Wer in den vergangenen Tagen den Fernseher einschaltete oder eine Tageszeitung aufschlug, kam nicht an ihm vorbei: Dieter Köhler, ein Lungenarzt im Ruhestand, der seit Jahren die Gesundheitsbelastung durch Stickoxide bestreitet.
Dieter Köhler glaubt, dass die Luftschadstoffe gar keine sind. Er habe noch keinen Patienten gesehen, der an ihnen gestorben sei. Die europaweit festgesetzten Grenzwerte für NO2 hält er deshalb für "Unsinn".
Damit stellt sich Köhler gegen die überwältigende Mehrheit der Umweltmediziner auf der ganzen Welt, die Stickoxide durchaus als gefährliche Lufschadstoffe bewerten und das in etlichen Experimenten nachgewiesen haben.
Bedenklicher als die Thesen von Köhler selbst ist die Reaktion der Medien, die seine Position dankbar aufgreifen und zum Skandal hochkochen. Allen voran Bild. "Lungenarzt hält Diesel-Grenzwerte für Unfug", titelt das Boulevardblatt. Oder: "Feinstaub-Debatte: Werden wir für doof verkauft?" Ein Interview mit Köhler wird sogar mit der Aussage überschrieben: "Das Atmen in Berlin ist absolut unbedenklich."
Die Frage ist da, wer verkauft wen für doof?
Dass die Bild einen krassen Außenseiter zur Frage der Gesundheitsbelastung durch Stickoxide so hochjazzt, wundert keinen. Aber auch in vielen seriösen Tageszeitungen sickert der Zweifel ein, ob es sich in der Debatte um Stickoxide nicht doch um Hysterie handelt. Keine Diskussionsrunde und kein Nachrichtenmagazin, die Köhler nicht einladen – von Hart aber Fair über Anne Will bis zum Heute Journal.
Medien fallen auf Klimaskeptiker rein
Dabei laufen die Medien in die gleiche Falle wie schon in der Auseinandersetzung mit Klimawandelleugnern. Die haben es vor allem in den USA lange Zeit geschafft oder schaffen es bis heute, vermeintliche Experten – bezahlt mit Geldern von konservativen Denkfabriken sowie Öl- und Kohlefirmen –, in die Talkshows zu schicken und dort Zweifel am überwältigenden Konsens der weltweiten Klimaforschung zu säen, was die Existenz des menschengemachten Klimawandels angeht.
Dabei nutzen sie einen Kodex der Medien aus, die sich verpflichten, bei einem Thema immer beide Seiten zu hören. Doch dieser im Grundsatz wichtige Anspruch läuft bei den Pseudoexperten in die Irre, schließlich vertreten die nur eine absolute Minderheitsposition. Eine paritätische Situation spiegelt also keineswegs die Realität wieder.
Aber nicht nur in den USA ist eine unangemessene Wiedergabe der Ansichten von Klimaleugnern gang und gäbe. Im vergangenen Jahr fing sich etwa die britische BBC eine Rüge ein, weil der Sender mehrfach dem Klimaleugner Nigel Lawson eine Bühne geboten hatte, ohne seinen kruden Thesen widersprochen oder zumindest klargemacht zu haben, dass es sich dabei um eine krasse Außenseitermeinung handelt.
Die Frage der Gesundheitsbelastung verkommt zur Glaubensfrage
Beim Thema Stickoxide schnappte auch in Deutschland die Falle nun wieder zu. Etwa bei Anne Will. Die Talkmasterin lud neben Köhler noch den Epidemiologen Heinz-Erich Wichmann ein, der sehr wohl auf die Gesundheitsgefahr durch Stickoxide hinwies, sich allerdings oft verzettelte und seine langen Ausführungen nicht auf den Punkt bringen konnte. So entstand phasenweise der Eindruck, dass die Frage über die Gesundheitsbelastung durch Stickoxide in der Wissenschaft umstritten ist – was sie nicht wirklich ist.
Verstärkt wurde das Bild durch die weiteren eingeladenen Gäste. Die Vertreterin der FDP und der parlamentarische Staatssekretär von Verkehrsminister Andreas Scheuer, ein CDU-Mann, sprangen Köhler bei und zweifelten die Grenzwerte an, um sich als Verteidiger der Dieselfahrer zu präsentieren.
Die Frage, ob Stickoxide die Gesundheit belasten und beschränkt werden müssen, verkam damit zur Glaubensfrage, obwohl die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler keinen Zweifel an der Gesundheitsbelastung hat.
Mehr Fingerspitzengefühl bei der Auswahl der Gäste und der Themenbearbeitung ist also angeraten bei der nächsten Auseinandersetzung um eine Frage, die vielleicht politisch umstritten ist, wissenschaftlich aber nicht.