsabgeordneten ein "Corona-Klimaversprechen" abzunehmen: "Kein Geld in die Wiederbelebung der Wirtschaft, ohne Klimaziele zu fördern."
  • 180 Politiker, Unternehmenschefinnen, Manager, Gewerkschaften und Expertinnen aus ganz Europa rufen Mitte April dazu auf, Konjunkturhilfen so auszugestalten, dass Klimaschutz, der Erhalt der Ökosysteme und ein nachhaltigeres Wirtschaftsmodell gestärkt werden. Initiiert hat den Aufruf der Vorsitzende des Umweltausschusses im Europaparlament, Pascal Canfin. Unterzeichnet haben 80 EU-Abgeordnete, Bundesumweltministerin Svenja Schulze und zehn ihrer EU-Amtskollegen sowie Vertreter von Unternehmen wie Eon, L’Oréal, Ikea, Danone, Coca-Cola, H&M, Volvo, Microsoft, Renault.
  • Schulze und 16 weitere EU-Umweltminister:innen fordern Anfang April in einem gemeinsamen Aufruf, dass der Europäische Green Deal bei der Bewältigung der Coronakrise im Mittelpunkt stehen müsse. Investitionen in nachhaltige Mobilität, erneuerbare Energien, Gebäudesanierung, Kreislaufwirtschaft und den Schutz der Artenvielfalt sollten erhöht werden. Abgelehnt werden Krisenreaktionen, die die EU noch auf Jahrzehnte auf ein fossiles Wirtschaftsmodell festlegen würden.

Nachtrag am 14. Mai:

  • Der Umweltverband BUND fordert in einem 16-seitigen Papier grüne Investitionen in eine zukunftsfähige Wirtschaft. Konjunkturprogramme nach dem Motto "die alte, rauchende Maschine wieder anschmeißen" dürfe es nicht geben, heißt es darin.
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