Künstliche Intelligenz ermöglicht mehr Klimaschutz, könnte ohne Regulierung aber das Gegenteil bewirken. (Bild: Luckeysun/​Flickr)

Als Ivona Brandić begann, zu künstlicher Intelligenz (KI) zu forschen, sorgte sich die Öffentlichkeit um wild gewordene Killerroboter, die ein algorithmisches Eigenleben entwickeln und die Menschheit unterjochen. Brandićs Antwort damals: "Bevor das passiert, wird uns eher der Strom ausgehen."

Sechs Jahre sind seither vergangen, die Informatikerin ist Professorin für "High Performance Computing Systems" an der TU Wien, und das EU-Parlament hat mit dem "AI Act" im Juni das erste umfassende KI-Gesetz auf den Weg gebracht.

Dadurch sollen die Gefahren der künstlichen Intelligenz durch Regulierung und auch Verbote – zum Beispiel für Verhaltensklassifizierung oder Gesichtserkennung im öffentlichen Raum – eingedämmt werden. Die neuen Regeln werden aber voraussichtlich frühestens 2026 in Kraft treten.

Womit Ivona Brandić jedenfalls recht behalten sollte: Killerroboter sind derzeit nicht das große Problem – die Energiefrage schon eher.

Mit Blick auf Energieknappheit sowie Umwelt- und Klimakrise lasten große Erwartungen auf KI-Anwendungen. Sie sollen Industrieprozesse effizienter, emissionsärmer und energiesparender gestalten, Frühwarnsysteme verbessern, Prognosen präzisieren und Umweltschäden zuverlässiger erkennen.

Gleichzeitig sind die Emissionen, die KI-Systeme verursachen, enorm. Allein die Entwicklung von GPT‑3, der KI hinter Chat-GPT, benötigte rund 550 Tonnen CO2-Äquivalent, so viel wie 43 Durchschnittsdeutsche pro Jahr.

Schaden KI-Anwendungen Umwelt und Klima am Ende gar mehr, als sie zu deren Schutz beitragen?

Aktuelle Daten, präzise Vorhersagen

Rund 40 Millionen Datenpunkte von Satelliten, Flugzeugen oder GPS-Stationen fließen derzeit in eine einzelne Wettervorhersage ein. Irene Schickers Aufgabe ist es, diese Vorhersagen zu optimieren. 2016 begann die Meteorologin der Forschungsanstalt Geosphere Austria (vormals ZAMG), künstliche neuronale Netze in ihre Arbeit zu integrieren.

Künstliche neuronale Netze sind dem menschlichen Gehirn nachempfunden und die Grundlage für maschinelles Lernen und KI. "Mittels künstlicher Intelligenz können wir die Daten besser säubern, aufbereiten und gezielte Prognosen erstellen", erklärt Schicker.

Ihre Vorhersagen werden damit zeitlich und räumlich präziser. Sogar Prognosen für kleine Täler oder einzelne Straßenzüge werden möglich. Auch die Vorhersehbarkeit von Extremwetterereignissen wird verbessert – was in der Praxis Leben rettet, da Warnungen früher und zielgerichteter ausgeschickt werden können.

Mit einem internationalen Forschungsteam erstellte Schicker letztes Jahr einen KI-generierten Wind-Atlas für Finnland. Windenergie ist im hohen Norden reichlich vorhanden – aber auch nur dann, wenn der Wind bläst. Durch die Auswertung historischer Wetterdaten lassen sich günstigere Zeitfenster besser vorhersagen.

Ob die zwiespältigen Wirkungen digitaler Errungenschaften wie der sozialen Medien nun durch KI verstärkt werden, ist eine weitere Frage. (Bild: Gerd Altmann/​Pixabay)

Ihren Alltag können die Finninnen und Finnen mit dem Wind-Atlas grüner gestalten, indem sie etwa ihre Waschmaschine entsprechend programmieren. Schicker betont: "Das ist nur eines von vielen Beispielen für die Alltagstauglichkeit von KI, die Anwendungsfälle sind potenziell unendlich."

Auch Informatikerin Brandić hat einige Beispiele parat, in denen die Komplexität einer KI greifbarer wird. Derzeit entwickelt sie im Rahmen des EU‑Projekts "Swain" eine Art Frühwarnsystem für Verschmutzungen in Flüssen.

Im ersten Schritt erstellen Brandić und ihr Team ein digitales Modell und erfassen darin sämtliche biologische Eigenschaften des Flusses. Durch ein permanentes digitales Screening können Rückschlüsse auf schädliche Substanzen gezogen werden.

"Anhand der Sensoren können wir ablesen, aus welcher Fabrik die Substanz kommt, welche Auswirkungen sie auf die Landwirtschaft haben wird und vieles mehr", erläutert Brandić. Da die KI auch große Datenmengen schnell analysiert, können Behörden im Ernstfall schneller reagieren und das Ausmaß der Schäden begrenzen.

KI kann ebenso bei der Erfassung von Vogelpopulationen helfen, Waldbrände orten, Erdbeben vorhersagen, das Verkehrsaufkommen verringern und den öffentlichen Verkehr optimieren.

Drastischer Anstieg des Energiebedarfs

Bis eine KI aber so weit ist, muss sie "trainiert" werden – und das ist der Umwelt weit weniger zuträglich.

Bevor eine KI in Betrieb geht, muss sie mit Daten gefüttert werden, sehr vielen Daten. Dieser Prozess findet in gigantischen Rechenzentren statt, die betrieben und gekühlt werden müssen. Auch die Anwendung hat negative Umweltfolgen. "Jedes Mal, wenn ich eine KI benutze, füttere ich sie mit Daten und erhalte Antworten – das verursacht jedes Mal Emissionen", so Brandić.

Allerdings seien die Emissionen von KIs schwer zu erheben. Einerseits sind sie schwer zu lokalisieren, denn Emissionen werden in den Rechenzentren, auf den Endgeräten wie PCs oder Smartphones und auch beim Datentransfer verursacht. Und je nach Gegend, in dem das Rechenzentrum steht, wird es mal mit Kohlestrom, mal mit Windenergie betrieben.

Andererseits gehen große Techkonzerne zwar gerne mit ihren KI-Innovationen hausieren, halten sich über deren Auswirkungen auf die Umwelt aber bedeckt.

Forscherinnen der University of Massachusetts schätzten 2019,dass die Entwicklung eines aufwendigen KI-Modells rund 284 Tonnen CO2-Äquivalent verbraucht – so viel wie 300 Flüge von New York nach San Francisco.

Rechenzentren insgesamt, auch solche, die keine KI-Modelle trainieren, verbrauchen derzeit etwa ein Prozent des weltweit erzeugten Stroms. Laut Prognosen könnte dieser Wert innerhalb einer Generation auf 20 Prozent ansteigen. Je leistungsfähiger eine KI wird und je breiter sie eingesetzt wird, desto drastischer die Umweltfolgen.

Trotz unverkennbarer Vorteile bringt künstliche Intelligenz in puncto Umwelt- und Klimaschutz also auch Gefahren mit sich.

"Die Politik muss Verantwortung übernehmen, mit Gesetzen und Richtlinien den Gebrauch regeln", fordert Informatikerin Brandić. Einen zentralen Hebel sieht sie in der Bildung. Digitale Bildung bedeute nicht, Kinder die Installation der neuesten Smartphone-Apps nahezubringen, sondern zu vermitteln, wie ein nachhaltiger Umgang mit digitaler Infrastruktur aussieht.

Die Frage, ob KI zum Fluch oder Segen für den Klimaschutz wird, kann nur gesamtgesellschaftlich beantwortet werden. Wie Technik im Allgemeinen ist auch KI nicht neutral, kein politisch unverfängliches Terrain. Ob sie dazu beiträgt, den CO2-Fußabdruck zu mindern, oder nur noch mehr zur Eskalation der Klimakrise beiträgt, ist keine technische, sondern eine politische Frage.

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